Eine Milliarde Euro. Diese Summe muss Volkswagen wegen der neuen Schadstoffnorm aufbringen. Das sagte Finanzvorstand Frank Witter während einer Telefonkonferenz mit Börsenanalysten im Juni. Die Einführung des neuen WLTP-Testverfahrens zerrt an den Nerven der großen deutschen Autobauer. Darunter leidet auch die Kommunikation mit den Kunden. Denn einige Modelle werden zurzeit nicht ausgeliefert oder komplett eingestellt. Aber von vorne:
Was ist WLTP?
Der Dieselskandal ist Auslöser für diese Neuerung: Nach den EU-Regeln dürfen Neuwagen ab dem 1. September nur dann verkauft werden, wenn sie einen neuen Abgasprüfzyklus durchlaufen haben: WLTP ist der Nachfolger von NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus), der seit 1992 galt. Nun soll WLTP (Worldwide Harmonized Light Duty Vehicles Test Procedure) realitätsnähere Tests an Autos durchführen und den genauen Kraftstoffverbrauch feststellen. Der neue Test soll strenger, alltagstauglicher, technisch besser sein. Dafür wird ab September auch auf der Straße gefahren, um die Werte zu checken. Die Verordnung umfasst mehr als 700 Seiten und enthält viele verschiedene Einzeltests und neue Vorgehensweisen. Die Krux für die Automobilhersteller und alle, die sich gerade für einen Neuwagen interessieren: Besitzt ein Modell bis September nicht das WLTP-Siegel, muss es erst einmal aus dem Programm genommen werden.
VW leidet unter WLTP
Die neuen Verfahren bringen für die Autobauer einiges an Arbeit mit. So hieß es bei Volkswagen laut Reuters schon im Juni in einer Mitteilung im Intranet an die Mitarbeiter, dass die Bänder nach den Werksferien zeitweise stillstehen werden. Grund: Die Testprozedur (WLTP) sei viel komplexer als gedacht und somit würde die Umsetzung länger dauern. Einige Modelle werden erst einmal nicht mehr produziert, etwa der Golf GTI. Bei Volkswagen wird alles, was unter zwei Prozent Bestellvolumen liegt, bis Ende des Sommers 2018 aus dem Markt genommen, um die WLTP-Zertifizierung zu sparen. Auch die VW-Tochter Porsche hat Schwierigkeiten mit der Anpassung und musste den Verkauf von Neuwagen wegen der neuen Abgasmesszyklen drosseln. „Die Umstellung auf den neuen Prüfzyklus WLTP ist ein Kraftakt und hat, wie bereits angekündigt, von August an vorübergehende Auslastungslücken in der Produktion zur Folge“, teilte VW mit. „Die Kommunikation mit dem Kunden erfolgt über den jeweiligen Volkswagen Partner. Kunden werden bereits bei Bestellung ihres Fahrzeugs über die aktuelle Lieferzeitsituation informiert“, erklärte ein Sprecher gegenüber absatzwirtschaft.
Kommunikation über die Händler
Somit liegt die Aufgabe der Kommunikation zumindest bei VW in den Händen der Händler, die ihre Kunden nach der Bestellung über den aktuellen Status und etwaige Änderungen auf dem Laufenden halten sollen. Eine Kampagne, die das Problem offensiv kommuniziert, gibt es weder bei VW noch bei Audi, teilen beide Pressesprecher mit. „Wir sind hier in engem Austausch und informieren tagesaktuell über unser Händlerportal. Im Konfigurator erhält der Kunde genau Auskunft darüber, ob ein Fahrzeug bestellbar ist und bekommt einen Hinweis, sollten die WLTP-Werte für sein gewünschtes Fahrzeug noch nicht vorliegen“, erklärt Audi. Die Konfiguratoren auf den jeweiligen Webseiten sind zurzeit eher Spaß als Kaufunterstützung: Hat man sein Wunschauto zusammengestellt, ist es gut möglich, dass zum Schluss die Info kommt, dass das begehrte Fahrzeug gar nicht lieferbar ist. Die Nachricht „Zurzeit kein Neuwagenverkauf mehr möglich“, wäre einfacher.
Bei Audi liege das Problem auch bei der Modellumstellung, erklärte eine Sprecherin: „WLTP ist ein Branchenthema. Es wird auch bei Audi in einer Reihe von Fällen zu Übergangsfristen zwischen dem Bestellende für ein bewährtes Modell und dem Verkaufsstart für den WLTP-zertifizierten Nachfolger kommen. Auf der anderen Seite stehen hier die Modellwechsel. Audi steht vor der größten Modelloffensive seiner Geschichte. Wichtige Volumenmodelle wie Q3 oder A1 sind auf Grund des Generationenwechsels temporär nicht mehr verfügbar.“ Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer versteht all die Aufregung und auch die Engpässe nicht: „Seit Jahren sprechen Regulierer und die Industrie über den WLTP. Man hätte sich schon mal vorbereiten können, wie etwa bei Toyota, Opel, Hyundai oder Volvo.“
Händler haben massive Probleme
Zunehmend geraten die Händler nicht nur wegen der hohen Temperaturen ins Schwitzen. Vor allem die neue Zulassungsvorschrift sitzt ihnen im Nacken. Die etwa 1000 Volkswagen-Handelsbetriebe in der Bundesrepublik müssen die schwierige Zeit von September bis Dezember überbrücken. „Der neue Prüfzyklus WLTP macht allen Händlern in der Republik große Sorgen, so natürlich auch uns VW- und Audi-Partnern“, sagt Dirk Weddigen von Knapp, Vorstandsvorsitzender vom Volkswagen und Audi Händlerverband. „Durch besondere Angebote der Überbrückung und auch zur Wahl eines anderen, schon geprüften Motors ist es mit großem persönlichem Einsatz der Handelsorganisation gelungen, unsere Kunden bisher adäquat zu bedienen.“
Der Wolfsburger Autokonzern wird es nicht schaffen, alle Konzernmodelle rechtzeitig zum 1. September mit einer Straßenzulassung auszustatten. Das Unternehmen mietet externe Flächen an, das „dient der VW AG nur zur Zwischenlagerung gefertigter Fahrzeuge, bis die WLTP-Prüfungen des jeweiligen Motors erfolgt und die Zulassungsgenehmigungen erteilt sind“, erklärte Weddigen von Knapp.
