Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten, muss man zwei Arten von Marktführerschaft unterscheiden, nämlich die tatsächliche und die mentale von den Kunden wahrgenommene Marktführerschaft. Noch vor wenigen Jahren lag Nokia tatsächlich bei Smartphones marktanteilsmäßig klar vor Apple mit dem iPhone. (Die tatsächliche Marktführerschaft.) In den Köpfen der Kunden aber lag das iPhone klar vor den diversen Modellen von Nokia. (Die mentale Marktführerschaft.) Der Sieger: Das iPhone!
Entscheidend für den Markt- und Unternehmenserfolg ist daher nicht die tatsächliche Marktführerschaft, sondern die mentale Marktführerschaft. Sie denken an Cola. Sie denken an Coca-Cola. Sie denken an Hamburger. Sie denken an Mc Donald’s. Sie denken an einen Schuh, der atmet. Sie denken an Geox. Sie denken an Suche im Internet. Sie denken an Google. Sie denken an Schuheinkauf im Internet. Sie denken an Zalando. Sie denken an ein soziales Netzwerk: Sie denken an Facebook und nicht an Google+. (Dabei war früher Myspace tatsächlich bedeutend größer als Facebook.)
Märkte ohne Rangordnung
Nur in immer mehr Märkten wissen die Kunden nicht mehr, wer Marktführer ist und wer nicht. Wer ist wirklich Marktführer bei PCs, bei Notebooks oder bei Flachbildfernsehern? Wer ist wirklich Marktführer bei Joghurts, bei Shampoos oder bei herkömmlichen Bohnen- und Filterkaffee?
In immer mehr Märkten sieht sich der Kunde so „gleichwertigen“ Anbietern gegenüber. Nur damit wird der Preis als Auswahlkriterium wichtiger. Darunter leidet zum Beispiel auch die Unterhaltungselektronikbranche. Letztendlich ist es für immer mehr Menschen egal, ob Samsung, Sony, Panasonic oder sonst eine Marke auf einem Fernseher steht, solange er im Sonderangebot war. Ganz anders in den Bereichen Spielkonsolen, Smartphones oder Tablets. Hier gibt es die Wii, das iPhone und das iPad. Hier gibt es starke mentale Marktführer.
Oder nehmen Sie Kaffee: Wissen Sie wirklich, wer heute Marktführer ist? Ist es Tchibo, Eduscho oder Jacobs? Oder ist es Melitta? Oder kommen Ihnen diese Marken immer ähnlicher und damit austauschbarer vor? Ganz anders bei Kaffeekapselsystemen: Hier denken Sie automatisch an Nespresso und George Clooney.
Das ultimative Konzept
Mentale Marktführerschaft ist daher das ultimative Konzept, das jede Marke unter allen Bedingungen immer anstreben sollte. Dazu gehört aber in der Regel, dass man den Mut hat, den Fokus der eigenen Marke zu verengen beziehungsweise etwas Neues zu kreieren.
Bei Dr. Best erkannte man klar, dass man als weitere Zahnbürste chancenlos ist. Also lancierte man die erste „nachgebende“ Zahnbürste. In diesem Segment ist man heute der mentale Marktführer und mittlerweile überhaupt die meistverkaufte Handzahnbürste. Bei Wagner Pizza erkannte man klar, dass man als weitere Fertigpizza keine Chance hat, also lancierte man die erste Steinofenfertigpizza. In diesem großen Segment ist man heute mentaler und tatsächlicher Marktführer. Nespresso ist mentaler Marktführer bei Kapselsystemen. Zalando bei Schuhkauf im Internet.
So gesehen hat sich das „Marktführerkonzept“ a la McKinsey defacto wirklich überlebt, denn entscheidend ist vor allem die spezifische mentale Marktführerschaft. Damit lassen sich zwei Regeln aufstellen: (1) Tatsächliche Marktführerschaft ist in der Regel das „Abfallprodukt“ mentaler Marktführerschaft. (1) Tatsächliche Marktführerschaft ohne echte mentale Marktführerschaft ist immer eine gefährdete Nr. 1-Position. (Diese Erfahrung könnte demnächst Hewlett-Packard bei PCs machen.)
Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Markenpositionierung in Rohrbach, OÖ, Associate im Beraternetzwerk von Al und Laura Ries und Autor des Buchs „Brandtner on Branding“. Sein Markenblog: www.brandtneronbranding.com.