Die Sprache ist der Schlüssel zur Welt, sagte damals schon Wilhelm von Humboldt. Doch sie ist noch viel mehr: Kultur, Identität – und Quelle aller Missverständnisse. Das gilt nicht nur für Menschen. Auch Unternehmen verfügen über eine Sprache, deren Duktus bestimmend ist für die Wahrnehmung bei (potenziellen) Kund*innen oder für das Gefühl von Zugehörigkeit oder Ablehnung. Für Reinsclassen ist die Macht der Sprache zum Geschäftsfeld geworden. Die Agentur verleiht seit 18 Jahren Marken eine eigene Sprache.
„Wir haben den Begriff Corporate Language in Deutschland eingeführt“, sagt Christian Daul, Geschäftsführer von Reinsclassen. Das ist die Sprache, mit der Unternehmen nach innen und außen kommuniziere. Dabei soll jeder mündliche oder schriftliche Text die DNA des Unternehmens transportieren. Diese Herauszuarbeiten und in Manuals für Mitarbeiter*innen zu übertragen, ist das Geschäft der Agentur. Die Abkürzung „CL“ gehört ihr sogar. Einen Markenstreit mit der UEFA Champions League wolle man jedoch nicht angehen. „Wir können damit ganz gut umgehen, die spielen auf einem anderen Acker“, sagt der CEO mit hessischem Akzent.
Reinsclassen wird 2005 von der im letzten Jahr verstorbenen Veronika Classen und Armin Reins in Hamburg gegründet. Heute arbeiten in der B2B-Agentur mit Sitz in Hamburg, Frankfurt am Main und Baden-Baden 25 Mitarbeiter*innen. Sie betreuen Kund*innen aus dem gehobenen Mittelstand, auch Weltkonzerne wie Ikea, Volkswagen und Siemens zählen dazu. Über 80 Corporate Languages habe Reinclassen bereits entwickelt, so Daul. Was macht eine gute CL aus?
Reinsclassen will Balance in die Unternehmen bringen
„Eine gute Corporate Language ist einfach zu handhaben und wird oft angewandt.“ Es nütze nichts, wenn sie in der Schublade läge. „Eine Sprache muss im Unternehmen gelebt werden.“ Reinclassen rät Marken deshalb zur Vermenschlichung. „Eine Person ist desto vertrauenswürdiger, umso mehr ihr Denken, Sprechen und Handeln im Einklang stehen. Das sollten Unternehmen so übernehmen“, sagt Daul.
Die Marke Nike sei ein Prototyp für einen austarierten Dreiklang: „Die Philosophie ‚Just do it‘ versteht jeder, die Sprache ist knapp, klar und frech. Außerdem hat Nike bei der Zusammenarbeit mit Football-Spieler Colin Kaepernick Haltung gezeigt.“ Balance in diesen Dreiklang zu bringen, ist nicht leicht. Zumal gerade in großen Unternehmen oft Unwissenheit darüber herrscht, wer die Sprache vorgibt: „Jede Abteilung hat eine eigene Autorisierung, Texte zu verschicken, aber niemand liest quer. Dann hat man schnell 35 verschiedene Tonalitäten.“ Eine möglichst konsistente Sprache wird somit schwer.
Missionieren und Bekehren – in den ersten fünf Jahren muss Reinclaasen proaktiv auf Unternehmen zugehen, um die Wichtigkeit von CL im Markt zu platzieren. Dann folgt die zweite Phase der organischen Nachfrage. Die Agentur muss nicht mehr so stark akquirieren, nun kommen immer mehr Marken von sich aus auf die Sprachspezialisten zu. Aktuell sei man in einer dritten Phase, denn die Sprachsensibilität der Gesellschaft habe sich in den letzten Jahren stark verändert, glaubt Daul. Was macht eine gute CL aus?
Eine Sprache bedarf viel Zeit
„Wir schauen feinfühlig auf die Marke und ihre Bedürfnisse und entscheiden, welche Veränderungen notwendig sind.“ So sei das Gendern bei einem konservativen schwäbischen Mittelständler, der nicht im Umfeld der Diversität stattfinden will, nicht zwangsläufig der richtige Weg. „Dann wird die Sprache auch nie gelebt. Die Veränderung muss aus der Marke heraus begründbar sein“, ist sich Daul sicher.
Welche Macht Sprache auf die Wirkung von Marken hat, erkannte Daul in den unzähligen Gesprächen mit Mitarbeiter*innen seiner Kund*innen. Nämlich dann, wenn diese nach der eigenen Wahrnehmung ihres Arbeitgebers gefragt wurden, erkannte der Experte immer dann eine Verschämtheit, wenn vor dem Markennamen ein „der“, „die“ oder „das“ steht. „Der Artikel macht eine Marke automatisch amtlicher, ohne dass es den Mitarbeiter*innen wirklich bewusst ist. Es wird nicht wirklich nachgedacht, welche Wirkung ‚der Adidas‘ plötzlich haben würde.“
KI kann nützliche Hilfe sein
Um eine neue Sprache zu implementieren, braucht es viel Zeit. Im Schnitt dauert es bis zu einem Dreivierteljahr, bis die neue Sprache eingeführt ist. Bei großen CL-Projekten kann es bis zu zwei Jahren dauern. Eine Frage, die Daul dabei oft gestellt wird, ist die nach der Wirksamkeit. „Wir können messen, inwieweit das Markenprofil durch unsere Maßnahmen geschärft wurde und analysieren die üblichen Touchpoints.“ Doch wichtig sei die Langstrecke, betont Daul. „Die Maßnahmen sind weitreichend, sie sollen nicht vordergründing Quick-Wins erzeugen.“ Denn Sprache muss gelebt werden. Dogmatische Regeln wolle man daher nicht auferlegen, versichert Daul.
Die Verwendung von Künstlicher Intelligenz ist bei all ihren Möglichkeiten auch im Aufbau einer CL nützlich, weiß der Geschäftsführer von Reinsclassen. Ob die Lebendigkeit einer Sprache und die Künstlichkeit einer Intelligenz nicht im Widerspruch stünden? „Die klugen Firmen haben erkannt, dass das Large Language Model von ChatGPT generische Marketingtexte ausspuckt. Um zu verhindern, dass jedes Unternehmen gleich klingt, braucht es eine klare Festlegung darüber, was man als Marke sein möchte. Viele denken jetzt erst darüber nach, was ihr Zielbild ist.“ Danach könne die KI so trainiert werden, dass produzierte Texte der CL entsprächen. Sodass Marken später auch ohne Hilfe von Reinclassen die richtigen Worte finden können.