Info-Veranstaltungen hätten den Händlern im Vorfeld geholfen, erklärt ein VW-Pressesprecher, „und der Handel wird kontinuierlich über aktuelle Themen auf dem Laufenden gehalten. Darüber hinaus bietet Volkswagen seinen Partnern über verschiedene Kanäle zu allen Fragen rund um das Thema WLTP kurzfristige Unterstützung an.“ Ob das allein hilft, Händler auf enttäuschte oder wütende Kunden vorzubereiten?
Bei manchen läuft es rund
„Bei den deutschen Autobauern hat die VW-Gruppe vor Daimler die größten Probleme mit der Umstellung auf WTLP. Am besten scheint BMW zu Rande zu kommen. Und bei den Importeuren scheint das Thema eher Nebensache“, erklärt Dudenhöffer. BWM-Konzernchef Harald Krüger erklärte, dass bei BMW die Umstellung größtenteils erfolgt sei. Aber auch die Münchner mussten einige Modelle, zum Beispiel die V8-Modelle, aus dem Katalog streichen – zumindest für eine gewissen Zeit. Eine Sprecherin bei BMW sagte gegenüber absatzwirtschaft: „Aktuell erfüllen bereits rund 190 Modelle die Abgasnorm Euro 6d-TEMP, die erst ab 01.09.2019 für alle Neuzulassungen verpflichtend wird. Auch alle ab Juli für Europa neu bestellbaren Mini Modelle sind bereits gemäß WLTP zertifiziert. Die Umstellung auf die neuen gesetzlichen Anforderungen wurde frühzeitig in die Vertriebsplanung integriert. Wie üblich beträgt die Lieferzeit unserer Fahrzeuge durchschnittlich rund drei Monate.“
Und bei Daimler?„Der Zertifizierungsaufwand hat sich beim WLTP im Vergleich zum NEFZ ungefähr verdoppelt“, so eine Sprecherin gegenüber absatzwirtschaft. „Wir haben nahezu alle Modelle in Europa planmäßig zertifiziert. Daher steht unser Plan, bis September über 30 aktuell verfügbare Modelle und über 200 Varianten auf die Euro 6d-TEMP (WLTP und RDE Stufe 1) Norm umgestellt zu haben“, so die Sprecherin weiter. Trotzdem warnt das Unternehmen vor hohen Kostenbelastungen in den kommenden Monaten.
Audi ging das Problem komplett anders an und fuhr schon vor Monaten die Produktion hoch. Die Ingolstädter gehen diesen Weg, um Lieferengpässe während der Umstellung auf WLTP zu vermeiden, so die Nachrichtenagentur Reuters. 2018 bringt Audi eine ganze Reihe von neuen Oberklasse-Modellen auf den Markt, die bisher größte Produktoffensive des Konzerns. Nach dem neuen Audi A8, Audi A7 und der A6 Limousine folgen in diesem Jahr noch der A6 Avant und der neue Audi Q8. Der Konzern startete gerade eine große Kampagne zur Einführung des neuen Q8 und bewarb erstmals alle Oberklassenmodelle auf einer gemeinsamen Kampagnenplattform. „Der neue Q8 ist seit kurzem im Konfigurator verfügbar und bereits nach WLTP homologiert. Wie üblich bei der Einführung eines neuen Modells bieten wir den neuen Q8 zunächst mit sehr Volumen-starken Antriebsvarianten an, in diesem Fall ist es die Sechszylinder-Variante 50TDI. Weitere Antriebsvarianten werden wir sukzessive im Jahresverlauf im Konfigurator anbieten“, so Audi gegenüber absatzwirtschaft.
Kommunikation mit den Kunden
Volkswagen-Kunden benötigen also die größte Geduld. Das Unternehmen zeigt sich kulant: Wer ein Fahrzeug der Baureihen Passat und Arteon als Neuwagen mit Frontalantrieb und DSG-Getriebe erwerben will, kann dieses zurzeit wegen eines Problems des Abgasnachbehandlungssystems nicht kaufen. Stattdessen erhält der Kunde das rund 2000 Euro teurere Allrad-Modell – die Mehrkosten trägt VW. So will VW sich die Kunden gewogen halten, bis das WLTP-System bei den großen Modellen eingebaut ist. „Unabhängig von der WLTP-Umstellung gibt es bei Volkswagen kundenfreundliche Regelungen, unter welchen Bedingungen bei Lieferverzögerungen beispielsweise Ersatzmobilität in Anspruch genommen werden kann. Diese kommen auch bei etwaigen WLTP-bedingten Verzögerungen zur Anwendung“, so die Pressestelle bei VW. Bei all dem Aufwand scheint einem die Zahl von einer Milliarde Euro plötzlich gar nicht mehr so hoch zu sein.