Die Kunst des klugen Kaufens oder: Wege aus der Einkaufsfalle

Einkaufen ist kompliziert geworden. Produkte und Verkäufer locken mit guten Preisen und guten Gewissen, die Auswahl steigt derweil unaufhörlich. Wie soll man da noch vernünftige Entscheidungen treffen? ZEIT-Autor Marcus Rohwetter und Wirtschaftsjournalist Thomas Ramge geben ein paar Tipps für einen entspannten aber vernünftigen Konsum.
Aus der Region oder nur in der Region verpackt? Alles möglich

Gastbeitrag von Thomas Ramge & Marcus Rohwetter

Shopping wird auch nicht einfacher. Werber sagen, wir sollen durch Einkauf unseren Lebensstil ausdrücken. Umweltschützer sagen, wir sollen nur moralisch saubere Produkte kaufen. Verbraucherschützer sagen, wir sollen nicht zu viel bezahlen. Und Ökonomen sagen, wir sollten noch viel mehr kaufen und das Wirtschaftswachstum antreiben. Wann ist Konsum eigentlich so kompliziert geworden? Und wie soll man in diesem Durcheinander eigentlich noch vernünftige Entscheidungen treffen? Schonen wir unsere Nerven. Erlernen wir die Kunst des klugen Kaufens!

Diese Kunst besteht nicht in der permanenten Schnäppchenjagd. Die Kunst beherrscht, wer – im Rahmen des persönlichen Budgets – einen entspannten Umgang mit Geld pflegt. Kluge Käufer wissen, dass Konsum nicht glücklich macht, aber auch keine Krankheit ist. Sie haben eine pragmatische Haltung und praktizieren diese zwischen oberschlauen Verkäufern und oberkritischen Verbraucherschützern.

Wir müssen dazu nur ein paar Spielregeln erlernen, die Verkäufer anwenden – ganz egal, ob sie uns einen Sack Kartoffeln, einen neuen Style oder ein gutes Gewissen andienen. Der geschulte Verkäufer in der City-City-Boutique und ein Verkaufsalgorithmus im Onlineshop haben mehr gemein, als es auf den ersten Blick aussieht. Beide sind darauf getrimmt, uns auf unserer Customer Journey zu begleiten. Das ist eine “Reise”, bei der man die Kunden irgendwo abholt und dann ans Ziel bringt. An die Kasse. Die Frage ist, ob wir mitgehen. Und wenn ja, wie weit.

Ein bisschen Menschenverstand hilft gegen Verwirrung

Erstens: Lassen wir uns nicht verunsichern! Das ist die wichtigste Regel, denn unsichere Menschen sind lenkbar. Sie ergreifen die rettende Hand, die sie ans Ziel zu bringen verspricht. Siehe oben.

Unsicherheit lässt sich leicht erzeugen. Mobilfunkkonzerne haben zwei Jahrzehnte Erfahrung darin, Tarifstrukturen so übersichtlich zu gestalten und so oft zu ändern, dass niemand mehr den Überblick behält. Finanzberater arbeiten nach dem selben Prinzip, wenn sie unsere Rentenlücke mit Produkten füllen möchten, die vor allem durch ihre vielen Unvorhersehbarkeiten beeindrucken. Sie überschreiten oft die Grenze zum Angstmarketing. Und Modemuffel kapitulieren im Warenhaus vor Hunderten von Hosen oder Pullovern. Wer aber angesichts dessen auf curated shopping im Internet hofft, gibt seinen Verkaufsbetreuern gleich freie Hand.

Bei Lebensmitteln ist die Verwirrung längst perfekt. Hersteller preisen jeden Snackriegel als gesundheitsförderndes Grundnahrungsmittel an, doch NGOs entdecken jede Woche irgendwo neue krebserregende Schadstoffe. Beurteilen können wir das alles nicht. Aber mit etwas gesundem Menschenverstand kämen kluge Konsumenten schon ziemlich weit. Dann würden sie sich möglichst breit ernähren – und zugleich ihr Risiko minimieren und die Vielfalt steigern. Vertrauen wir also auf unser eigenes Urteil.

