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Es ist ein offenes Geheimnis: Die Zahl der Follower, die ein Twitter-Account im Laufe der zeit eingesammelt hat, enthält massenhaft Karteileichen – Follower also, die Twitter zwar mal genutzt haben, es aber längst nicht mehr tun. Dennoch schmücken sich Twitterer gen mit ihren Zahlen und feiern den 100.000 Follower, etc. Twitter kommt das ganz gelegen, man filtert die ehemaligen Nutzer nicht aus, sondern lässt die Zahlen weitgehend unangetastet – so sehen sie ja auch schöner aus. Um das komplette Ausmaß dieser aufgeblasenen Zahlen aufzuzeigen, hat sich MEEDIA die tatsächlich aktiven Nutzer unter den Followern der 100 populärsten Twitter-Accounts deutschsprachigen Medienmarken angeschaut. Mit teilweise erschütternden Ergebnissen.
Passive Twitter-Nutzer, die nur lesen
Für unsere Analyse haben wir die Pro-Version des Twitter-Analyse-Tools Followerwonk genutzt. Damit lässt sich u.a. veranschaulichen, wann die Follower eines bestimmten Twitter-Accounts zuletzt aktiv getwittert haben, welche Sprache sie eingestellt haben, wie viele Follower sie wiederum haben und vieles mehr. Entscheidend für unsere Analyse ist der Faktor Aktivität. Wir haben untersucht, wie viele der Follower der 100 Top-Medien-Accounts innerhalb der jüngsten sechs Monate selbst einen Tweet abgesetzt haben. Diese Aktivität ist das stärkste Indiz dafür, dass ein Follower Twitter tatsächlich noch nutzt. Twittert er nicht selbst, ist die Chance hoch, dass er die Plattform längst nicht mehr besucht, also auch nicht mehr mitbekommt, was die Accounts, denen er mal gefolgt ist, von sich geben. Zwar gibt es auch einen Anteil von passiven Twitter-Nutzern, die nur lesen und grundsätzlich nicht selbst twittern, doch dieser Anteil dürfte recht gering sein.
Kommen wir zu den Ergebnissen: Insgesamt haben im Durchschnitt nur 30,2% der Follower eines der untersuchten 100 Medien-Accounts innerhalb der jüngsten sechs Monate selbst einen Tweet veröffentlicht, sind also auf jeden Fall in dieser Zeit aktiv gewesen. Vor zwei Jahren, als wir zuletzt eine ähnliche Analyse durchführten, waren es noch rund 40%. Die Zahl der Karteileichen wächst also unaufhörlich.
Satire-Blog Der Postillon hat viele aktive Nutzer
Der genaue Blick auf die 100 Accounts zeigt dabei zum Teil große Unterschiede. So liegt der Durchschnitt auf den ersten 20 Plätzen gar nur bei 27%. Auf den hinteren Rängen der Liste nach absoluten Followerzahlen finden sich hingegen auch ein paar Accounts mit immerhin mehr als 40% aktiven Followern – und in einem Fall auch eins mit mehr als 50%. Dabei handelt es sich um das Satire-Blog Der Postillon. 52,8% seiner Twitter-Follower waren in den jüngsten sechs Monaten aktiv. Ein Rekordwert.
Bei über 40% liegen das NDR-Magazin „extra 3“, die deutschen Ausgaben von InStyle und Vogue, die dpa (mit starken 47,0%), die SRF News aus der Schweiz, die „heute“-Nachrichten des ZDF, 11 Freunde, arte, Gründerszene, t3n, das Bildblog (48,8%), sowie Branchenmedien wie w&v, kress (47,4%) und MEEDIA (49,6%).
Unterschied zwischen Schein und Realität
Auf der anderen Seite gibt es Extremwerte, die kaum zu glauben sind. So verfügt das Twitter-Account von „Deutschland sucht den Superstar“, über nur noch ganze 7,7% aktive Follower. Statt über 306.000 Leute zu erreichen – wie es die Follower-Zahl aussagt – wird hier für nur etwas mehr als 23.000 Leute getwittert. Ein dramatischer Unterschied zwischen Schein und Realität. Ebenfalls weit unter dem Durchschnitt liegen „Berlin – Tag & Nacht“ mit 11,0%, RTL mit 15,8% und auch ProSieben. Zwar ist hier der genaue Wert der aktiven Follower mit Followerwonk nicht ermittelbar, da nur Accounts mit weniger als 1 Mio. Followern untersucht werden können, allerdings verfügte ProSieben vor zwei Jahren bereits nur über 26% aktive Follower. Hochgerechnet auf die Entwicklung seitdem dürfte der Wert inzwischen bei 18% angelangt sein.
Mehr Karteileichen
Insgesamt lässt sich sagen, dass Accounts zum einen über mehr Karteileichen verfügen, je älter sie sind. Zum anderen spielt aber auch die Zahl der Follower eine Rolle. Je mehr Follower sie theoretisch erreichen, desto höher ist die Chance, dass ein großer Anteil an Karteileichen dabei ist. Das liegt u.a. auch daran, dass Twitter neuen Nutzern solche populären Accounts zum Folgen empfiehlt – diese neuen Nutzer dann aber oft schnell wieder aufhören Twitter zu nutzen. Für Twitter wäre es sehr einfach, „ehrliche“ Followerzahlen zu veröffentlichen, schließlich nutzt Followerwonk ausschließlich offizielle Twitter-Daten. Das Interesse daran dürfte bei dem Network allerdings überschaubar sein. Würden anstelle der 1,49 Mio. ProSieben-Follower z.B. nur noch 263.000 stehen, wäre nicht nur ProSieben verwirrt, sondern auch alle Beobachter von der Presse bis hin zu Börsen-Analysten. Die Angst vor der Ehrlichkeit dürfte also groß sein bei Twitter.