Die Europa AG – eine Alternative?

In der Europäischen Union können Unternehmen die gesellschaftsrechtlichen Vorteile in anderen Mitgliedsstaaten für sich nutzen. Mit der Europa AG arbeitet die Union mittlerweile auch an einer gemeinsamen Rechtsform. Vorteil für den Mittelstand?

Die Diskussion in den öffentlichen Medien befasst sich insbesondere mit zwei Entwicklungen: zum einen mit der Möglichkeit, eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates, zum Beispiel nach englischem Recht zu gründen (was sie bei der Limited beachten müssen, finden Sie hier bei absatzwirtschaft online), zum anderen mit der Möglichkeit, eine Europa AG (offizielle Bezeichnung: “Societas Europaea”; „SE“) einzutragen. Die Kernfrage, die dieser Beitrag zu beantworten sucht, lautet: Bietet die Europa AG für den Mittelstand in Deutschland eine praktische Alternative?

Bei der Societas Europaea (SE, Europa AG) handelt es sich um eine Aktiengesellschaft mit europäischer Gestaltungskomponente. Ihre rechtliche Existenz basiert auf einer „Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft“ sowie einer sie ergänzenden „Richtlinie über die Stellung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft“. Ziel des europäischen Gesetzgebers war, mit der Einführung einer „in Europa beheimateten“ Aktiengesellschaft die rechtlichen, steuerlichen und psychologischen Schwierigkeiten zu beseitigen, die sich bei Umstrukturierungs- und Kooperationsmaßnahmen ergeben, an denen Unternehmen aus verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind.

Die Schwierigkeiten, die sich für europaweit tätige Unternehmen ergeben, lassen sich einfach darstellen: Ein deutsches Unternehmen unterliegt deutschem Unternehmensrecht. Wenn es eine Vertriebstochter in Mailand und ein Fertigungswerk in Form einer Tochtergesellschaft in Flandern hat, dann agieren diese eigenständigen Gesellschaften nach italienischem bzw. belgischem Recht. Rechnungslegung, Berichtspflichten – alles hat sich nach unterschiedlichen nationalen Regelungen zu richten, was einen dementsprechenden Aufwand verursacht. Hier soll die SE Abhilfe schaffen und zumindest für die Kernelemente des Gesellschaftsrechts einen einheitlichen Rahmen vorgeben.

Die auf europäischer Ebene ausgestalteten Rahmenbedingungen für diese Gesellschaft sind, bezogen auf bestimmte Kernbereiche (beispielsweise das Gesellschaftsrecht – zum Beispiel Gründung und Organisation der Europa AG – und die Mitbestimmung), in allen EU-Mitgliedsstaaten gleich. Von diesen Kernbereichen abgesehen findet dasjenige nationale Recht Anwendung, welches im Staat am Sitz der Europa AG gilt: entweder aufgrund einer Verweisung in der „Verordnung über das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft“ selbst auf das nationale Recht, oder aufgrund einer Anordnung subsidiärer Art für die in der Verordnung geregelten Fragen, oder ,weil es auf europäischer Ebene hinsichtlich einer bestimmten Materie keine Regelung gibt, im Wege eines Lückenschlusses. Das bedeutet:

Es gibt keine einheitliche Europa AG, die genaue Ausgestaltung ist immer noch abhängig vom Recht des Sitzstaates.

Bei der Errichtung einer Europa AG sind mehrere Voraussetzungen zu erfüllen.
Die Entstehung einer Europa AG ist auf fünf Varianten beschränkt: Erstens kann eine bestehende Aktiengesellschaft in eine Europa AG umgewandelt werden, zweitens kann eine Europa AG hundertprozentige Tochtergesellschaften in Form einer Europa AG gründen. Für diese beiden Varianten ist nur eine schon vorher bestehende Gesellschaft erforderlich.

