Die Stammkunden wandern ab. Schicksal oder Versäumnis?

Markenführung heißt heute überwiegend, neue Kunden zu gewinnen. Die dramatische Stammkundenerosion ist in der Hauptsache hausgemacht. Das sagen Dr. Peter Haller von der Serviceplan Agenturgruppe und Wolfgang Twardawa von der GfK. Gemeinsam entwickeln sie Handlungsempfehlungen.

„Voraussetzung für eine Anhebung der Markenloyalität ist die Einsicht, dass die Stärke einer Marke und die Effizienz der Markenführung nicht von der Gewinnung möglichst vieler Neukäufer abhängt, sondern von einem hohen und stabilen First Choice Buyer Anteil“, heißt es in Ihrer aktuellen Studie zum Thema. Je höher der First Choice Buyer Anteil sei, desto geringer sei die Erosionsrate, desto stärker sei die Marke und desto effizienter sei die Markenführung.

Am Beispiel Persil und Weißer Riese könne man dies unschwer erkennen: Persil mit einem First Choice Buyer Anteil von 65 Prozent verliere in drei Jahren 34 Prozent und der Weiße Riese, mit einem Ausgangswert von 28 Prozent büße gar 75 Prozent seiner First Choice Buyer in der gleichen Zeit ein. „Insbesondere in Zeiten stagnierenden Konsums muss bei einem Umsatzanteil von 60 bis
80 Prozent der First Choice Buyer zur Leitwährung der Markenführung werden. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Kundenabwanderung zu reduzieren, möglichst viele Second Choice Buyer zu First Choice Buyer zu konvertieren, mehr Umsatz mit weniger Kunden zu erzielen und dadurch höhere Deckungsbeiträge und mehr Planungssicherheit und Stabilität herbeizuführen“, fordern die Experten.

Die Autoren schlagen vier Ansätze vor:

  1. Von pauschalen Zielgruppendefinitionen zu differenzierten, markenspezifischen Käufer- und Verwendergruppen: Ein 20 000er Haushaltspanel für Konsumgüter, aber auch für Gebrauchsgüter erlaubt einen differenzierten Ausweis pro Marke nach First Choice Buyern, Second Choice Buyern und Competitive Choice Buyern. Dabei kann man unterscheiden nach Käufern der eigenen Marke und der relevanten Konkurrenzmarken. Diese Zielgruppenprioritäten festzulegen ist nicht allein Sache der Media- oder Werbeagentur, sondern in allererster Linie der Verantwortlichen für die Markenführung und das ist in der Regel das Marketingmanagement auf Seiten der Auftraggeber.

    Dieser Prozess darf nicht statisch, sondern muss dynamisch betrachtet werden und zwar nach der Veränderung der Lebenswelten. Geht man von den drei Hauptphasen: Ausbildung, Berufsleben und Ruhestand aus und differenziert innerhalb dieser drei Phasen nach den wichtigen Lebenswelten, wechseln 13 Prozent aller im Berufsleben stehenden Haushalte pro Jahr ihre Lebenswelt. Dies ist sehr häufig mit einem Markenwechsel verbunden ist, zum Beispiel durch Geburt eines Kindes, Berufswechsel, Wohnortveränderung, Heirat oder Einkommensverschiebungen.

  2. Mediaplanung auf Basis von Käufergruppen: Viele Jahre haben wir die große Lücke zwischen Marketingzielgruppen und Mediazielgruppen beklagt, da in den klassischen Mediauntersuchungen Marken nicht nach Käufer- beziehungsweise Verwendergruppen differenziert werden. Diese Phase ist heute überwunden, da es durch Datenfusion zwischen Paneldaten und den klassischen Mediauntersuchungen nun möglich ist, zum Beispiel im Fernsehen zu bestimmen, in welchen Sendern, Sendungen und Blocks, man wie viele der angestrebten First Choice Buyer, Second Choice Buyer und Competitive Choice Buyer erreicht.