Umweltfreundliche Produkte sind das kleine von zwei Übeln

Zweitens: Misstrauen wir unseren Lieblingsfloskeln! Das sind die, die wir gar nicht mehr hinterfragen. “Natürlich und ohne Chemie” ist so ein Beispiel, das Produkte vertrauenswürdig macht. Dabei gäbe es ohne chemische Verbindungen keine Natur. Und wie sanft und lieb die Natur wirklich ist, können Sie ja mal bei einem ganz natürlichen Maiglöckchensalat ausprobieren.

In Drogerien begegnen uns solche Floskeln massenhaft. Wie viele Cremes und Badeöle sind “dermatologisch getestet”. Da steht, dass sie getestet wurden. Da steht nichts vom Ergebnis. Das stellen wir uns nur vor. “Umweltfreundlich” soll ein Produkt sein? Pah! In der Praxis bedeutet das, dass ein Produkt die Umwelt nur etwas weniger stark schädigt als ein anderes. Umweltfreundliche Produkte sind das kleine von zwei Übeln. Würden wir einen Gewalttäter als menschenfreundlich beschreiben, nur weil er uns einen statt beide Arme bricht?

So geht das immer weiter. Auch als “regional” verkaufte Produkte können so global sein wie eh und je. In Hamburger Supermärkten wurde lange Orangensaft als Produkt “aus der Region” verkauft, weil er hier neu verpackt wurde. War das die Idee der Regionalität? Orangensaft? Aus Hamburg? Aber es gibt eine Lösung: Kurz nachdenken! Notfalls auch etwas länger. Wenn man uns die Zeit dazu lässt (woran aber niemand ein Interesse hat).

Klug shoppt, wer die Muster der Verkäufer kennt

Drittens: Lassen wir uns nicht unter Zeitdruck setzen! Durch die Furcht, leer auszugehen, die tief in unseren Genen steckt und aus einer Zeit kommt, in der man besser Reserven angefuttert hat, wenn es mal etwas gab.

Nur aus dieser Logik heraus gibt es Amazons “Angebote des Tages”. Wir sollen nicht mehr darüber nachdenken, ob wir etwas brauchen. Wir sollen Angst haben, dass es bald weg ist. Nur deswegen werfen Hersteller aller möglichen Waren “limited editions” auf den Markt. Was das Zeug auch nicht besser macht. Schon der große Comedian Jerry Seinfeld sagte mal, dass limited editions nur limitiert seien auf die Zahl der Produkte, die sich verkaufen lassen. Es gibt auch hier eine Lösung: Entziehen wir uns dem Zeitdruck. Erinnern wir uns daran, das wir in einer Überflussgesellschaft leben.

Klüger shoppen heißt, die Muster der Werber und Verkäufer erkennen. Wenn wir sie uns beim Kauf bewusst machen, finden wir das richtige Maß zwischen Vernunft und Freude, zwischen Kopf und Herz. Unser Alltag ist ein ökonomisches Spiel. Spielen wir entspannt mit. Natürlich werden wir dabei auch in Zukunft in Situationen geraten, in denen uns cleveres Marketing für dumm verkauft. Aber selbst dann können wir immer noch den Preis hochtreiben.


Die Autoren – Cover 300 dpi (1)Marcus Rohwetter ist Wirtschaftsredakteur und Kolumnist der ZEIT. Er wurde für seine Arbeiten vielfach ausgezeichnet, zuletzt unter anderem mit dem Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik. Seit 2012 schreibt er im Wirtschaftsteil der ZEIT seine wöchentliche Kolumne Quengelzone.

Thomas Ramge ist Technologie-Korrespondent für des Wirtschaftsmagazin brand eins und schreibt als Contributing Editor für The Economist. Er war Redakteur beim SWR, Politischer Korrespondent bei Deutsche Welle TV und Chefredakteur des Berater-Magazins think:act. Er wurde mit diversen Journalistenpreisen wie dem Herbert Quandt Medienpreis ausgezeichnet.

Das Buch – Der Reiseführer für Ihre nächste Customer Journey: Thomas Ramge & Marcus Rohwetter, „Nimm 2, zahl 3 – Die Kunst des klugen Kaufens“, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2016; 256 Seiten; 12,99 Euro. ISBN 978-3-499-63163-4