Vier Tage arbeiten, drei Tage Wochenende – und das bei gleichem Gehalt? Was für viele nach Wunschdenken klingt, ist im Sanitärbetrieb von Marcus Gaßner und seiner Frau Ayleen Bauser schon seit Jahren Realität. „Wir sind dadurch viel entspannter, aber auch geplanter und strukturierter“, sagt Bauser. Doch ist das, was in der Firma am Fuße der Schwäbischen Alb und auch in anderen Betrieben funktioniert, auch großflächig denkbar – trotz oder gerade wegen des Arbeitskräftemangels an allen Ecken und Enden?
In Deutschland ging die Diskussion zuletzt in eine andere Richtung: Da war etwa Industriepräsident Siegfried Russwurm, der mit der 42-Stunden-Woche sympathisierte. Oder Gesamtmetallchef Stefan Wolf, der die Rente mit 70 in Spiel brachte. Das Argument: Wenn die Babyboomer bald in Rente gehen und immer weniger arbeitende Bevölkerung zur Verfügung steht, müssen die Verbleibenden länger ran.
Kürzere Arbeitszeit und steigende Produktivität sind kein Widerspruch
Arbeitsforscher Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse hält dagegen: „Natürlich ist es erstmal kontraintuitiv zu sagen: ‚In einer Lage, wo wir eher wenige Arbeitskräfte zur Verfügung haben, verkürzen wir jetzt die Arbeitszeit‘.“ Es gebe mittlerweile aber eine sehr gute Studienlage zu steigender Produktivität bei Arbeitszeitverkürzung. „Volkswirtschaftlich ist es definitiv möglich.“
Wie das funktionieren kann, versucht derzeit eine Studie in Großbritannien herauszufinden. Insgesamt sind an dem Pilotprojekt mehr als 70 Unternehmen beteiligt, die ihren insgesamt mehr als 3300 Beschäftigten zunächst für sechs Monate einen zusätzlichen freien, bezahlten Tag pro Woche gewähren. Zur Halbzeit antworteten 86 Prozent der in einer Zwischenauswertung befragten Unternehmen, sich die Vier-Tage-Woche auch langfristig vorstellen zu können. 88 Prozent gaben an, das Modell funktioniere gut in ihrem Arbeitsalltag.
Mehr Automatisierung und weniger Meetings
Auch Daryl Hine, der bei der Vermögensverwaltung Stellar in Liverpool zum Führungsteam gehört, zieht nach den ersten Monaten ein positives Fazit. „Am Anfang war viel Begeisterung, aber auch etwas Skepsis“, erinnert sich der Manager. Die wichtigste Maxime sei nämlich, dass die Arbeit, die früher auf fünf Tage verteilt geleistet worden sei, nun in vier geschafft werden müsse. Wie das funktioniere? „Wir nutzen es als Weg, um effektiver zu arbeiten“, erklärt Hine. Dazu gehöre teilweise, Arbeitsschritte zu automatisieren, aber auch anstehende Meetings infrage zu stellen – „Diary Detox“ heißt das bei Stellar.
Prinzipiell wolle Stellar an dem Modell festhalten – allerdings seien in einigen Bereichen möglicherweise Anpassungen notwendig, damit die Unternehmensziele auch langfristig weiterhin erreicht würden. In stressigen Phasen könne es möglicherweise nötig sein, dass die Beschäftigten auf ihren freien Tag verzichten müssten.
Auch in anderen Ländern wird oder wurde mit der Vier-Tage-Woche experimentiert. In Island etwa zeigte eine Studie unter 2500 Beschäftigten, dass die Produktivität bei einer Vier-Tage-Woche und meist reduzierter Arbeitszeit größtenteils gleich blieb oder besser wurde. Belgien will die Vier-Tage-Woche sogar landesweit ermöglichen. Allerdings wird die wöchentliche Arbeitszeit nicht verkürzt.
Arbeitgeber machen sich attraktiver für Bewerber*innen
Historisch betrachtet habe es in den vergangenen 200 Jahren einen Trend zur Arbeitszeitverkürzung gegeben, sagt Arbeitsforscher Frey. So habe sich die 60-Stunden-Woche hin zu einem tarifvertraglichen Mittel von 38 Stunden Vollzeit entwickelt. Dass dieser Wert seit 30 Jahren in Deutschland stagniere, sei die absolute Ausnahme. Die Ergebnisse in England hätten zudem gezeigt, dass der Fachkräftemangel für viele Betriebe ein zentrales Argument für die Einführung der Vier-Tage-Woche war – um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und sich aus der Masse abzuheben.
Beim Zentralverband des Deutschen Handwerks kennt man das Argument, der Verband ist aber skeptisch: Für einzelne Beschäftigte könne das attraktiv sein, in der Summe stünden dadurch aber auch nicht mehr Fachkräfte zur Verfügung. Presse man eine 40-Stunden-Woche zudem in vier Arbeitstage, könne das zu sehr langen Abwesenheiten von Familie und Privatleben führen. Betriebe mit einem solchen Arbeitszeitmodell könnten dann gerade für Frauen weniger attraktiv werden – und der Pool an Fachkräften somit sogar kleiner werden, so der Verband.
Zehn-Stunden-Tage schweben auch den Gewerkschaften nicht vor, die der Idee grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen. „An jedem der verbliebenen vier Tage einfach mehr zu arbeiten, erhöht den Stress und ist damit aus unserer Sicht keine Lösung“, heißt es von er IG Metall. Zur Arbeitszeitverkürzung müsse ein Lohnausgleich kommen. Das fordert auch der Vorsitzende der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei Verdi, Norbert Reuter. Sonst handele es sich bloß um ein Teilzeitmodell. Aus seiner Sicht ist es auch nicht zielführend, eine mögliche Arbeitszeitverkürzung auf vier Tage festzusetzen. Vielmehr müsse sie Beschäftigten Flexibilität ermöglichen. Vor allem für Großkonzerne sei ein solches Modell umsetzbar.
Sanitärbetrieb geht einen Mittelweg
Alles andere als ein Großkonzern ist der Sanitärbetrieb Gaßner im baden-württembergischen Denkingen mit seinen 13 Beschäftigten. Hier geht man einen Mittelweg: Die Wochenarbeitszeit ist von 40 auf 37 Stunden verkürzt, die Vier-Tage-Woche freiwillig. Eigentlich hatten sie sich auch mehr Bewerbungen erhofft, erzählt Bauser. Das habe sich aber nicht eingestellt: „Die Leute haben Hemmungen, etwas Neues einzugehen.“ So gebe es etwa die Angst, am freien Tag auf die Baustelle beordert zu werden. Das passiere aber nicht.
Bei den Bewerber*innen, die sich im Unternehmen vorstellen, spiele die Vier-Tage-Woche zwar eine Rolle, sei aber nicht das Hauptkriterium. „Die Leute wollen nicht nur Freizeit haben, sondern sich auch wohlfühlen.“ Teamtreffen oder ein gemeinsames Essen im Monat – das sei Vielen mehr wert, als ein zusätzlicher freier Tag.
Von David Hutzler und Larissa Schwedes, dpa