Es war wahrscheinlich, wenn man nicht gerade an diesem Tag auf die Welt gekommen ist, heiratete oder ein Kind bekam, ein Tag wie jeder andere auch. Was aber passierte denn nun an diesem Tag?
Am 30. April 1993 wurde das Internet für die Öffentlichkeit freigegeben. Das war es auch schon. Für die meisten Unternehmen wurde es erst so richtig interessant, als man die Bedeutung von E-Mails und die Möglichkeiten einer eigenen Web-Site erkannte. Heute hat das Internet ganze Branchen verändert, beziehungsweise ist dabei ganze Branchen zu verändern.
Das gilt vor allem für die Medienwelt, in der eine nie zuvor dagewesene Gratiskultur entstand. Das gilt für den stationären Handel, der erkennen muss, dass immer mehr Geschäft ohne echte Verkaufsfläche gemacht wird. Und das gilt natürlich auch für die Marketing- und Kommunikationslandschaft, die durch dieses neue Medium ganz neue Möglichkeiten erhielt, wie man mit den Kunden interaktiv kommunizieren kann. Und natürlich veränderte das Internet auch die Welt der Computer und der Mobiltelefone nachhaltig.
Daneben hatte das Internet auch nachhaltige Auswirkung auf unser tägliches Leben, darauf, wie wir mit anderen kommunizieren, wie wir uns heute informieren, wie wir unseren Tagesablauf einteilen. So ist – speziell etwa für viele Jugendliche – ein Blick auf Facebook oder ein anderes soziales Netzwerk die erste Aktivität am Tag.
Typische Reaktion
Wie aber gehen die meisten etablierten Unternehmen mit solchen „kleinen“ Entwicklungen am Rande um?
Reaktion 1: Negieren! Der einfachste Weg, um auf Veränderungen zu reagieren, ist, diese einfach zu negieren. Die ideale Aussage dazu: „Das mag für einige interessant sein, aber das wird sich so nie wirklich durchsetzen.“
Reaktion 2: Verbal reagieren! Wenn man dann merkt, dass die Idee doch an Marktbedeutung gewinnt und vielleicht sogar dem eigenen Unternehmen Markt- und Gewinnanteile kostet, treffen viele folgende Aussage: „Noch ist der Markt zu klein, wenn er aber an Bedeutung gewinnt, werden wir diesen mit unserer starken Marke erobern.“ So meinte einst der CEO von Barnes & Noble über die Anfangserfolge von Amazon: „Die machen einen großartigen Job. Aber wenn wir in den Markt einsteigen, werden wir sie vom Markt fegen.“
Reaktion 3: Integrieren! Wenn man dann die Entwicklung nicht mehr aufhalten kann, versucht man in der Regel das neue Geschäftmodell in das eigene bestehende zu integrieren. So lauten aktuell in Bezug auf das Internet sicher die beiden „heißesten“ Schlagwörter: Konvergenz und Multi-Channel. Deshalb lancierte dann Barnes & Noble die Markendehnung bn.com, um Amazon vom Markt zu fegen.
Die wertvollsten Internetmarken
Nur genauso nutzt man nie das neue Geschäftsmodell voll, weil man immer versucht, es in das alte Geschäftsmodell zu integrieren. Früher suchte man in den Gelben Seiten. Heute sucht man bei Google. Früher kaufte man Bücher bei Thalia, heute bei Amazon. Früher kaufte man Schuhe bei Deichmann, heute immer öfter bei Zalando.
Die neuen Spezialmarken im Internet sind die klaren Gewinner. Dazu sollte man einen Blick in die Top 100 von Interbrand im Jahr 2013 werfen:
Platz 2: Google (Wert: 93,291 Milliarden US$)
Platz 19: Amazon (Wert: 23,620 Milliarden US$)
Platz 28: eBay (Wert: 13,162 Milliarden US$)
Platz 52: Facebook (Wert 7,732 Milliarden US$)
So haben es bereits vier reine Internetmarken in die Top 100 geschafft und es werden sicher noch mehr werden. Und man denkt spontan etwa an YouTube.
