Von Michel Winde und Andrej Sokolow, dpa
Die EU bläst zur digitalen Aufholjagd auf die USA und China. Globalen Tech-Giganten drohen nach Plänen der EU-Kommission vom Mittwoch künftig höhere Auflagen – und wie schon beim Datenschutz sind globale Auswirkungen wahrscheinlich. Die Kernidee des Plans ist: Daten sollen schneller fließen und besser für Anwendungen mit künstlicher Intelligenz genutzt werden.
Es sind nicht wir, die sich an heutige Plattformen anpassen müssen, es sind die Plattformen, die sich an Europa anpassen müssen.“
Thierry Breton, Binnenmarkt-Kommissar
„Ich möchte ein digitales Europa, das das Beste Europas widerspiegelt: offen, fair, vielfältig, demokratisch und selbstbewusst“, betonte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Der Fokus auf europäische Werte bedeutet auch eine Kampfansage an die Platzhirsche, wie Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton deutlich machte. „Es sind nicht wir, die sich an heutige Plattformen anpassen müssen, es sind die Plattformen, die sich an Europa anpassen müssen.“ Allerdings handelt es sich bei den Plänen nur um Ankündigungen – bis konkrete Gesetzesvorschläge auf dem Tisch liegen, dürfte es noch dauern. Zunächst einmal wartet die Kommission nun auf Feedback und will dies künftig berücksichtigen.
Datenaustausch vereinfachen, Innovation antreiben
Zu den Vorhaben gehört, dass Daten innerhalb der EU künftig einfacher ausgetauscht werden können und so technische Innovation antreiben. Von den Datensets sollen Behörden, Unternehmen und die Wissenschaft profitieren. „Je mehr Daten wir haben, desto klüger werden unsere Algorithmen“, sagte CDU-Politikerin von der Leyen. Deshalb sei der Zugang zu Daten entscheidend. Bislang gebe es ein riesiges ungenutztes Potenzial. Für Bereiche wie Verkehrssektor, Gesundheitssystem oder Klimaschutz sollen eigene Datenräume geschaffen werden, in denen Daten gespeichert und ohne Hindernisse ausgetauscht werden können.
Zugleich will die Brüsseler Behörde den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) vorantreiben. Diese könne den Alltag jedes Einzelnen verbessern und zugleich dazu beitragen, das Ziel eines klimaneutralen Europas bis 2050 zu erreichen. Von der Leyen nannte speziell bessere Krebsdiagnosen und optimiertes Heizen, das Millionen Tonnen Öl spare. Bei allen ihren Plänen betonte die EU-Kommission, die Grundrechte der Europäer sollten gewahrt werden. Europa solle unabhängiger von den amerikanischen Tech-Firmen werden. Das erste Rennen um persönliche Daten habe man bereits verpasst, sagte Breton. Aber der Kampf um industrielle Daten starte jetzt – und das Schlachtfeld sei Europa.
Europa und China hinken den Vereinigten Staaten hinterher
Wie groß der Aufholbedarf auf andere Teile der Welt ist, zeigen Daten der Unternehmensberatung McKinsey. Unter den 250 global führenden Tech-Unternehmen entfielen auf europäische Firmen nur acht Prozent der Forschungs- und Entwicklungsausgaben. China liege bei elf Prozent, die USA bei 77.
Wir möchten, dass die Bürger den neuen Technologien vertrauen.“
Ursula von der Leyen, EU-Kommissionschefin
Bei der Aufholjagd soll der EU-Kommission zufolge genau darauf geachtet werden, dass die genutzten Daten nicht zu tendenziösen Ergebnissen führen. „Wir möchten, dass die Bürger den neuen Technologien vertrauen“, sagte von der Leyen. Datensets in sensiblen Bereichen wie dem Gesundheitssektor sollen von Behörden geprüft und zertifiziert werden. Das soll ausschließen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen durch die Ergebnisse diskriminiert werden. Für risikoarme Anwendungen soll ein Label freiwillig sein.
Google & Co drohen hohe Auflagen
Dabei drohen US-Firmen wie Facebook und Google empfindliche Auflagen. Sie könnten etwa zum Teilen ihrer Daten gezwungen werden. Für dominante Marktteilnehmer gebe es besondere Erwägungen, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. Zunächst einmal solle jedoch sichergestellt werden, dass die Menschen, die ihre Daten zur Verfügung stellten, Zugang dazu bekämen. Bei der Gesichtserkennung will die Kommission eine Debatte darüber anstoßen, unter welchen Umständen es Ausnahmen für das grundsätzliche Verbot geben könnte, sie im öffentlichen Raum einzusetzen.
Zu viele Daten sind derzeit in der Hand weniger Industrie-Teilnehmer, die sie exklusiv zu ihrem Vorteil nutzen.“
Monique Goyens, Generaldirektorin europäischer Verbraucherverband
Reaktionen auf die Vorhaben fielen überwiegend positiv aus. Der europäische Verbraucherverband Beuc betonte, Daten großer Unternehmen müssten Anderen zugänglich sein. „Zu viele Daten sind derzeit in der Hand weniger Industrie-Teilnehmer, die sie exklusiv zu ihrem Vorteil nutzen“, sagte Generaldirektorin Monique Goyens. Der Digitalverband Bitkom befand, die Vorschläge formulierten die richtigen Ziele. „Es fehlen aber die notwendigen Maßnahmen“, sagte Präsident Achim Berg.