Mr. Bruno, im digitalen und sozialen Marketing sind die USA der Entwicklung in Deutschland voraus. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Trends?
JAMES BRUNO: Marketer haben keine Deutungshoheit mehr über ihre Botschaft. Kommunikation hat heute viele Facetten, und die Geschwindigkeit ist sehr hoch. In unserem extrovertierten Zeitalter sind die, die man erreichen will, ständig beschäftigt, sie kommunizieren mobil auf Facebook, Twitter, Pinterest oder Instagram. Alles ist „on demand“, Entscheidungen müssen sehr schnell gefällt werden. Im Marketing bedeutet das, Verantwortung nach unten zu delegieren und Mitarbeitern im direkten Kundenkontakt Freiraum zu geben. So etwas wäre früher unvorstellbar gewesen.
Sie öffnen die Tür zu einer Welt, in der die sozialen Medien bereits die Unternehmensstrukturen verändern. Dabei haben viele deutsche Unternehmen nicht einmal eine Präsenz auf Facebook.
BRUNO: Das mag sein. Aber nur die Unternehmen, die in der Lage sind, den Wandel anzunehmen und auf vielen Kanälen präsent zu sein, werden auf Dauer erfolgreich sein. Es gibt durchaus Firmen, die ihr digitales und soziales Marketing sehr clever gestalten.
Viele Marketer fühlen sich überrannt von der rasanten Entwicklung im Netz – immer neue soziale Medien, die es gestern noch gar nicht gab.
BRUNO: Die Herausforderung liegt in der Tat in der Vielfalt der Medien und der Kommunikation, die auf so vielen Kanälen gleichzeitig geführt wird. Es gibt nicht mehr die eine Quelle für Geschichten, die man erzählen will. Zugleich ist das aber eine Chance, Zielgruppen genau dort abzuholen, wo sie stehen. Wir alle empfangen Informationen unterschiedlich. Wenn Sie wissen wollen, wie gut ein Produkt ist, suchen Sie vielleicht über Google. Ein anderer fragt seine Facebook-Community. Der Dritte kauft ein Fachmagazin.
Woher sollen kleinere Unternehmen die Ressourcen nehmen, um neben der traditionellen Kommunikation auch noch online omnipräsent zu sein?
BRUNO: Das ist aus meiner Sicht nicht der Punkt. Es geht eher darum, ob die Unternehmen begreifen, welche massive Umwälzung im Marketing passiert, und ob sie willens sind, ihre Budgets dahin umzuschichten, wo die Zukunft liegt. Wir bieten hervorragende Softwarelösungen, die eine effektive Onlinekommunikation unterstützen.
Inwiefern?
BRUNO: Wir haben beispielsweise ein Social-Media-Monitoring. Das heißt, wir überwachen das Universum der sozialen Medien und bringen, was da läuft, zu unseren Kunden, in einem kompakten Format. Was wird über sie gesagt, über ihre Konkurrenten, über die Branche? Das Schöne ist zudem, es ist Software in der Cloud.
Sie haben noch ein anderes Produkt, die sogenannte Marketing-Suite. Warum gibt es davon keine deutsche Version – Datenschutzprobleme?
BRUNO: Wir müssen Aufwand und Ertrag abwägen. Der Entwicklungsaufwand für eine deutschsprachige Version wäre hoch. Es stimmt aber, dass uns die Datenschutzgesetzgebung in Deutschland vor andere Herausforderungen stellt als in Großbritannien oder in den USA .
Vocus ist in dieser jungen Branche fast schon ein Dinosaurier, seit über 20 Jahren auf dem Markt. Wo steht Ihr Unternehmen heute?
BRUNO: Es gibt derzeit in den USA genau 947 Unternehmen in diesem Feld. Die meisten bieten Einzellösungen, von E-Mail-Marketing bis zu Web Analytics. Wir nennen das Point Products. Unser Vorteil ist, dass wir die meisten dieser spezialisierten Angebote integriert haben. Wir betrachten uns als Marktführer.
