Die Crowd der Experten: Wie ibbü Kunden mit potenziellen Interessenten verbinden will

Am 17. Januar startet iAdvize die deutsche Variante seiner Experten-Community ibbü. Die Plattform soll dazu dienen, potentiell jedermann in Verkaufsunterstützung und Support einzusetzen. Die nächste Stufe von Conversational Commerce also. Die Idee klingt gut, allerdings hat es früher auch schon andere ähnliche Versuche gegeben.
Kunden fragt, Jedermann kann Antworten: Ibbü vernetzt die Community – aktuell 5000 - mit den Onlineshoppern

„Entschuldigung, ich brauche eine neue Bohrmaschine um meine Wohnung zu renovieren. Dabei muss ich Holz, Backstein und Beton bohren. Können Sie mir da etwas empfehlen?“

„Wie hoch ist ihr Budget?“

„250 Euro.“

„Moment, ich schicke Ihnen eine kleine Auswahl an Produkten zu. Die erfüllen alle ihre Bedürfnisse.“

So oder so ähnlich sieht ein Dialog auf ibbü aus. Ibbü, das ist eine Experten-Community. Sie wird betrieben vom französischen Chat-Spezialisten iAdvize und startet am Dienstag den 17. Januar auch in Deutschland. Vorher gab es den Service nur in England und Frankreich. Er soll dazu dienen, die potentiell unerschöpfliche Kraft der Crowd mit den Bedürfnissen von Firmen und deren Kunden zu verheiraten. Ibbü kann an jede Website und jeden Onlineshop als Chat-System angeflanscht werden und leitet Kundenanfragen eben nicht nur an die internen Support- oder Verkaufsmitarbeiter weiter sondern eben auch an die große Community. Crowdsourcing-Sales und Crowdsourcing-Support, wenn man so will. Die Antworten der Experten erhält der geneigte Kunden wahlweise über ein eigenes Chatfenster oder zum Beispiel als Nachricht im Facebook-Messenger.

Vorzüge und Nachteile eines Produkts

Die Hoffnung dahinter ist, dass die Kunden die Antworten der Experten als authentischer und glaubwürdiger wahrnehmen, als wenn Firmenmitarbeiter als Absender fungieren. Außerdem kann im Idealfall die Expertise der Externen tatsächlich höher sein, als die der Mitarbeiter im CallCenter, besonders dann, wenn es gelingt, Supporter zu finden, die ein Produkt, für dass sich der Kunden gerade interessiert, tatsächlich besitzen. Dann kennt der angesprochene Experte natürlich die echten Vorzüge und Nachteile eines Produkts vor allem in der Langzeitnutzung. Das ist ein Einblick, der meist sogar dem Produktmanagement verwehrt bleibt, und nicht umsonst der wichtigste Treiber für die gigantischen unabhängigen Produkt-Communities im Netz ist.

Die kritische Masse

62 Prozent aller englischen Produktkäufer wären willens, Auskunft darüber zu geben, welche Erfahrungen sie mit einem Produkt gemacht haben, wenn man sie denn fragen würde. Das hat das Social Media Unternehmen Lithium in einer Umfrage 2015 heraus gefunden. Das ist eine spannende Wissensbasis. Und es scheint offensichtlich, dass eher wenige davon freiwillig zu einem Automobilforum gehen, um dort über ihre Erfahrungen mit einem Fahrzeug zu berichten. Oft ist der Ton in den echten Fach-Foren ziemlich ruppig.

Nicht umsonst fragen täglich Tausende von Nutzern bei Chefkoch.de nach Produkterfahrungen. Und zwar keineswegs nur im Umfeld Herd und Küche. Chefkoch.de ist so etwas wie eine Universal-Community geworden. Das fing ganz harmlos und passend zum Website-Kern mit Haushaltstipps an und geht heute bis zur Kaufberatung für neue eBikes. Die User vertrauen der Plattform und den Nutzern dahinter, weil es sich um normale Menschen mit normalen Bedürfnissen handelt.

Genau das ist ein Stückweit das Problem von Ideen wie ibbü

 

Technologisch ist die Chat-Plattform von iAdvize über jeden Zweifel erhaben. Konstruktiv macht der Ansatz des Crowdsourcing Sinn. Aber in der Praxis muss der seine Werthaltigkeit erst beweisen, und das dauert. Toyota hat vor vier Jahren mit der Owners Community einen eigenen Versuch gestartet, um Kunden miteinander und mit potentiellen Interessenten zu vernetzen. Das Projekt startete nie wirklich durch. Die Site ist aktuell vom Netz. Wie der Neustart aussieht ist ungewiss. Auch Google hat seine unabhängige Experten-Community Helpouts schon vor zwei Jahren beerdigt. Die setzte damals allerdings auf das Thema Videochat. Es ist zum einen eine Frage der kritischen Masse, die erreicht werden muss, damit insgesamt genug Kompetenz besteht, um alle Fragen sinnvoll beantworten zu können. Hierfür schlägt iAdvize Recruiting-Kampagnen bei Facebook vor. Eine gute Idee um zielgerichtet Experten zu finden, aber natürlich nicht ganz günstig.

