von Helge Kaul, ZMM, School of Management, Winterthur
Marken sind individuell. Markenwissen entsteht nicht mehr allein durch PR- oder Werbebotschaften, die das Unternehmen aussendet. Konsumenten treten über Web-Browser oder Mobiltelefone interaktiv mit Marken in Verbindung. Sie erleben die Marke individuell, in jedem einzelnen Kontakt mit dem Anbieter und seinen Produkten – und immer häufiger im Austausch mit anderen
Konsumenten über das Internet.
Verlierer und Profiteure
Durch Vernetzungsplattformen entwickelt der Kundendialog eine neue Dynamik. Dabei schätzen Kunden andere Konsumenten nicht selten als glaubwürdiger ein als das Unternehmen. Der deutsche Klingelton-Anbieter Jamba stand plötzlich vor einem PR-Problem, nachdem ein Weblog das Geschäftsmodell der Firma angeprangert hatte und die Kunden entdeckten, dass sich Jamba-Mitarbeiter
«undercover» an der ausufernden Diskussion beteiligten.
Andere Unternehmen profitieren von der Interaktionsfähigkeit der Konsumenten: Die User-Rezensionen auf Amazon sind ein Mehrwert für andere Kunden und ein Wettbewerbsvorteil für das Unternehmen. Einige traditionelle Anbieter erhöhen mit Brand Communities die Markenloyalität erheblich. Nike eröffnet einen virtuellen Shop auf Second Life und bindet damit ein unternehmensfremdes Netzwerk in die Markenführung ein.
Wie sozial darf die Marke sein?
Die Beispiele verdeutlichen, dass sich die Macht zugunsten des Konsumenten verschiebt. Auch die genannten positiven Effekte sind kein Beleg dafür, dass die Unternehmen weiterhin die Akteure im Markenumfeld sind. Damit Markenaufbau nicht zum Glücksspiel wird, müssen sich sowohl die Web 2.0 Unternehmen als auch die traditionellen Anbieter aktiv mit der Dialogfähigkeit der Konsumenten auseinandersetzen. Die neue strategische Herausforderung liegt im Management sozialer Interaktionen.
Die kooperative Strategie (umgesetzt zum Beispiel in einer eigenen Community) ist dabei nur eine der möglichen Optionen. Marken können durchaus autoritär geführt werden, indem der Kundendialog bewusst unterdrückt und Verletzungen von Markenrechten streng verfolgt werden – bei traditionellen Unternehmen häufig mit Erfolg, wie Beispiele von Versicherungsunternehmen oder Banken zeigen.
Der Lebenszyklus der Marke oder die Branchenzugehörigkeit bietet aber kaum Anhaltspunkte für die praktische Umsetzung: Soll eine eigene Community eingerichtet werden? Wenn ja, für welche Zielgruppen? Wie kann das Unternehmen mit anderen Netzwerken kooperieren? Über welche Anreize kann die Interaktion der Kunden gelenkt oder wie soll das Netzwerk kontrolliert werden?
Persönliche Differenzen
Sowohl Microsoft als auch Apple sind traditionsreiche Markenanbieter in der IT-Branche. Dennoch gehen beide Unternehmen sehr unterschiedlich mit dem Interaktionspotenzial ihrer Kunden um. Erklärbar werden die Unterschiede erst vor dem Hintergrund unterschiedlicher Markenwerte und Persönlichkeiten. Disruptiv, neugierig, kreativ: In Design-Produkten wie dem iPod, der den Musikkonsum revolutionierte, offenbart sich das Markenversprechen von Apple. Die Merkmale kommen auch im ungewöhnlichen Karriereweg von CEO Steve Jobs zum Ausdruck.
Folgerichtig fasst Apple eigenständige User-Communitys unter der Dachmarke zusammen, ohne dabei Regeln für die Konversation vorzugeben. «Think different»: Selbst kritische Äusserungen in den Apple User Groups sind mit dieser Vorgabe kompatibel. Technologisch, mechanisch, linear: Microsoft unterhält Communitys für IT-Professionals und Entwickler. Privatanwender werden dagegen auf externe Produkt-Communitys geleitet.
Mit dem Meinungsführer-Programm CLIP übt Microsoft latent Kontrolle über das Netzwerk aus. Möglicherweise profitiert Microsoft damit weniger vom Dialogpotenzial seiner Kunden. Umso mehr werden aber die «industrielle» Anmutung und die lineare Fortentwicklung der Marke bewahrt. Die Marke hält alles zusammen Nur die Unternehmen, nicht die Kunden, können mit Marken attraktive Identifikationsangebote schaffen; Unternehmen mit einzigartigen Markenverspechen und ungewöhnlichen Geschichten, wie Apple und Microsoft. Diese Angebote sind überzeugend, wenn die Markenwerte in eine konsistente Erlebniswelt umgesetzt werden, die alle Kontaktpunkte mit dem Kunden umfasst.
Jamba reagierte auf die negative Propaganda mit einer polarisierenden TV-Kampagne: «Jamba – have it or hate it.» Das Unternehmen hat nun die schwierige Aufgabe, im Internet eine hinreichende Anzahl loyaler Fürsprecher zu mobilisieren – nur dann kann die Neupositionierung dauerhaft erfolgreich sein. Den Unternehmen steht es frei, welche Markenwerte sie in der Vorstellungswelt des Konsumenten verankern wollen. Um das gewünschte Markenbild im «Social Web» durchzusetzen, muss aber die Interaktionsstrategie an diesen Werten ausgerichtet sein. Mit seiner Identität gibt das Unternehmen vor, ob und auf welche Weise der Austausch zwischen den Kunden gefördert oder unterbunden werden sollte.
Literatur:
Häusler, J./Zintzmeyer, J.: Identitätsentwicklung als Konzept, Prozess und Arbeit. In: Birkigt, K./Stadler, M.M./Funk, H.J. (Hrsg.): Corporate Identity. München: Redline Wirtschaft, 2002, S. 513–524.
Pfeiffer, M.: Interactive Branding. München: FGM-Verlag, 2002.