Herr Rieder, was verändert sich jetzt im Vertrieb durch die Digitalisierung?
FINN RIEDER: Der Kunde ist heute durch neue Medien und Technologien in einer stärkeren Machtposition als noch vor wenigen Jahren. Angebote, Vergleiche, Bewertungen – alles ist nur wenige Klicks entfernt. Die Kunden nutzen moderne Kommunikationskanäle und suchen sich gezielt Anbieter heraus. Das hat enorme Auswirkungen auf die Art, wie ich Vertrieb betreibe.
Was kann der Verkäufer dem entgegenhalten?
Um den Kunden von heute abzuholen, muss der Vertrieb bereits dort ansetzen, wo der Kunde seine Kaufentscheidung beginnt: zumeist im Internet. Hier kann ich zum Beispiel mit sogenannten „Lead Generation Tools“ automatisiert Kaufinteressenten samt deren Profildaten generieren. Durch die Nutzung intelligenter Werkzeuge wird also bereits beim ersten Kontakt aus dem anonymen Kunden einer mit Gesicht und Profil. Der Verkäufer kann seine Kommunikation wesentlich spezifischer auf die Bedürfnisse des Kunden ausrichten.
In der Praxis werden die Unternehmen doch versuchen, Vertriebler durch solche Sales Tools zu ersetzen.
Nein, das glaube ich nicht. Insbesondere im B2B-Umfeld kommt es nach wie vor auf den Austausch zwischen Menschen an. Häufig besteht die Vertriebspraxis jedoch aus unqualifizierten Ansprachen und Angeboten, die ins Leere gehen. Das ist ineffizient und für beide Seiten frustrierend. Die richtigen IT-Tools ermöglichen dagegen eine gezielte Qualifizierung und Ansprache. Der Vertriebler kann sich gezielt auf jene Kunden konzentrieren, die wirklich Interesse und Potenzial haben.
Was ist der Optimierungsmechanismus, auf den die meisten zuerst schielen?
Es geht vor allem darum, eine spürbare Entlastung in der Vertriebspraxis zu erzielen. Das kommt zuvorderst den operativen Vertriebsmitarbeitern zu Gute und sorgt für höhere Motivation. Das Management wiederum schielt vor allem auf die Steigerung der Abschlussraten durch moderne Vorgehensweisen und Tools.
Steigerung der Abschlussraten klingt sehr allgemein. Hätten Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel können Ansprechpartner auf Xing und Linkedin in großer Anzahl personalisiert angesprochen werden. Das sorgt nicht nur für Sichtbarkeit in der Zielgruppe, sondern generiert auch bestätigte Kontakte samt freigegebener E-Mail-Adressen. Letztere können dann für intelligente E-Mail-Drip-Kampagnen genutzt werden. Dabei wird Tool-gestützt getracked, wann und wie lange sich der Empfänger welche Seiten des an die E-Mail angehängten Angebots anschaut. Der Vertriebler erhält eine automatische Benachrichtigung und kann exakt dann anrufen, wenn der Kunde sich mit seinem Angebot beschäftigt. Ein weiterer Anwendungsfall ist, dass Vertriebsorganisationen aus verschiedenen Quellen E-Mail-Adressen vorliegen, die zunächst nichts über die Person dahinter verraten. Diese E-Mail-Adressen können vollautomatisiert um Social-Media-Profildaten angereichert werden. Das heißt, der Vertriebler sieht gebündelt in einem Dashboard alle aus Xing, Facebook und Twitter verfügbaren Informationen zu der Person: Fotos, Posts, Gruppenzugehörigkeiten, berufliche Stationen und so weiter. Das hilft enorm bei der Wahl der richtigen Ansprache.
Wie installiert man denn diese Sales-Tools im eigenen Unternehmen?
Meist reicht bereits der gezielte Einsatz von zwei bis fünf Tools, um deutliche Verbesserungen im Vertriebsprozess zu erreichen. Allerdings kommen fast täglich neue Anbieter hinzu und es kommt auf die richtige Auswahl und Verknüpfung an. Bei Wendero haben wir dafür ein Sales Tool Radar, mit dem wir ständig circa 350 verschiedenartige Tools beobachten. Daraus bauen und tunen wir Vertriebsmaschinen für Start-ups und auch für etablierte Unternehmen.
Das hört sich so an, als muss man als Unternehmen schon eine gute Strecke des Digitalisierungswegs gegangen sein, um von diesen Tools profitieren zu können. Täuscht die Wahrnehmung oder liegt eine Hauptaufgabe bei der Vertriebsdigitalisierung im Change-Management?
Ja, das stimmt. Viele etablierte Unternehmen haben bereits erkannt, dass durch die Digitalisierung erfolgreicher Vertrieb heute grundlegend anders funktioniert als noch vor fünf Jahren. Bei vielen Vertriebsorganisationen erzeugt das zwar Anpassungsdruck. Die gute Nachricht ist jedoch, dass neue Technologien auch gänzlich neue Hebel im Vertrieb liefern. Immer mehr Unternehmen schöpfen dieses Potenzial für sich aus.