Persönlich habe ich mit der Gen Alpha zwei Berührungspunkte: Zum einen ringe ich als typische Millennial-Mutter eines Alpha-Kindes täglich mit der Frage, wie viel Screen Time eigentlich zu verantworten ist. Nicht umsonst markierte der Launch des iPads 2010 auch die Geburtsstunde der Alphas. Zum anderen verfolge ich als Strategin in der Werbebranche mit professionellem Interesse, was Generationen bewegt – um dieses Wissen dann gewinnbringend einzusetzen. Das ist mein tägliches Brot. Und genau dort liegt das Problem.
Denn was heißt es eigentlich, wenn ein Magazin mit dem Namen absatzwirtschaft eine Ausgabe einer Generation widmet, die zum heutigen Zeitpunkt ausschließlich aus (sehr jungen) Kindern besteht? Und was machen wir aus der Analyse des Generationenforschers McCrindle, dass die Gen Alpha, wenngleich sie die jüngste aller Generationen ist, einen Markeneinfluss und eine Kaufkraft hat, die weit über ihr Alter hinausgehen?
Elterliche Einkäufe bis 670 Milliarden Dollar pro Jahr
McCrindle gab der Generation Alpha nicht nur ihren Namen, sondern untersuchte auch als Erster in einer Marktforschung deren Wesen als Kohorte. Inwieweit Interviews mit damals Sieben- bis Neunjährigen überhaupt Schlüsse und Projektionen auf deren späteres (Konsum-)Verhalten zulassen, ist diskussionswürdig.
Viel grundsätzlicher jedoch beschäftigt mich die Tatsache, dass eine Marktforschung eben die Betrachtung der Subjekte als Markt impliziert, den es zu erschließen gilt. Wenn also Ende der 2020er-Jahre die ersten Alphas als Erwachsene die Märkte schwemmen, lauern wir Werbe- und Markentreibenden schon mit unserem gesammelten Wissen, um ihre Kaufkraft abzuschöpfen. So weit, so gut? Nun – so weit, so normal.
Hinter McCrindles Aussage steckt aber nicht nur eine Zukunftsprojektion, sondern bereits heute die Tatsache, dass Kinder unter zwölf Jahren die elterlichen Einkäufe im Wert von 130 bis 670 Milliarden Dollar pro Jahr beeinflussen. Fortschreitende Technologisierung und Digitalisierung machen die Alphas bereits in jungen Jahren zu Marktteilnehmer*innen. Bald werden rund zwei Milliarden von ihnen hinter den Screens sitzen und konsumieren, was wir an Inhalten und Angeboten in die Welt senden. Aber bis 2028 sind alle von ihnen minderjährig, viele lange darüber hinaus.
Es geht um Verantwortung
Deshalb geht es um Verantwortung. Einen Teil davon trage ich natürlich als Mutter: Wie viel Screen Time, wie viel Werbung, wie viel Einflussnahme auf meine Konsumentscheidungen ist zu viel? Die digitale Erziehung, die mein Kind genießt, um sicher durch digitale Welten zu navigieren, liegt in meiner Hand. Aber eben nicht nur. Kann ich nicht auch als Werberin in einer digitalisierten Welt die Türen zu den Kinderzimmern angelehnt lassen, damit die kleinen Alphas dahinter noch ein wenig unbeobachtet spielen können? In beiden Rollen frage ich mich: Wo liegen die Grenzen des Zumutbaren?
Nadja Bergelt-Stephan ist Strategin bei der Agentur David + Martin. Sie fordert Werber*innen dazu auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden. Diese Kolumne erschien zuerst in der April-Ausgabe der absatzwirtschaft.