Daneben bestehen drei weitere Varianten, die jedoch immer die Beteiligung von mindestens zwei Gesellschaften voraussetzen, nämlich drittens die Gründung einer gemeinsamen Europa AG, viertens die Gründung einer gemeinsamen Obergesellschaft (Holding SE), und fünftens die Gründung einer gemeinsamen Tochter als Europa AG. Bei diesen drei Varianten ist es wichtig zu beachten, dass es hinsichtlich der Ausgangsgesellschaften bestimmte Vorgaben gibt: so ist die Verschmelzung zu einer Europa AG nur möglich für Aktiengesellschaften, während an der Bildung einer gemeinsamen Obergesellschaft auch GmbHs teilnehmen können. Die Gründung einer gemeinsamen Tochter steht dagegen allen Gesellschaftsformen offen, also auch OHGs und KGs.

Des Weiteren haben alle diese Gründungsvarianten, bis auf eine “Ausnahme”, das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Elements gemeinsam. So muss eine Aktiengesellschaft, die sich in eine Europa AG umwandeln möchte, mindestens seit zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat haben, und bei der Gründung einer gemeinsamen Europa AG müssen die Gründungsgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten stammen. Im Fall der Gründung einer gemeinsamen Holding oder einer gemeinsamen Tochter können die beteiligten Unternehmen zwar aus demselben Mitgliedsstaat stammen, jedoch müssen mindestens zwei von ihnen seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedsstaat haben. Die oben genannte “Ausnahme” ist die Gründung einer Tochter-SE durch eine Europa AG, bei der keine besonderen Voraussetzungen zu beachten sind. Jedoch kann auch hier bei genauerem Hinsehen ein grenzüberschreitendes Element in dem Vorhandensein der Europa AG selbst als europaweite Aktiengesellschaft erkannt werden.

Das gezeichnete Kapital einer SE muss mindestens 120 000 € betragen. Die Umwandlung einer Europa AG wieder zurück in eine “normale” nationale Aktiengesellschaft ist ebenfalls möglich, jedoch frühestens zwei Jahren nach der Eintragung der Europa AG.

Arbeitnehmerbeteiligung in der Europa AG
Besonders für Deutschland war die Arbeitnehmerbeteiligung bei den Verhandlungen über die die Europa AG betreffenden Regelungen ein zentrales Thema. Der Schutz der Arbeitnehmer sollte sich mit der Einführung einer europäischen Gesellschaftsform (und der Möglichkeit der Umwandlung deutscher Aktiengesellschaften in Europa AGs) nicht verschlechtern.

Die Beteiligung der Arbeitnehmer ist europarechtlich in der Richtlinie 2001/86/EG des Rates („Richtlinie über die Stellung der Arbeitnehmer in der Europäischen Aktiengesellschaft“) geregelt, die durch das SEBG umgesetzt wird. Dieser liegt der Gedanke zugrunde, dass die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer nicht gesetzlich festgelegt werden. Vielmehr sollen diese durch Verhandlungen zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite individuell festgelegt werden, wodurch ein beliebiges Mitbestimmungsmodell möglich wird. Für die Verhandlungen wird auf Seiten der Arbeitnehmer ein besonderes Verhandlungsgremium eingesetzt, welches Arbeitnehmer aus den beteiligten Gesellschaften und Mitgliedstaaten vertritt. Die Mitglieder dieses Gremiums werden nach einem bestimmten Länderschlüssel in geheimer und unmittelbarer Wahl gewählt, wobei den Gewerkschaften Vorschlagsrechte eingeräumt sind. Grundsätzlich sind zur Wahl der Vertreter die Betriebsräte einschließlich derjenigen auf Konzern- und Gesamtbetriebsebene aufgerufen. Sofern keine Arbeitnehmervertretungen bestehen, wählen die Arbeitnehmer direkt.

Die Vereinbarung kann sowohl die betriebliche Beteiligung durch den Betriebsrat der Europa AG regeln, als auch die Arbeitnehmermitbestimmung, das heißt die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan. Bezüglich des Inhalts der Vereinbarung gibt es grundsätzlich keine Vorgaben. Das bedeutet auch, dass sich die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer vermindern können. Eine Ausnahme besteht hinsichtlich der Umwandlung einer nationalen Aktiengesellschaft in eine Europa AG: hier schreibt das Gesetz eine Beibehaltung der Mitbestimmung vor.

