Die Insolvenz als Chance

Machen wir uns nichts vor: Die Insolvenz der Kirchmedia birgt im Grunde für Teile des Konzerns und für die deutsche Medienlandschaft insgesamt große Chancen.

Grundlage dafür ist allerdings dass man akzeptiert, dass der vertikal integrierte Medienkonzern à la Kirch tot ist. Das Geschäftsmodell von Kirch beruhte darauf, von der Produktion des Contents bis zu dessen Verwertung über Video, Pay- oder Free-TV alles in einer Hand zu behalten. Eine solche vollständige Integration der Wertschöpfungskette ist typisch für unreife Branchen, in denen einzelne Sektoren noch derart unterentwickelt sind, dass ein „Alles aus einer Hand“ erhebliche Synergien verspricht. Auch die Automobilindustrie hat einmal so angefangen.

Die Fernsehbranche ist aber gereift. Es gibt inzwischen ausreichend viele Spezialisten für Produktion, Vermarktung und Broadcasting. Jetzt engt die Gruppenzugehörigkeit die einzelnen Teile des Firmengeflechts, unter denen sich einige ausgesprochene „Perlen“ befinden, sogar eher ein. Dies trifft weniger auf mehr oder minder reine Spielfilmkanäle zu, da ist Kirch ja eine hervorragende Quelle, sondern vielmehr auf die Vollprogramme. SAT 1 könnte stärker dastehen, wenn es in seiner Programmgestaltung höhere Freiheitsgrade hätte. Beispiel RTL : Dort ist man erfolgreicher, weil Gerhard Zeiler ganz als Senderchef agieren kann und nicht auf irgendwelche Verwertungsnotwendigkeiten Rücksicht nehmen muss! Wenn man Ausstrahlungslizenzen optimal nutzen will, macht eigentlich macht nur ein Verbund von Unternehmen einer Wertschöpfungsstufe, sprich eine Kooperation mehrer Sender, Sinn.

Es bringt nichts, den Kirch-Konzern als ganzes zu erhalten. Auch die Nachfahren Henry Fords produzieren schließlich das Gummi für die Reifen nicht mehr selbst. Eine eigenständige Weiterführung des Free-TV erscheint dringend geboten. Die Übernahme dieser Aktivitäten durch deutsche Medien-Konzerne ist aber kritisch. Bertelsmann darf höchstens Kleinstsender übernehmen, da deren Marktanteil ansonsten zu hoch wäre, Springer und WAZ haben gelernt, dass die Position als reiner Programmzulieferer auch nicht unattraktiv ist. Berlusconi und Murdoch sind in erster Linie Geschäftsleute, das hat sich jetzt auch in ihrer Vorsicht im Vorfeld der Insolvenz wieder gezeigt. Eine Alternative wäre ein mittelfristiges Halten der Anteile durch die Banken mit einem dann anschließenden Börsengang. Ein reiner Broadcaster wäre für die Börse ein attraktiver Kandidat.

Eine weitere Perle neben den sehr gut organisierten Produktionsaktivitäten ist der Rechtehandel, da es hier auf dem unterentwickelten Markt für Film- und Eventrechte nur wenige andere Player gibt. Aber auch die Rechte, die Kirch im Sportbereich sowie bei Spielfilmen erworben hat, sind nicht mehr das wert, was sie einst gekostet haben. Sie wurden auf dem Höhepunkt eines multiplen Hypes erworben: Der Werbemarkt schien unendlich zu boomen, das Internet galt als der zukünftige Vermarktungskanal für Paid Content und die Börsen finanzierten all diese Träume. Jeder von ihnen ist inzwischen verflogen.

Ohne den Verzicht mindestens einer Seite ist das kollabierende System nicht mehr zu retten. Die Rechtegeber sitzen dabei nur vermeintlich am längeren Hebel, denn sie haben sich mit langfristigen Verträgen noch Preise gesichert, die sie heute für ihre Rechte nicht mehr erzielen könnten. Abgesehen davon, dass diese Kontrakte möglicherweise schon jetzt nicht mehr zu erfüllen sind – wenn die Rechtegeber jetzt nicht nachgeben, werden sie in einigen Jahren keine kapitalstarken Abnehmer mehr vorfinden. Sie sägen an dem Ast, auf dem sie auch in 10 Jahren noch sitzen möchten.

Auch für Premiere sieht es zukünftig schlecht aus: In einem Land wie Deutschland, das schon an einer Free-TV-Übersättigung „leidet“, besteht naturgemäß kein überbordender Bedarf an Pay-TV. Eine Chance bietet hier nur absoluter Premium-Content, der über andere Kanäle, Free-TV, Videotheken etc., nicht zu bekommen ist. Alle anderen Inhalte sind nur mit Abschlägen vermarktbar. Deshalb braucht das Pay-TV in Deutschland ein intelligenteres Programm- und Preissystem. Wenn man Pay-TV will, wird man auch über andere Exklusivverwertungszeiten in den einzelnen Kanälen nachdenken müssen (z.B. spätere Free-TV-Ausstrahlungen) und darüber, ob die technische Infrastruktur des Pay-TV, die „D-Box“, nicht auch für andere Anwendungen und Anbieter geöffnet werden muss, um an sich attraktiver zu sein.

Der nächste Knackpunkt: die Rolle der Politik. Sie setzt im Medienbereich Rahmenbedingungen, die kaum zu erfüllen sind. Im Bereich der Produktion und Vermarktung aber auch der technischen Verbreitung audiovisueller Medien (Stichwort: Kabel) sind deutsche Investoren gewünscht, die viel Geld mitbringen, um ein Angebot auf dem neuesten Stand der Technik sicherzustellen, die aber akzeptieren müssen, dass sie durch zahlreiche Regelungen eingeengt sind und die möglichst allen politischen Lagern heftigste Sympathien entgegen bringen, aber solche Investoren gibt es nicht. Deshalb muss die Politik klar entscheiden, was ihr wirklich wichtig ist. Das hat sie schon bei der Privatisierung des Kabels nicht gewusst und jetzt wirkt sie ähnlich ratlos. Die deutsche Medienpolitik braucht jetzt eine klare Strategie, es ist Zeit zum Umdenken.

Dr. Michael Paul ist Partner und Medienexperte von Simon, Kucher & Partners
mpaul@simon-kucher.com.

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