    Empirische Untersuchungen über viele Marken haben gezeigt, dass das Mediennutzungsverhalten sogar bei der Mediengattung zwischen First Choice Buyern und Second Choice Buyern überraschend unterschiedlich ist und erst recht bei der Betrachtung der einzelnen Medien. Generalisierende Regeln sind hier nicht möglich, sondern der optimale Mediaplan muss für jede Marke differenziert ermittelt werden. So liegen zum Beispiel bei einer Marke wie Becks die Fernsehinteressen der First Choice Buyer primär bei Science Fiction- Filmen, Talkshows am Abend, Popmusik, Comedyshows und Wissenschaft, während die Second Choice Buyer von Becks Gameshows, Unterhaltungsserien, Sportsendungen, Nachrichtenjournalen und Komödien bevorzugen.

    Ein entscheidender Unterschied zur bisherigen Planung auf Altersklassen von 20 bis 49 Jahren liegt darin, dass Marken, die ihre Mediapläne mit Hilfe von differenzierten Käufergruppen, respektive Verwendergruppen bilden, zu ganz anderen Mediaplänen kommen als der Wettbewerb, während man sich ganz zwangsläufigl bei uniformen Zielgruppenvorgaben 20 bis 49 Jahre in den gleichen Sendungen trifft und sich so wechselseitig neutralisiert.

  3. Zweistellige Leistungsverbesserungen im Mediabudget und gleichmäßige und gesicherte Käuferansprache: Eines der am intensivsten beworbenen Segmente des Konsumgütermarktes ist der Joghurtbereich. 7,6 Millionen Euro wurden pro Produkt in neun Monaten investiert und pro Woche wurden 2 340 Spots ausgestrahlt. Für eine willkürlich ausgewählte Joghurtmarke erreicht man bei einer Planung auf Haushaltführende 20 bis 49 Jahre nur 65,6 Prozent der tatsächlichen Käufer, aber bei einer Planung auf Käufern 85,2 Prozent. Und das bei gleichem Budget. Das allein entspricht einem Effizienzvorsprung von 30 Prozent.

  4. Aufbau eigener Reichweiten: Auch Marken mit einem Millionenpublikum müssen zur Pflege ihrer First Choice Buyer mit diesen in einen Dialog eintreten. Nur dann besteht die Chance, den Übergang von einer Lebenswelt in die andere bei den verschiedenen Käufergruppen überhaupt zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren und außerdem den Stammkunden das Gefühl zu vermitteln, sie individuell zu behandeln und Markenloyalität zu belohnen. Dazu ist eine Zweisäulenstrategie im vertikalen Sinne notwendig, d.h. ein Stufenkonzept, beginnend mit Massenmedien, die vor allem auf Competitive Choice Buyer und Second Choice Buyer zielen, konsequent integriert mit einer one-to-one-Mediastrategie, also dem Aufbau eines Datenpools mit Hilfe der neuen Medien, vor allem des Internet. Dieser Datenpool hat die Aufgabe, Second Choice Buyer in First Choice Buyer zu konvertieren und Stammkunden zu stabilisieren.

    Geht man von einem durchschnittlichen First Choice Buyer Anteil von 45 % aus, so ist das in etwa auch die Größenordnung, die der Datenpool pro Marke, gemessen am Käuferpotenzial auch anstreben sollte. Durch attraktive Aktionen, mit entsprechenden Incentives, ist es, wie zum Beispiel im Fall Haribo, Mc Donalds oder Coca Cola durchaus möglich, pro Aktion mehr als eine Million interessante Leads zu gewinnen und diese dann über ein Permissionsprogramm und ein Relationship-Programm mit Hilfe von e-CRM Spezialisten kontinuierlich zu pflegen. Einige der führenden globalen Markenunternehmen haben mit dieser Methode hervorragende Erfahrungen gemacht und investieren zum Teil bereits einen zweistelligen Anteil ihrer Spendings in den internetbasierten Aufbau und die Pflege eines Datenpools zur Stabilisierung der Markenloyalität.

Jede Marke stehe in den nächsten Jahren vor der Herausforderung ihre Zielgruppendefinitionen auch in Massenmedien auf Käufer, respektive Verwender zu konzentrieren, sich aber auch von diesen durch den Aufbau eigener Reichweiten etwas unabhängiger zu machen, erklären die Autoren. Solange diese Hausaufgaben nicht gemacht sei, sei die erschreckend hohe Erosionsrate, die mit Hilfe der Paneldaten von GfK unanzweifelbar nachgewiesen werde, nicht Schicksal, sondern Versäumnis.

www.serviceplan.de
www.gfk.de