Wird keine Vereinbarung zwischen der Unternehmensleitung und dem besonderen Verhandlungsgremium getroffen, so greifen die gesetzlichen Auffanglösungen. Davon ist der Fall zu unterscheiden, dass das Verhandlungsgremium intern beschließt, die Verhandlungen nicht aufzunehmen oder abzubrechen. Dieser Beschluss hat zur Folge, dass die Europa AG weder einen Betriebsrat hat, noch der Mitbestimmung unterliegt .
Für die Verhandlungen über die zukünftige Mitbestimmungsregelung besteht ein Zeitrahmen von maximal 6 Monaten (aufgrund einer Parteivereinbarung kann der Zeitrahmen auf ein Jahr erweitert werden). Danach sieht das Gesetz vor, dass grundsätzlich ein Betriebsrat für die Europa AG eingerichtet wird.

Bezüglich der Mitbestimmung gilt folgendes: im Fall der Umwandlung bleibt die vorher bestehende Mitbestimmung aus der nationalen Aktiengesellschaft erhalten. Im Fall der Verschmelzung kommt es zu einer Übertragung des höchsten Mitbestimmungsstandards einer der beteiligten nationalen Gesellschaften auf die Europa AG, wenn vor der Eintragung in einer der beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte bestehen und diese sich auf 25 Prozent der Gesamtarbeitnehmer erstrecken. Das Gleiche gilt auch, wenn die Quote unter 25 Prozent liegt, das Verhandlungsgremium aber einen entsprechenden Beschluss gefasst hat. Dem gleichen Prinzip, nur mit einer maßgeblichen Quote von 50 Prozent, folgt die Auffangregel für die Holding-SE und die Tochter-SE. Sollte in den beteiligten Gesellschaften keine Mitbestimmungsregel bestehen, oder die vom Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt sein, finden die Auffangregelungen keine Anwendung.

Vorteile einer Europa AG
Die Errichtung einer Europa AG, insbesondere durch die Umwandlung einer nationalen Aktiengesellschaft oder durch die Fusionierung mehrerer Gesellschaften, bietet mehrere Vorteile. Mit dieser Gesellschaftsform ist es nun möglich, eine Unternehmensgruppe europaweit einheitlich zu strukturieren, so dass das Erfordernis von Tochtergesellschaften (zum Beispiel Vertriebs- oder Produktionsgesellschaften), die nach dem jeweiligen nationalen Recht zu organisieren sind, nicht mehr besteht. Die Verwaltungskosten, die für die Organisation dieser verschiedenen Konzerngesellschaften aufgewendet werden mussten, können somit substanziell gesenkt werden.

Für Deutschland eine Neuheit ist die Existenz eines Wahlrechts hinsichtlich des Leitungs- und Kontrollsystems der Aktiengesellschaft. Zur Auswahl steht zum einen das traditionelle zweigliedrige (“dualistische”) System bestehend aus Vorstand und Aufsichtsrat, zum anderen das in den USA und in Großbritannien übliche eingliedrige (“monistische”) „Board“-System. Bei letzterem sind die Leitungs- und Kontrollaufgaben und -befugnisse in einem Organ, dem sog. „Board“ oder Verwaltungsrat, vereint.

Die Möglichkeit der Wahl des monistischen Systems, welches in Deutschland traditionell nicht vorgesehen war, in Großbritannien beispielsweise aber weit verbreitet ist, kann einen weiteren, möglicherweise erheblichen Vorteil darstellen. So kann zum Beispiel der englische Fusionspartner Wert darauf legen, dass die fusionierte Gesellschaft nach den ihm vertrauten monistischen System verwaltet wird. Anders als mit einer Europa AG ist diese Maßgabe nicht zu erreichen. Und deutsche Unternehmen, die wesentliche Verbindungen in die USA haben oder dort wesentliche Geschäfte tätigen, können ein Interesse daran haben, ein Board-System nach anglo-amerikanischem Vorbild einzuführen, was wiederum nur mit einer Europa AG möglich ist.

