Schöne neue Welten brauchen lange, bis sie bewohnbar sind. Diese Erfahrung muss gerade Mark Zuckerberg machen. Als der Facebook-Gründer im Herbst 2021 die digitale Zukunft ausrief, sparte er nicht mit großen Worten: Die Technik werde das Gefühl von Anwesenheit erzeugen – „als wären wir direkt da mit den Leuten, egal, wie weit entfernt wir tatsächlich sind“. Tatsächlich scheint das Metaverse derzeit sehr weit entfernt. Doch bis wir uns im Sinne Zuckerbergs virtuell begegnen, wird seine Firma Meta noch viel mehr Zeit und Geld investieren müssen, als sie derzeit generiert.
Die Grenzen des Web3 sind deutlich zu erkennen: Neben dem Metaverse definiert vor allem die Blockchain-Technologie die nächste Evolutionsstufe des Internets. Doch auch diese kämpft derzeit um Akzeptanz. Während Kryptowährungen zu volatil für viele Anleger sind, ist das Handelsvolumen von Non-Fungible Tokens (NFTs) massiv eingebrochen. Der Goldrausch scheint also vorbei. Marken sollten trotzdem anfangen, die neuen Technologien zu verstehen und umzusetzen. Sie könnten sonst bald der Vergangenheit angehören.
Wie wichtig First Moving für Unternehmen ist, weiß Renata DePauli. Im Jahr 1997, zwei Jahre bevor in einem Werbespot Boris Becker das Netz entdeckte, kaufte DePauli die Domain „herrenausstatter.de“. Kurz darauf eröffnete sie dort den ersten Onlineshop für Herrenmode in Deutschland. 25 Jahre später testet die E-Commerce-Pionierin ihren ersten Modeshop im Metaverse als Beta-Version, wo Besucher*innen ein virtuelles 3D-Kaufhaus betreten, Bekleidung suchen und die ausgesuchte Ware kaufen und bezahlen können.
„Als wir damit gestartet sind, herrschte ein Hype um das Metaverse. Mittlerweile sind viele Erwartungen enttäuscht worden“, sagt DePauli. Trotzdem gehöre dem Web3 die Zukunft. „Das Metaverse ist nur ein kleiner Teilbereich des Web3. Dort gibt es Möglichkeiten, die unendlich sind.“ Und die würden bald in der Breite genutzt.
Walmart legt Blockchain-Projekt auf Eis
Dass das Web3 große Vorteile für Marken bietet, haben viele Konzerne früh erkannt. So kündigte Walmart bereits 2018 an, die Verfolgung von Lebensmitteln mithilfe von Blockchain zu verbessern. Im Dezember letzten Jahres legte der Einzelhandelsriese dann seine Blockchain-Plattform zur Lebensmittelverfolgung wieder auf Eis. Zu teuer sei sie. Vor allem die Schulung von externen Anbietern und die Integration der Blockchain in bereits bestehende Systeme, die noch oft papierbasiert sind, seien zu kostenintensiv gewesen. Platzt hier gerade eine Blase?
Die Unternehmensberatung EY bescheinigte dem Web3 im Dezember letzten Jahres eine akute „Phase der Frustration“. Man habe sich von vielversprechenden Entwicklungen blenden lassen, beispielsweise davon, dass jüngere Generationen immer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbrächten. Auch hätten Übertreibungen und Euphorie dazu geführt, dass Marken NFTs ohne Strategie auf den Markt gebracht hätten.
Web3 soll ein Mittel sein, kein Zweck
Das seien gefährliche Pfeiler, auf die man sich bei der Entwicklung einer langfristigen Strategie nicht verlassen sollte, urteilt EY. Doch das Web3 stehe nicht vor dem Ende. Es solle als Mittel verstanden werden, nicht als Zweck: „Ein Mittel, um den Kundennutzen zu erfassen, einen Mehrwert zu bieten und diesen Wert zu fördern.“
Diesen Weg möchte Renata DePauli bestreiten. So will sie noch in diesem Jahr die Authentifizierung ihrer Kundschaft über die NFT-Technologie testen. Damit würden Kund*innen die Hoheit über ihre Daten behalten. „Ich schaffe so als Shop-Betreiberin einen Mehr- und Nutzwert und hebe mich von der Konkurrenz ab“, sagt die Unternehmerin. Auch sie glaubt nicht an das Ende des Web3. Es sei nicht das Interesse zurückgegangen, nur Ruhe eingekehrt. „Jetzt muss man sich anschauen: Was ist wirklich machbar und was ist nur Spielerei?“
Gerade in der Fashion- und Luxury-Branche versucht man derzeit, auf spielerische Weise den Unterschied festzustellen. Die neuen Technologien bieten die Möglichkeit, an neue potenzielle Kund*innen heranzukommen. So gewährte etwa die Marke Balmain im Metaverse Einlass in das private Anwesen des Modeschöpfers Pierre Balmain aus den 50er-Jahren. Auch Gucci will mithilfe der Blockchain-Marketingfirma Yuga Labs NFTs nutzen, um junge Käufer*innen anzusprechen. Das Investmentbanking-Unternehmen Morgan Stanley schätzt, dass sich der Wert der digitalen Modeindustrie im Metaverse bis 2030 auf 50 Milliarden Dollar belaufen könnte.
Auf dem deutschen Modemarkt sieht Renata DePauli jedoch wenig Bewegung. „Auch für meine Lieferanten ist das Web3 kein Thema. Nachhaltigkeit ja, aber ich sehe in dem Bereich nur wenige Ausnahmen, die sich mit den neuen Technologien wirklich intensiv auseinandersetzen.“ Ihrer Meinung nach täten Unternehmen gut daran, das Web3 zu erkunden. „Marken müssen unbedingt daran teilnehmen. Wir erleben hier eine Revolution, ein komplettes Umdenken.“
Noch fünf Jahre brauche es, bis Krypto, NFTs und Co. zu unserem Alltag gehörten, schätzt sie. Ob wir dann auch unsere Outfits in Zuckerbergs neuer Welt zusammenstellen werden, bleibt zu bezweifeln. Doch auch wenn die Revolution langsam voranschreitet: Sie wird kaum abzuwenden sein.