Wie wichtig ist der europäische Markt für Vocus? Sie hatten mal ein Büro in Düsseldorf, aber operieren heute vornehmlich von London aus, warum?
BRUNO: Wir wollen auf dem europäischen Markt wachsen und sind zum Beispiel auch in Frankreich über eine Akquisition vertreten. Aber wenn Sie sich internationale Geschäftsmodelle ansehen, werden Sie feststellen, dass viele von einem zentralen Hub aus operieren. Technisch ist es heute kein Problem mehr, Kunden von einer Zentrale aus zu betreuen, und bei Bedarf kommen unsere Repräsentanten vor Ort. Die Wege in Europa sind ja nicht weit, in einer Stunde sind wir von London aus in Berlin oder Frankfurt. Wir beschäftigen deutsche Muttersprachler im Vertrieb, im Servicebereich und im Research.
Lassen Sie uns über Ihre Branche reden. Marketingsoftware scheint derzeit einen Boom zu erfahren. Warum?
BRUNO: Je mehr die Budgets gekürzt werden und der Konkurrenzdruck steigt, desto wichtiger werden in den Marketingabteilungen der Unternehmen effiziente Lösungen. Entsprechend entwickelt sich der Markt und bringt eine Fülle von Angeboten hervor. Andere Unternehmensbereiche haben es vorgemacht – etwa Human Resources oder das Finanzwesen, wo integrierte Software heute nicht mehr wegzudenken ist. Eine ähnliche Entwicklung wird sich im Marketing vollziehen.
Wie stark sind die Unterschiede international? Amerikaner gelten traditionell als offener, was die Akzeptanz von Marketing angeht.
BRUNO: Nach meinem Eindruck nehmen die Unterschiede ab. Viele Innovationen spielen sich in internationalen Städten ab wie London, Berlin, Paris. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Art und Weise, wie sich Nachrichten und Ideen verbreiten, kann keiner ignorieren.
Wie sieht das Marketing der Zukunft aus? Wie stark wird es von Technik getrieben?
BRUNO: Das ist die große Frage. Digitales Marketing und Innovation in der Kommunikationssoftware haben sich in einem so aberwitzigen Tempo entwickelt, dass die Antwort heute wohl keiner weiß. Wer kannte vor zwei Jahren Pinterest? Oder Instagram? Heute sind sie aus dem Leben der meisten Amerikaner nicht mehr wegzudenken. Was ich glaube, ist, dass Marketing mehr auf den Menschen bezogen wird – zielgenauer, persönlicher, spannender und dialogorientierter. Mobiles Marketing wird wichtiger werden und die Kommunikation beschleunigen, auch abhängig davon, wo sich der Verbraucher gerade aufhält. Sie laufen an einem Starbucks vorbei? Schon schickt Ihnen das Unternehmen einen Gutschein für einen günstigen Kaffee. So etwas wird kommen – und nicht erst in zehn Jahren.
Wird der Verbraucher nicht irgendwann sagen, ich will nicht mit Angeboten eingedeckt werden, wo ich gehe und stehe?
BRUNO: Wenn die Zeit kommt, wird der Verbraucher sprechen, und der Markt wird darauf reagieren. Wir haben doch heute schon „Do-not-call“-Listen für Telefonmarketing. Man kann sich von E-Mail-Newslettern abmelden. Bis zu einem gewissen Grad können die Kunden die Angebote also kontrollieren. Sie entscheiden auch, über welche Kanäle sie kommunizieren, und damit zugleich über die Art der Information, die sie erhalten. Sie tauschen mit dem einen Unternehmen E-Mails aus und lesen Tweets von einem anderen. Die Unternehmen lernen, die Vorgaben der Kunden zu respektieren. Es ist das, was wir Permission Marketing nennen.
Das Gespräch führte Christine Mattauch.
Sie finden das Interview auch in der heute erschienenen Printausgabe von absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing. Heft 7/8-2014 können Sie ebenso wie die früheren Printausgaben über unseren Onlineshop beziehen.