Weiter ist die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlagerung zu nennen , um in den Genuss ausländischer Gesetzgebung beispielsweise im Bereich Steuer- oder Arbeitsrecht zu kommen. Zwei weitere Vorteile sind noch zu nennen, die in den Bereich der “soft factors” fallen: zum einen verhindern oftmals nationale Interessen, insbesondere in mitgliedsstaatsspezifischen „Schlüsselindustrien , die Übernahme von Unternehmen durch ausländische Firmen. Hier vermag die Europa AG insoweit zu helfen, als eine Übernahme als “merger of equals” präsentiert werden kann, an deren Ende nicht ein nationales (ausländisches) Unternehmen steht, sondern ein “gemeinsames europäisches” Unternehmen. Zum anderen schließlich kann der Zusatz “SE”, den nur Europa AGs führen dürfen (und müssen) , dazu dienen, die Internationalität der Gesellschaft zu unterstreichen und damit möglicherweise das Prestige zu steigern.

Mögliche problematische Aspekte
Betrachtet man die oben gemachten Ausführungen, so kann man mehrere Aspekte im Zusammenhang mit der Europa AG erkennen, die in bestimmten Konstellationen problematisch sein können: zum einen ist aus der erforderlichen Höhe des Mindestkapitals erkennbar, dass sich die Europa AG nicht für kleine Unternehmen eignet.

Zum anderen gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Errichtung einer Europa AG, da nur die genannten fünf Gründungsvarianten zur Verfügung stehen – diese Aufzählung ist abschließend. Sollte also beispielsweise eine Umwandlung in eine Europa AG gewünscht sein, um der eigenen Gesellschaft ein „europäisches Flair“ zu geben oder ganz konkret um das monistische Board-System einführen zu können, so muss die Gesellschaft zwingend seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat haben. Wenn dies nicht der Fall ist, dann ist eine Umwandlung nicht möglich.

Als dritten Aspekt ist derjenige der „exportierten deutschen Mitbestimmungsregelungen“ zu nennen. Darunter ist die Angst im europäischen Ausland davor zu verstehen, dass im Falle von Verschmelzungen die gesetzlich vorgegebenen Auffangregelungen eingreifen, sollten die Verhandlungen über das zukünftige Mitbestimmungsmodell zu keinem Ergebnis führen. Da nach diesen das höchste in einer der Gründungsgesellschaften geltende Mitbestimmungsniveau auf die neue Gesellschaft Anwendung findet und dieses höchste Mitbestimmungsniveau regelmäßig bei der deutschen Gründungsgesellschaft zu finden sein wird, könnte es somit dazu kommen, dass das deutsche Mitbestimmungsmodell in andere Staaten der EU übertragen wird.

Fazit
Die eben aufgezeigten Gründe, vor allem das hohe Mindestkapital, legen den Schluss nahe, dass die Europa AG keine Alternative von Bedeutung für die mittelständische Wirtschaft in Deutschland darstellt. Die administrativen Anforderung sowie die Vorgaben für die Gründung einer Europa AG lassen deutlich werden, dass die Europa AG nur für große Unternehmen in Betracht kommt, die einen erheblichen europaweiten Tätigkeitsumfang aufweisen. Für regional tätige Unternehmen, selbst mit einem gewissen europäischen Bezug, stellt diese Unternehmensalternative keine bedenkenswerte Variante dar.

Wie gerade gezeigt, stellt die Europa AG eine Möglichkeit für große Unternehmen mit europaweitem Tätigkeitsbereich dar, sich im vereinigten Europa als europäisches und nicht mehr als nationales Unternehmen zu präsentieren und die Grenzen einer „nationalen Konzernstruktur“ zu sprengen. Jedoch geht die Fortentwicklung des Unternehmensrechts auf europäischer Ebene auch anders weiter – und die neuere Entwicklung könnte dafür sorgen, dass die Europa AG nicht die Bedeutung gewinnt, die ihre Architekten erwarten. Mehr dazu lesen Sie hier bei absatzwirtschaft online.

Autoren
Die Rechtsanwälte Wulf P. Viola und Carsten Lexa, LL.M. arbeiten für die Kanzlei WPV-Rechtsanwälte in Eibelstadt.

eingestellt am 25. August 2006