„Herzlichen Glückwunsch, sie haben das bestgelegene Zimmer in Frankfurt zu ihren Reisedaten ausgewählt“.
Booking.com weiß genau, was Kunden bei der Hotelsuche umtreibt. Es geht natürlich immer darum das beste, günstigste und praktischste Zimmer zu finden. Aber die schiere Auswahl, die das Hotelportal anzubieten im Stande ist, überfordert Suchende latent nicht nur, sondern verändert auch permanent deren Auswahlkriterien. Der letzte Druck auf den Kaufknopf ist immer auch eine Entscheidung gegen potentiell bessere Angebote, die irgendwo im Daten-Nirvana noch lauern.
Booking.com nutzt das gesamte Arsenal des Neuromarketing, um den Kunden zu einer zügigen Entscheidung zu treiben. Die kombinierte Einblendung noch weniger verfügbarer Zimmer mit der aktuell auf der Website suchenden Kundenzahl erzeugt Knappheit. Gleichzeitig versuchen positive Impulse, wie der obige, das Entscheidungsdilemma zu brechen. Der Kunde soll das Gefühl bekommen, die Entscheidung schnell treffen zu können, ohne Gefahr zu laufen, sie später zu bereuen. „Man kann den Kunden nicht genug loben“, meint Neuromarketing-Experte Dan Arielly. Neben der unmittelbaren Wirkung auf den Kaufimpuls fühlt sich – so der Verhaltensforscher – der Kunde im gesamten Kauferlebnis wohler. Das habe auch Potential für eine spätere Wiederkehr.
Hollywood macht es vor
Kombiniert man diese Erkenntnis mit der Idee des Storytelling, so wird daraus ein ebenso einleuchtendes wie komplexes Kommunikationsgerüst. Eine gute Geschichte verfängt dann, wenn der Erzähler immer die Impulse setzt, die zur aktuellen Stimmungslage des Zuhörers passen. Sie können diese gleichsam verstärken, wenn sie dem Zuhörer suggerieren, dass er sich emotional auf dem richtigen Weg befindet. Sie können aber auch verstören, wenn der Erzähler sie aus ihrer Komfortzone locken und vielleicht sogar zu starken Reaktionen antreiben will.
Enes Ünal von den Frankfurter Candylabs hat sich eines der gängigsten Konstrukte des Geschichtenerzählens vorgenommen und auf seine Tauglichkeit für Onlinemarketing und E-Commerce hin abgeklopft. Die Rede ist von der Heldenreise: Einem archetypischen Spannungsbogen, der von Joseph Campbell Mitte des letzten Jahrhunderts ausführlich beschrieben wurde. Mythenforscher Campbell hatte festgestellt, dass das Konstrukt über Jahrtausende hinweg in allen Kulturen immer wieder Anwendung fand. Er zerlegte die „Quest“ in 15 Stufen, die der Held zu durchlaufen hat. Unzählige Hollywoodfilme folgen seit dem diesem Muster und die Heldenreise gehört zum klassischen Lehrstoff an Filmhochschulen. Bei Airbnb fand Enes Ünal fast das gesamte Konzept klug und einfühlsam umgesetzt.
1. Gewohnte Welt
Der Held ist noch keiner. Er widmet sich den Routineaufgaben des Alltags. Auch die Urlaubsplanung ist ein Teil davon. Er bewegt sich auf sicheren Pfaden. Ziel der Kommunikation an dieser Stelle ist die erste Inspiration zu vermitteln. Es wird Zeit, an Urlaub zu denken. Fernweh wird inszeniert.
2. Der Ruf des Abenteuers
Eine Urlaubsentscheidung ist getroffen. Der Held würde den normalen Weg gehen und zum Beispiel bei Booking.com buchen. Airbnb inszeniert den möglichen Makel dieses Vorgehens. Langweilige, unpersönliche Business-Hotels sind kein Abenteuer. Wie wäre es mit einem alternativen Ansatz, nämlich der Suche nach einem spannenden Gastgeber, inklusive schöner Unterkunft.
3. Weigerung
Der Held zögert, dem Ruf zu folgen, beispielsweise, weil es gilt, Sicherheiten aufzugeben. Airbnb hält entgegen, dass es um mehr geht, als nur darum, ein Zimmer zu buchen. Es geht um ein Erlebnis. Das ist werthaltiger, benötigt aber auch Mut. In einer Animation stellt der Buchungsdienst die Vorteile des Ansatzes dar.
