Die Lage am deutschen Arbeitsmarkt ist ohnehin seit Jahren angespannt – die Folgen der Corona-Pandemie scheinen diese Entwicklung weiter verstärkt zu haben. Eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vom August hat gezeigt, dass fast alle Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen zu wenige Bewerbungen erhalten und ein Rekordhoch an unbesetzten Stellen verzeichnen.
Wenn es um mögliche Lösungsansätze im Kampf um Arbeitnehmer*innen geht, fällt häufig auch der Begriff des Hochschulmarketings, doch seine Doppeldeutigkeit ist durchaus irreführend. Nimmt man Hochschulmarketing wörtlich, handelt es sich um Kampagnen, die eine Hochschule selbst betreibt, beispielsweise um Schulabsolvent*innen von dem eigenen Studienangebot zu überzeugen und in die eigenen Hörsäle zu locken. So führt auch die Technische Universität Dortmund ein eigenes Referat für Hochschulmarketing, das sich für Events am Campus und in Schulen einsetzt und die PR-Strategien der Hochschule konzipiert und umsetzt. Orientiert man sich jedoch an den Ergebnissen von Internetsuchmaschinen, bezeichnet Hochschulmarketing vor allem das, was seitens der Unternehmen an Hochschulen unternommen wird, um Studierende als Arbeitnehmer*innen zu gewinnen.
New Work: Unternehmen müssen ihren Arbeitnehmer*innen immer mehr anbieten
New Work meint den strukturellen Wandel der gesamten Arbeitswelt, geprägt durch Digitalisierung und Globalisierung: weg von einem traditionellen Arbeitgebermarkt und hin zu einem Markt mit Fokus auf Arbeitnehmer*innen. Unternehmen sehen sich zunehmend dazu gezwungen, sich ausgiebiger mit den Bedürfnissen und (ideologischen) Werten ihrer potenziellen Arbeitnehmer*innen zu beschäftigen und sich diesen anzupassen – Stichwort Employer Branding.
Werte wie Nachhaltigkeit, Weltoffenheit und Liberalität rücken immer weiter in den Fokus heranwachsender Generationen. Aber auch neue Arbeitszeitmodelle und Remote Work werden zunehmend gefragt. Um rechtzeitig Nachwuchs für die eigenen Unternehmen zu begeistern, setzen Personalabteilungen also immer häufiger auf direktes Hochschulmarketing. Was aber bedeutet das eigentlich genau?
Zwischen Vermittlungsagenturen, Career Service und Firmenmessen
Events wie die „GWA Junior Agency“, ein Wettbewerb des Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA), haben sich zur Aufgabe gemacht, zwischen Studienabsolvent*innen und Unternehmen der Kommunikations- und Marketingbranche zu vermitteln. GWA-Vorstand Phillip Böndel erklärt das Vermittlungskonzept: „Studierende unterschiedlicher Disziplinen erarbeiten ein Semester lang gemeinsam mit Agenturen Kommunikationslösungen für reale Kundenaufträge und präsentieren diese am Ende einer Jury. Schon viele Agenturen haben dadurch neue Talente gewonnen, für viele Teilnehmer*innen war das der Start einer spannenden Karriere in der Branche.“
Wer einen Blick auf die Gestaltung des Informations- und Abendprogramms von Hochschulen wirft, wird schnell feststellen, dass beinahe jeder Lehrstuhl Ringvorlesungen und Veranstaltungsformate anbietet, bei denen Studierende die Möglichkeit erhalten, sich über praktische Einsatzbereiche ihres Studienfachs zu informieren. Auch klassische Arbeitgebermessen im Hörsaal sind Gang und Gäbe. Was für die Studierenden eine wichtige Orientierung darstellen kann, gibt auf der anderen Seite auch Arbeitgebern die Möglichkeit, sich ihrer Zielgruppe zu präsentieren und eine höhere Aufmerksamkeit für das eigene Unternehmen zu generieren.
Der eine Schritt zu viel
So wichtig offene Kommunikation und der Draht zu Studierenden für Unternehmen auch sein mögen, so sollte das Maß aller Dinge nie aus den Augen verloren werden: An mancher Stelle hat das Hochschulmarketing Ausmaße angenommen, bei denen einzelne Unternehmen mit hohem finanziellen Sponsoringaufwand große Gamenights oder Partys an Hochschulen organisieren. Sie wollen bei dieser Gelegenheit einen guten Eindruck hinterlassen und mit Studierenden direkt in Kontakt treten. Dass dabei häufig ein wenig realistisches Bild gezeichnet wird, ist durchaus kritisch zu sehen. GWA-Vorstand Böndel warnt Unternehmen vor dem einen Schritt zu viel: „Entscheidend ist, mit potentiellen Bewerber*innen offen, authentisch und glaubhaft zu kommunizieren. Unrealistische oder falsche Versprechungen werden schnell entlarvt.“
Auch die Effizienz des Großeinsatzes ist hier umstritten. Wer also qualifizierte Fachkräfte für sich gewinnen möchte, sollte in der Zukunft eher genau hinschauen und sich auf die gezielten Bedürfnisse der potentiellen Bewerber*innen einlassen als eine Vielzahl an ineffizienten Marketingstrategien aufzufahren.