Es ist nicht einfach, eine Führungskraft zu sein. Schon gar nicht im Jahr 2022: Nachwehen der Pandemie, der russische Angriffskrieg, daraus folgende Energiekrise, Rekordinflation, Rezession – dazu ein schnell fortschreitender Wertewandel, der uns als Gesellschaft vor Herausforderungen stellt.
An der Spitze müssen von Entscheidungsträger*innen aber nicht nur marktstrategische Weichen gestellt werden, die das Unternehmen am Leben halten und im Idealfall zu weiterem Wachstum führen – teilweise repräsentieren CEOs und andere Führungskräfte ihre Firma auch nach außen. Ihr Führungsstil, ihr öffentliches Auftreten, ihre Expertisen zu verschiedenen Themen und manchmal auch ihre Persönlichkeit können große Auswirkungen auf das Image des Unternehmens haben, dem sie vorstehen.
Manchen Führungspersönlichkeiten gelingt das besser und sie können in diesem Sinne als Vorbild gelten, andere haben mit ihrer Rolle an der Spitze Schwierigkeiten und dienen eher als Negativ-Beispiel. Aber aus beidem kann man seine Schlüsse ziehen und etwas lernen.
Führungspersönlichkeiten 2022: Wer gilt als Vorbild?
Deshalb wollen wir zurückschauen: Welche Führungspersönlichkeiten konnten in diesem krisengebeutelten Jahr einen kühlen Kopf bewahren und sich auch unter schwierigen Umständen beweisen und wem sind die Pferde durchgegangen? Wer macht als öffentliche Person eine gute Figur und wer sollte sich eher zurückhalten? Wer vereint Menschen und wer polarisiert?
Im Folgenden wollen wir auf drei Führungspersönlichkeiten schauen, die 2022 an der Spitze einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.
#1: Leena Nair
Anfang 2022 trat Leena Nair ihre neue Stellung an – als Global CEO der französischen Luxusmarke Chanel. Ein guter Anlass, um einen Blick auf die Karriere der 53-Jährigen zu werfen, die jetzt ohne jede Erfahrung im Fashion-Bereich einem der renommiertesten Modehäuser der Welt vorsteht.
Geboren und aufgewachsen ist Nair in der vergleichsweise kleinen indischen Stadt Kolhapur, wo sie täglich fast 40 Kilometer mit dem Rad zurücklegen musste, um in die Schule zu kommen. Entgegen den besonders strikten Rollenbildern im Indien der 90er, begann sie vor 30 Jahren ihren Werdegang mit einer Stelle als Management Trainee bei Unilever.
Nair erreichte Geschlechterparität bei Unilever
Dort hat sie sich hochgearbeitet bis zum Chief Human Resources Officer – als erste Frau, erste aus Asien stammende Person und auch noch als jüngste Mitarbeiterin in der Unternehmensgeschichte auf diesem Posten. In einem Zeitraum über 10 Jahre hinweg war sie nicht nur für 150.000 Mitarbeiter*innen in über 100 Ländern zuständig, sondern konnte auch einiges erreichen: 2021, am Ende ihrer Tätigkeit bei dem Konsumgüterhersteller, hatte sie ein 50/50-Genderverhältnis in den weltweiten Führungspositionen des Unternehmens durchgesetzt.
Nair, die sich selbst bescheiden als „Beste Bollywood-Tänzerin Londons“ bezeichnet, glänzt nicht nur durch Humor, Stilsicherheit und ein äußerst sympathisches Auftreten. Sie verkörpert auch gelebte Inklusion und stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Inklusion und Gleichberechtigung prägen Nairs Führungsstil
Auf Nairs Instagram-Profil finden sich ganz selbstverständlich ihre Pronomen und unter den Posts Bildbeschreibungen für Sehbehinderte. Nair denkt alle mit – eine Eigenschaft, die man sich von mehr Führungspersönlichkeiten wünschen würde.
Leena Nair ist eine Kämpfernatur, die sich in einer nach wie vor männerdominierten Welt nicht unterkriegen lässt. Aber während andere an so einer Aufgabe verbittern und in Ellbogenmentalität verfallen, verkörpert sie weiterhin Menschlichkeit und den Wunsch nach echter Gleichberechtigung für alle – definitiv ein Vorbild, was Führungsrollen angeht.
#2: Wolodymyr Selenskyj
Will man im Jahr 2022 über Menschen in Führungspositionen sprechen, kommt man um den wortgewaltigen Präsidenten der Ukraine nicht herum. Er mag zwar nicht an der Spitze eines Unternehmens stehen, sondern eines Landes in Kriegszeiten, aber sein Führungsstil ist definitiv eine Auseinandersetzung wert.
Vor der russischen Invasion der Ukraine war Selenskyj, der vom Juristen über eine Karriere als Schauspieler und Komiker letztendlich 2019 ins Amt des Präsidenten gewählt worden war, ein nicht gänzlich unumstrittener Politiker. Aber fernab von jedem Personenkult und seinen politischen Entscheidungen, kann man nicht leugnen, dass Selenskyjs Führungsstil auf vielen Ebenen positiven Einfluss für die Bürger*innen der Ukraine und die internationale Wahrnehmung der Invasion genommen hat.