4. Übernatürliche Hilfe
Der Held trifft auf einen oder mehrere Mentoren. Das sind natürlich in erster Linie Menschen, die bereits früher gebucht haben, also Rezensionen. Aber tatsächlich sind auch „übernatürliche“ Dienste wertvoll, zum Beispiel Fachberichte in der Presse oder Sicherheitsgarantien.
5. Das Überschreiten der ersten Schwelle
Er überwindet sein Zögern und macht sich auf die Reise. Das ist der Moment der Produktinszenierung. Im Vergleich zu Hotelwebsites macht Airbnb in der Regel ein Innenbild der Räume zum wichtigsten Content-Element. Das inszeniert den alternativen Ansatz und ist gleichzeitig in der Lage, die große Vielfalt des möglichen Angebots sehr schnell darzustellen. Bei Booking.com zum Vergleich müsste man sich auf die jeweiligen Hotelbeschreibungen durchklicken, um zu sehen, was für ein Ambiente das jeweilige Haus bietet.
6. Der Weg der Prüfungen
Neben den klassischen Herausforderungen der Reisebuchung wie Fragen nach der Ausstattung, Lage, des Preises und der Verfügbarkeit muss AirBNB auch gegen Klischees an arbeiten. Zum Beispiel haben viele Neukunden Befürchtungen hinsichtlich der Sauberkeit einer Unterkunft, wenn man im Schlafzimmer des Gastgebers nächtigen soll. Die Summe der Herausforderungen wird auch als „Im Bauch des Walfischs“ bezeichnet. Der Kunde ist überfordert. Airbnb versucht mit Tools zu helfen, wie der Kartenansicht, der Merkliste, den Filtermöglichkeiten und nicht zuletzt den Bildern der Gastgeber die Vertrauen aufbauen sollen.
An dieser Stelle vereinfacht Ünal Campbells Heldenreise ein Stückweit. In der klassischen Segmentierung würde der Held der Göttin begegnen, eine Versuchung würde erscheinen, die ihn vom rechten Weg abbringt und er würde sich seiner eigenen genealogischen Wurzeln bewusst. Er handelt als Sohn seines Vaters nach den Prinzipien der Vorfahren. Ünal fährt fort mit der
7. Apotheose
Das ist das Vordringen in die tiefste Höhle unmittelbar vor dem Kampf. Hier wird ihm offenbar, dass die Entscheidung „göttliches“ Potential in sich trägt und einem höheren Zweck dient. Natürlich sprechen wir von der Detailseite der Unterkunft, in der sehr klassisch mit Bildern der Mehrwert inszeniert wird. Dabei haben die meist unprofessionell fotografierten Blickwinkel einen ganz eigenen, persönlichen Charme.
8. Die entscheidende Prüfung
Der Held zieht in den Kampf. Ziel ist der Empfang oder Raub eines Elixiers oder Schatzes, der die Welt des Alltags, aus der der Held aufgebrochen ist, retten könnte. Die Rede ist vom Call-to-Action, dem Kaufknopf. Hier beweist Airbnb eine systematische Schwäche. Der Held muss sich nämlich entscheiden, ob er Kontakt zum Vermieter aufnimmt oder die Verfügbarkeit prüft. In der Praxis kennt der Service zwei Buchungssysteme: Die Anfrage und die Buchung. Letztere ist gut eingeführt, aber bei der Anfrage handelt es sich meistens ebenfalls um einen verbindlichen Akt. Die Buchung kommt zustande, wenn der Gastgeber die Anfrage annimmt. Stornierungsmöglichkeiten gibt es, aber die Provision an Airbnb ist futsch. Hier wäre ein Hinweis auf das gesetzliche Rücktrittsrecht vermutlich hilfreich für die Conversion.
9. Die Belohnung
Hier offenbart sich unterdessen eine echte Stärke des Systems. Die Bestellbestätigung ist eine persönliche Nachricht vom Gastgeber. „Wir freuen uns auf Dich“. Diese ist im System hinterlegt und wird auch als E-Mail verschickt. Eine Blaupause der automatisierten Willkommensstrecke, wenn man so will. In der klassischen Heldenreise zögert der Held nun vor der Rückkehr in seinen Alltag. Hier offenbart sich Cross-Selling-Potential und tatsächlich nutzt AirBNB wiederholte Suchanfragen, um bei größeren Reisen den gesamten Zeitraum zu „erahnen“ und Ergänzungsübernachtungen vorzuschlagen.