Zwei Welten, zwei Marken
Wie aber sollten Unternehmen dann mit diesen Entwicklungen am Rande wirklich umgehen?
1. Immer den Rand des Marktes beobachten: Viele Unternehmen sind viel zu sehr auf die Entwicklungen in der Mitte des Marktes konzentriert und übersehen so, was am Rande passiert.
2. Niemals Ideen am Rande unterschätzen: Nehmen Sie etwa Coca-Cola und Red Bull. So brauchte die Coca-Cola-Company zwölf Jahre, um selbst einen eigenen Energydrink (KMX) zu lancieren. Die gesamte Schuhindustrie negierte die Idee „atmet“ und damit die Marke Geox. Alle Staubsaugererzeuger dieser Erde negierten die Idee „beutellos“ und damit die Marke Dyson. Die gesamte Kaffeeindustrie reagierte viel zu spät auf Nespresso. (So gibt es dieses Kaffeekapselsystem bereits seit 1991 in der bestehenden Form.) Alle etablierten Fluglinien in Europa negierten die Idee „Diskontfluglinie“ und damit die Marke Ryanair. (So wurde diese Marke auch bereits 1985 gegründet.)
3. Selbst eine eigene Marke lancieren oder den Herausforderer frühzeitig kaufen: Dazu einige Fragen: Wie würde Thalia heute dastehen, wenn man auch Amazon besitzen würde? Wie würde British Airways dastehen, wenn man auch Ryanair besitzen würde? Wie würden die Gelben Seiten dastehen, wenn man auch Google besitzen würde? Wie würde Microsoft dastehen, wenn man auch Android besitzen würde?
Das große Zukunftsproblem von McDonald’s
All dies sollte man auch bei McDonald’s bedenken. McDonald’s ist heute die größte und erfolgreichste Restaurantkette dieser Erde. Nur in der westlichen Welt wird das Wachstumspotenzial dieser Marke immer geringer. Es gehen einfach bald nicht mehr Hamburger mit Pommes in uns hinein. Mit McCafe hat man jetzt eine Idee gefunden, um eine noch mögliche Wachstumsphase etwas zu verlängern. Nur irgendwann werden am Rande des Marktes neue Restaurantideen auftauchen, die letztendlich eine Bedrohung für McDonald’s darstellen werden. Deshalb sollte McDonald’s bereits heute beginnen, selbst am Rande des Marktes nach neuen Ideen zu suchen, um selbst neue Marken zu bauen. Wird man dies tun? Wahrscheinlich nicht! Wird man rechtzeitig auf diese neuen kleinen Marken, wenn sie einmal auf dem Radar erscheinen, reagieren? Wahrscheinlich nicht! Wird man dann versuchen, deren Erfolgsmodell in die eigene Marke zu integrieren? Wahrscheinlich schon. Wird dies funktionieren? Wahrscheinlich nicht!
Von Albert Camus lernen
„Große Ideen“, sagte Albert Camus, „kommen sanft wie Tauben in die Welt. Vielleicht hören wir dann, wenn wir aufmerksam lauschen, inmitten des Getöses von Reichen und Nationen ein schwaches Flügelschlagen, die sanfte Regung von Leben und Hoffnung.“ Am 30. April 1993 wurde so eine Idee für die Welt freigegeben. Nur bis heute haben viele Unternehmen noch immer nicht das volle Erfolgs- beziehungsweise auch Bedrohungspotenzial dieser Idee erkannt. Fazit: Achten Sie daher immer auf die kleinen Entwicklungen am Rande des Marktes, um dann richtig darauf zu reagieren! Immer!
Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist Spezialist für strategische Marken- und Unternehmenspositionierung in Rohrbach, Östrreich, Associate bei Ries & Ries und Autor des Buches „Brandtner on Branding“. Sein Blog: www.brandtneronbranding.com