Als Anreiz für die Kommunikation mit den Endkunden wird den ibbü-Experten ein Honorar in Aussicht gestellt. Anders wird es vermutlich gar nicht funktionieren. Doch was macht das mit der Expertenauswahl? Und was macht das mit der Wahrnehmung auf Kundenseite. Würde ein ibbü-Berater von einem potentiellen Fehlkauf abraten? Crowdsourcing auf Unternehmenswebsites hat ganz oft ein Vertrauensproblem.

Die Qualifikation

Bei ibbü ist man stolz darauf, dass der Expertenauswahl eine hohe Qualifikationshürde vorgesetzt wird. Potentielle Experten bewerben sich, füllen einen Fragebogen aus, beantworten dann ein Quiz, erhalten schließlich ein Training und werden zum Abschluss noch in einer Chat-Simulation getestet. Ein toller Prozess, um die Qualität zu sichern, aber ein teurer Prozess zugleich und einer, der die Dynamik des Community-Wachstums stark bremst.

Tatsächlich bleiben von 100 Bewerbern im Durchschnitt nur 3,9 übrig, die dann Community-Mitglied werden dürfen. Neun könnten es der Qualifikation nach sein, aber das letzte Wort hat der auftraggebende Kunde und der siebt natürlich und völlig legitimer Weise noch einmal nach seine eigenen Zielen aus. Übrig bleiben Brand-Advocates, also eine Art Micro-Influencer, die aber im Zweifel eher nicht neutral beraten.

Fazit

Die Idee die Community an Support- und Verkaufsaufgaben teilhaben zu lassen ist genial. Händler, die es sich leisten können und wollen, Marken-neutral zu beraten und beraten zu lassen, können ein solches Instrument sofort einsetzen. Nur ist es eine große Kommunikationsaufgabe den Kunden klar zu machen, das wirklich Ergebnis-offen beraten wird. Ibbü gibt an, dass man im Durchschnitt in England und Frankreich eine Zufriedenheitsquote von 90 Prozent erreicht. Die Community kommt dort vor allem auch abends und am Wochenende zum Einsatz. Für Marken steckt viel Potential darin, eine solche Plattform zu nutzen um einerseits gezielte Verkaufsunterstützung zu betreiben. Dann sollte man wohl klar Kennzeichnen, dass der jeweilige Chat-Experte den Markenabsender trägt.

Noch spannender aber scheint auf den ersten Blick die Möglichkeit, Bestandskunden an ein solches System anzuschließen und tatsächlich den Kontakt zwischen Alt- und Neukunden herzustellen. Idealerweise mit so wenig Einmischung wie möglich. Das hat gleich drei Vorteile:

1. Man spart sich die aufwändige Recruiting-Kampagne, weil man die Bestandskunden ja kennt.

2. Man erzeugt Kundenbindung, wenn man zum Beispiel eine Incentivierung in Form von Gutschriften auf einem Kundenkonto ermöglicht.

3. Und man erhält wertvolle Insights über Lebenszyklus-Probleme bei Produkten.

Letzteres tut manchmal weh und es ist für Produktmanager schwer auszuhalten, wenn das auf einer eigenen Website steht. Das ist eben bei Social Media immer so, aber anders geht es nicht. Sonst werden die Marken nie Absender authentischer Empfehlungen, zumindest nicht aus Sicht des zunehmend kritischer werdenden Kunden.

Wer zum Beispiel wissen möchte, ob der Dieselmotor in einem großen Renault auf Dauer mit Stadtverkehrsbetrieb zurechtkommt, wie das die Werbung heute gerne suggeriert, der sollte nicht bei MyRenault danach fragen. „Die Zeiten, wo Diesel nur für die Langstrecke taugen sind längst vorbei“, heißt es dort. „Du hast Ärger mit einem Renault-Diesel? Lass mich raten, es ist der Rußpartikelfilter und Du fährst viel Stadtverkehr“, fragt dagegen Tom Kedor. „Stimmt genau.“ „Vielleicht hättest Du vor dem Kauf bei uns vorbeischauen sollen. Unsere Seiten sind voll davon.“ Tom Kedor ist einer der Gründer von Motortalk dem größten unabhängigen Automobilforum Europas.