Selenskyjs Führungsstil inszeniert immerzu Augenhöhe
Sein Auftreten seit Kriegsbeginn, immer in Armee-Shirt – teils mit kugelsicherer Tarnweste – hat zu jeder Zeit vor allem eines kommuniziert: „Ich bin einer von euch. Ich bin mit euch hier an der Front.“ Damit hat Selenskyj einen klaren Gegenentwurf zum Anzugträger Putin im goldenen Kreml inszeniert.
Auf US-Präsident Bidens Ausreiseangebot antwortete Selenskyj ebenso knapp wie öffentlichkeitswirksam: „Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit“. Und das bringt die zweite Stärke des ehemaligen Schauspielers auf den Punkt: seine gelungene Rhetorik. Nicht umsonst erscheint in kürze ein Buch mit seinen Reden.
Selenskyj zeigt in seinen öffentlichen Auftritten immer ein enorm hohes Einfühlungsvermögen dahingehend, was sein Publikum hören muss – seien es die Soldaten an der Front oder die Vertreter*innen der vereinten Nationen – um vollends emotional auf der Seite der Ukraine zu stehen.
Führungsstil des ukrainischen Präsidenten hat Rückhalt für sein Land gesichert
Dieses Talent, das natürlich genauso auch von Demagogen missbraucht wird, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur die Truppenmoral gestärkt. Seine markigen Worte und sein bodenständiges Auftreten haben den Ländern des sogenannten Westens die Ukraine auf der Gefühlsebene nähergebracht und damit den Rückhalt und die Hilfsbereitschaft dort definitiv verstärkt.
Entschlossenheit, Mut zu schwierigen Entscheidungen, Kommunikation auf Augenhöhe und das Wissen um die emotionalen Bedürfnisse der Mitmenschen – das sind die Skills, die man sich von Wolodymyr Selenskyj abschauen kann – zusätzlich zu der Erkenntnis, dass man nicht fehlerlos sein muss, um im richtigen Moment genau die richtige Person für den Job zu sein.
#3 Elon Musk
Auch um ihn kommt man bei einem Rückblick auf Führungskräfte 2022 nicht herum: Elon Musk. Es wäre nicht fair, so zu tun, als wäre im vergangenen Jahr alles schlecht für den reichsten Mann der Welt gelaufen. Bei SpaceX wurde mit großem Erfolg das Starlink-Satellitenprogramm gestartet und bei Tesla konnte man mit dem Semi in Sachen E-Lastwägen die Konkurrenz hinter sich lassen.
Allerdings zeigten sich besonders gegen Ende des Jahres einige peinliche und bedenkliche Pannen, die sogar rechtliche Konsequenzen haben könnten – und die sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Musks Führungsstil zurückzuführen.
Ein Fiasko nach dem anderen
Als der nämlich nach endlosem Hin- und Her dann doch die Social-Media-Plattform Twitter übernommen hatte, überschlugen sich dort die schlechten Entscheidungen: Zunächst setzte Musk einen großen Teil der Belegschaft auf die Straße, um sie dann wieder zurückzuholen – weil er gemerkt hatte, dass er doch nicht auf sie verzichten konnte.
Das bislang gut funktionierende Verifizierungssystem mit den blauen Haken aufzubrechen und für den Preis von monatlich acht Dollar für alle zugänglich zu machen, stellte sich – oh Wunder! – als komplettes Fiasko heraus. Dann sollte als symbolischer Akt der Meinungsfreiheit auch noch Ex-Präsident und Vollzeithetzer Donald Trump wieder in die Twitter-Gemeinde integriert werden. Leider hatte der überhaupt kein Interesse daran und ließ Musk auch wieder dumm dastehen.
Interessant ist dessen Führungsstil vor allem in einem Aspekt: Die Konsequenzen dieser schlechten Entscheidungen – besonders im Fall der blauen Haken – waren oftmals für jeden Menschen mit einem Hauch Weitblick völlig absehbar.
Autoritärer Führungsstil und Selbstüberschätzung
Das zeigt, was passiert, wenn ein Mann mit zu viel Macht und einem autoritären Führungsstil an der Spitze steht. Widerspruch wird nicht geduldet, wodurch sich vernünftige Mahner*innen aus Angst lieber zurückhalten. Gepaart mit einem guten Maß an Selbstüberschätzung in der Chefetage entstehen dann Situationen, die nichts als Kopfschütteln verursachen. Oder soll man wirklich glauben, dass niemand bei Twitter wusste, was passieren würde, wenn sich plötzlich jede*r einen verifizierten Promi- oder Firmenaccount erstellen kann?
Auch beim jüngsten Tierschutzskandal in Musks Hirnimplantat-Unternehmen Neuralink gibt es Stimmen, die sagen, dass der direkte Druck des Gründers zu maßlosem Leid bei verfrühten Tierversuchen geführt habe. Jetzt ermitteln die US-Bundesbehörden.
Deshalb ist Musk ganz klar ein Beispiel für schlechten Führungsstil 2022 – und ein weiterer Beleg dafür, dass autoritäre Konzepte, die mit Druck und Einschüchterung arbeiten, sogar aus rein pragmatischen Gründen endlich der Vergangenheit angehören sollten.