Was dicke Frauen schlanken Packungen zutrauen
Digitalisierung und technische Finessen hin oder her: Allein das pure Äußere eines Produkts entfaltet nach wie vor eine immense Wirkung bei der Kaufentscheidung. „Stellen Sie sich Kartoffeln, Milch, Wasser oder Champagner unverpackt vor“, fordert Marc Clormann, Geschäftsführer von Clormann Design in Penzing, auf und ergänzt gleich, was daraus folgt: „Die Verpackung macht das Produkt.“ Zwar schmecken die einzelnen Sorten natürlich unterschiedlich, aber das kann man am PoS nun mal nicht beurteilen. Womit Clormann also recht hat, wenn er sagt: „Verpackungen bringen Marken Mehrwert.“
Professor Ulrich Orth von der Uni Kiel ist auf die psychologischen Faktoren beim Käuferverhalten spezialisiert und beschäftigt sich seit Jahren mit Verpackungsdesign. Wie stark schon allein die Verpackungsform die Käufer beeinflusst, zeigt eines von Orths aktuellen Forschungsergebnissen: Konsumenten schreiben Produkten je nach deren Form bestimmte Eigenschaften zu; das gilt insbesondere in Zusammenhang mit dem Thema Gesundheit und hat auch noch mit dem eigenen Körper zu tun: So vermuten zum Beispiel besonders Frauen mit einem hohen Body-Mass-Index bei schlanken Verpackungen eine höhere Gesundheitswirkung. Klingt absurd, ist aber erwiesen. Schriftarten und Farben erzielen ähnliche Effekte, berichtet Orth. „Unser Tenor ist: Bei Verpackungen sind nicht nur explizite Hinweise wichtig, sondern in hohem Maße auch die subtilen Hinweise.“
Generell empfiehlt Orth Markenherstellern, die „nicht auf sofortigen Cash-flow angewiesen sind und ein bisschen warten können“, bei der Verpackungsgestaltung mutiger zu sein. Forschungen zur Typizität – also wie typisch eine Verpackung in ihrer Kategorie ist – zeigen, dass es sich mittelfristig lohnt, aus der Flut gleichartiger Optik herauszustechen: Bei einem Erstkontakt nimmt der Konsument die untypische Verpackung wahr, greift in der Regel aber zum typisch verpackten Produkt, erst beim nächsten oder übernächsten Kauf erwirbt er gern das untypisch aussehende Produkt. Die Erklärung für dieses Verhalten: Konsumenten bauen die untypische Verpackung nach dem Erstkontakt in ihr Schema ein und nehmen sie deshalb beim Folgekontakt nicht mehr als so ungewöhnlich wahr. „Beim ersten Mal fällt das Produkt auf, beim zweiten Mal wird es gekauft“, bilanziert Orth. Dieser Effekt sei robust.
Außerdem erwiesen: Es herrscht ein Trend zur Erlebnisverpackung. Ein Paradebeispiel dafür ist Todd’s Push & Chill, ein Cocktail vom Spirituosenhersteller Behn in Eckernförde, den man selber mixt, indem man erst ein Fruchtkissen eindrückt, dann das Ganze kräftig schüttelt und schließlich öffnet.
Verpackungen spiegeln Trends
Gesellschaftliche Entwicklungen schlagen sich über kurz oder lang im Verpackungsdesign nieder. Die Entwicklung hin zu mehr Single-Haushalten lässt sich zum Beispiel an den kleineren Verpackungseinheiten ablesen, die hohe Mobilität der Menschen an der gestiegenen Nachfrage nach To-go-Verpackungen.
Interessant ist auch, wie sich Design mit der Zeit wandelt. Früher mussten zum Beispiel Bio-Produkte auf jeden Fall grün und irgendwie in Naturpapier verpackt sein, „ohne das kam man nicht durch“, erzählt Katrin Niesen, Executive Creative Director und Geschäftsleitungsmitglied bei der Peter Schmidt Group mit Hauptsitz in Hamburg. Heute signalisiert das Wort „bio“ längst nicht mehr nur die Produktionsweise, sondern impliziert unter Umständen auch „vegan“ oder „vegetarisch“ oder „frei von allerlei Schädlichem“. „Bio ist eine Haltung“, sagt die Designexpertin, und diese Haltung komme heute bunt, farbenfroh, plakativ, oft einen Tick naiv und ein bisschen handgemacht daher. Der erhobene Zeigefinger gehört der Vergangenheit an, ebenso die gern etwas genussfeindliche, dafür aber moralisch überlegene Attitüde. Schaut man sich Gesundheitsprodukte an, offenbart sich ein ähnlicher Wandel – in diesem Falle weg vom ernst-medizinischen Impetus hin zu fröhlichen Welten. Schon die Verpackungen vermitteln, dass es sich hier um prophylaktisch konsumierte Produkte handelt, die für ein gutes Leben sorgen. Für Katrin Niesen entsteht aus dem Trend hin zu „Bio“, zu gutem Leben und bewusster Ernährung die nächste Entstehung, sie prognostiziert: „Das Unperfekte wird das neue ‚perfekt‘ sein.“ Ein erstes Indiz, das ihr recht gibt, sind Models mit kleinen Makeln, wie etwa einer Zahnlücke. Oder die Tatsache, dass in Supermärkten nun auch wieder „hässliches“ Obst und Gemüse, also fleckige Äpfel oder krumme Gurken, feilgeboten und auch noch als solches beworben wird. „Das wird sich in der Verpackung niederschlagen“, ist sich Niesen sicher.
Häufiger Assistenten- als Chefsache
Was sich allerdings auch in so mancher Verpackung niederschlägt, ist: Lieblosigkeit. Obwohl mittlerweile jedem Marketer klar sein müsste, dass die Verpackung Teil der Markenbotschaft ist und viele Menschen nachweislich ihretwegen zu einem Produkt greifen, wird sie von vielen Herstellern immer noch unterschätzt. In der Produktentwicklung steht das Verpackungsdesign oft ganz am Ende, ist mitunter Assistenten- statt Chefsache, wird vom Einkäufer behandelt wie ein Schraubenkauf und noch schnell so mitgemacht. In manchen Unternehmen werde mehr Geld für Korrekturschleifen ausgegeben als für die Verpackung, beklagen Designer. Das ist grob fahrlässig. Besser wäre, man würde sich von Anfang an Gedanken darüber machen, wie das Produkt und seine Verpackung aussehen sollen. Das ist übrigens der Grund, warum Start-ups oft aufmerksamkeitsstarke, kreative Verpackungen entwickeln: Sie haben nur ein Produkt, wollen das möglichst gut verkaufen und investieren viel Mühe in sein Äußeres. Konsumenten merken das, sind Designer überzeugt. Wie sagt Katrin Niesen so schön: „Wir versenden mit jeder Verpackung Signale, auch mit einer schlechten.“ In Zukunft wird das dann auch für digitale Verpackungssignale gelten.