Wer die Welt nicht nur durch die Risiko-, sondern durch die Chancenbrille betrachtet, wundert sich zuweilen, wie dynamisch trotz aller Krisenlähmung technologische Neuentwicklungen voranschreiten und schon jetzt völlig neue Perspektiven eröffnen. Insbesondere entlang der ökologischen Trends im Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz entstehen neue innovative Produkte, Leistungen und Lösungen, von denen wir alle in Zukunft profitieren können.
Völlig neue Perspektiven zur Energieversorgung eröffnet etwa der im Juli vor der Küste Schottlands in Betrieb genommene Wellen-Energie Generator „Oyster 800“. Der 20 Meter lange Generator produziert nonstop und umweltfreundlich 800 Kilowatt (kW) Energie und könnte im großen Maßstab genutzt werden. Sogar Abwasserreinigungsanlagen können mithilfe moderner Technik künftig Energie erzeugen: Die Biotechnikfirma Emefcy hat auf Basis von Mikroorganismen eine Brennstoffzellentechnik entwickelt, bei der die Bakterien ihre Nahrung direkt aus dem Abwasser beziehen. Damit könnte im Idealfall die für die Abwasserreinigung notwendige Energie in der Kläranlage selbst produziert werden, was die Kosten um 30 bis 40 Prozent senken würde.
Ergänzend zu solchen umweltfreundlichen Großanlagen schreiten auch Konzepte zur dezentralen Energiegewinnung voran. Dementsprechend haben Hersteller bereits neue Geräte entwickelt. So soll im Jahr 2012 ein Solar-Wäschetrockner von Miele auf den Markt kommen, der sich im Haus in bereits bestehende Solar-Heizsysteme integrieren lassen soll und der die kostenlose Sonnenenergie auf direktem Weg nutzen kann, ohne dass diese vorher in Strom umgewandelt werden muss.
Auch im Gesundheitssektor bieten technologische Innovationen neue ökonomische Möglichkeiten. Die Firma Alivecor aus Seattle hat in diesem Jahr eine kabellose Hülle für Apples iPhone 4 vorgestellt, mit der man, zusammen mit der passenden App, ein Elektrokardiogramm (EKG) schreiben kann. Laut Hersteller hat die EKG-Messung annähernd dieselbe Qualität wie die Überwachungsgeräte in Krankenhäusern. Dies wäre ein enormer Fortschritt, denn Hülle und App sollen nur um die 100 US-Dollar kosten – ein Bruchteil von dem, was ein handelsübliches EKG-Gerät kostet. Wenn gefährliche Unregelmäßigkeiten bei der Messung diagnostiziert werden, zeigt das iPhone eine entsprechende Warnung an. Der Benutzer kann anschließend das EKG als PDF-Dokument per E-Mail an den zuständigen Kardiologen versenden. So wäre eine viel engmaschigere Überwachung von Herzpatienten möglich – zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten.
Hirnströme, Muskelsignale und Herzschlag werden künftig viel leichter, unauffälliger und bequemer gemessen werden können. Forscher haben Sensoren entwickelt, die wie ein hauchdünnes Pflaster auf der menschlichen Haut kleben. Die kaum sichtbare Elektronik faltet, biegt und dehnt sich und folgt so nahezu unbemerkt jeder Bewegung. Aufgetragen wird sie einfach durch Anfeuchten mit Wasser – ähnlich einer temporären Tätowierung. Alle Bauteile funktionieren drahtlos und sind so klein, dass sie sich auf die Rückseite eines Aufklebe-Tattoos applizieren lassen.
Selbst in der Diagnose von Krankheiten steuern wir auf eine Revolution zu: Kürzlich haben Forscher einen Chip vorgestellt, der unter anderem HIV-Infektionen oder Syphiliserkrankungen binnen weniger Minuten nachweisen kann. Kliniken und Ärzte könnten so künftig zahlreiche Diagnosetests anbieten, ohne dass die Patienten zum Blutabnehmen ins Krankenhaus gehen und dann tagelang auf ihr Ergebnis warten müssen. Insgesamt wird der E-Health-Markt, gerade auch aufgrund der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft, ein Boomsektor der Zukunft werden.
Das kontinuierliche Wachstum von Wissen wird die Spielräume des Menschen weiter vergrößern und auch falsche Annahmen korrigieren. So wurde kürzlich nachgewiesen, dass effiziente und großangelegte Systeme zur Wassernutzung gerade auch in Dürregebieten die Nahrungsproduktion deutlich verbessern können. Ergebnisse wie diese sind wichtig. Nicht, weil sie schon eine fertige Lösung liefern, sondern weil sie deutlich machen, dass viele Probleme, die wir gemeinhin als ’natürlich‘ und oft als unveränderbar ansehen, sehr wohl gelöst werden können.
Die Liste vielversprechender Erkenntnisse und Entwicklungen lässt sich beinahe unendlich fortsetzen: Künftig werden wir vielleicht mit in-vitro-Technologien unsere Steaks züchten oder sie gar drucken, ohne dafür Tiere zu töten. Wir werden Kunststoffe nutzen, die von Mikroorganismen erzeugt werden. Und wir werden vielleicht mit Laserstraßen Wasserdampf in der Luft kondensieren lassen und somit die regionale Wasserknappheit überwinden können. Ob sich all diese Visionen realisieren lassen, weiß natürlich niemand mit Gewissheit. Das sind alles zunächst nur Chancen, und es liegt an uns, sie zu nutzen und dabei die nötigen Risiken einzugehen.
Unser Problem heute ist nicht, dass wir in der Welt keine positiven Entwicklungen und Chancen haben. Das Problem ist vielmehr, dass unsere Wahrnehmung und unsere Kreativität durch die nächste aufkommende Krise getrübt sind. Wer nicht den Antrieb hat, bis zum Horizont zu schauen, wird sich aus schwierigen Situationen im Hier und Jetzt nicht herausarbeiten können.
Über den Autor: Dr. Pero Micic ist Experte für Zukunftsmanagement und Vorstand der in Eltville am Rhein ansässigen Futuremanagementgroup AG.