Die Mystik kennt auch auf dem Rückweg kleinere Hindernisse. Der Held in der Sicherheit seines Erfolgs könnte unvorsichtig werden oder seine frühen Ängste werden nun doch bestätigt. Das wird in der Heldenreise durch die magische Flucht und die Rettung von außen symbolisiert. Die Rettung von außen steht oft in Verbindung mit einer selbstlosen Tat des Helden in einer früheren Phase, die ihm nun vergolten wird. Es folgt die
10. Rückkehr über die Schwelle
Der Held kehrt zurück zur Alltagswelt, aus der er ursprünglich aufgebrochen war. Er trifft auf Unglauben oder Unverständnis, und muss das auf der Heldenreise Gefundene oder Errungene in das Alltagsleben integrieren. Im Falle AirBNB muss er sich eventuell vor Mitreisenden für seine Wahl rechtfertigen oder die Buchung ganz klassisch in einen Reiseplan integrieren. Zumindest letzteres funktioniert ganz gut über die Airbnb-App, wo sich die Buchungen verwalten lassen und die als Kommunikationszentrale fungiert. Das ist ein starkes Kundenbindungsinstrument, da der Held ja weiß, dass er auf der Reise mit seinem Smartphone agieren wird.
11. Herr der zwei Welten
Enes Ünal nennt sie die Auferstehung. Der Held vereint Alltagsleben mit seinem neugefundenen Wissen und damit die Welt seines Inneren mit den äußeren Anforderungen. Bei Airbnb hat das zwei Ebenen: Zum einen inszeniert der Service Sharing-Tools und Weiterleitungen unmittelbar nach der Buchung. Der Held kann der Welt sein neugefundenes Wissen mitteilen. Außerdem wird er nicht nur zur Bewertung aufgefordert sondern auch vom Gastgeber bewertet. Im Idealfall verbessert er dadurch seinen Status in der Parallelwelt Airbnb.
12. Rückkehr mit dem Elixier
Das Elixier des Helden hat die „normale Welt“ verändert; indem er sie an seinen Erfahrungen teilhaben lässt, hat er sie zu einer neuen Freiheit des Lebens geführt. Er wird aber bei seiner nächsten Heldenreise viele der anfänglichen Widerstände nicht mehr zu überwinden haben. Die AirBNB-Buchung gehört nun zum Relevance-Set und damit zur Komfortzone. Das Abenteuer an sich aber bleibt. Dafür sorgt die Vielfalt der unterschiedlichen Übernachtungsmöglichkeiten. Die nächste Heldenreise kann kommen.
Es ist fraglich, wie „konstruktiv“ Airbnb an die Modellierung dieser Heldenreise heranging oder wie intuitiv man mit den Bedürfnissen und Ängsten des Nutzers interagiert. Im Gegensatz zu einem klassischen, crossmedialen Storytelling-Ansatz ist es überhaupt nicht nötig, dass der Nutzer die früheren Kommunikationsstufen durchlaufen hat. Jede funktioniert im jeweiligen Stadium auch allein. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die Customer Journey so fragmentiert ist. Wer weiß denn schon, ob der Neukunden-Held die Bewertungen von früheren Gästen überhaupt beachtet, vielleicht bucht er aufgrund einer Empfehlung eines Freundes.
Unterm Strich aber zeigt die Umsetzung, wie dicht und emotional Onlinekommunikation werden kann, wenn sie den „Nerv“ des Nutzers trifft. Das zeigt sich auch darin, dass man in der Lage ist, die Idee des Reisens neu zu denken. In Kooperation mit dem Crowdshipping-Anbieter Nimber setzt man die Idee des privaten Transportierens von Paketen wie folgt um:
„Wolltest Du nicht schon immer nach Edinburgh?“
„Wir haben da ein tolles Airbnb-Zimmer für nächstes Wochenende gefunden.“
„Und wenn Du diese zwei Pakete mitnimmst, zahlen wir Deine Reisekosten.“
Klassisch wäre der Aufbau umgekehrt.