von Dr. Dr. Cay von Fournier
Wir leben in einer schnellen Zeit, in einer Zeit der Veränderung und einer Zeit des Umbruchs. Noch nie hatte eine arbeitende Generation so viele Möglichkeiten, Chancen aber auch Risiken wie heute. Immer weniger Menschen werden durch moderne Techniken immer produktiver. Die Belastungen dabei sind groß. Gerne sprechen wir von Höchstleistung, von Kreativität, von Erfolgen und Siegen. Aber eher widerwillig realisieren wir den Preis des scheinbaren Erfolges. Nicht nur die Scheidungsrate schnellt nach oben, ebenso Depressionen, Alkohol- und Medikamentenkonsum sowie Aggressionen.
Wenn sogar der Reservetank leer ist …
Ein Wort, das oft in diesem Zusammenhang fällt, ist „Burnout“, der Zustand „ausgebrannt zu sein“. Wen wundert es, dass dieser Begriff zuerst in New York (der Stadt, die niemals schläft) im Jahre 1974 von dem Psychoanalytiker Herbert Freudenberg beschrieben wurde. Mit Burnout wird der Zustand einer intensiven psychischen oder physischen Erschöpfung beschrieben. Theoretisch ist dieses Phänomen ebenso einfach zu verstehen, wie Übergewicht. Unser Körper und unsere Seele haben viele besondere Fähigkeiten, zum Beispiel dass wir über einen längeren Zeitraum über unsere Verhältnisse leben können, ohne krank zu werden. Im Fall des Burnouts ist es der Reservetank, der uns ermöglicht, körperlich aber auch geistig Außergewöhnliches zu leisten. Beim Übergewicht ist es die Möglichkeit, Nahrung in Form von Fett zu speichern, so dass wir Phasen in denen Nahrung knapp ist, gut überstehen können. Im natürlichen Umfeld folgte einer so außergewöhnlichen Belastung eine längere Ruhephase und die Reservetanks waren wieder voll. Ebenso bauten wir regelmäßig unsere Fettdepots wieder ab.
In der modernen, leistungsorientierten Zeit haben sich die Spielregeln geändert. Es gibt keine Ruhephasen mehr und auch unsere Fettreserven bleiben uns erhalten. Beide Effekte hängen oft zusammen, da psychischer Stress und Bewegungsarmut häufig mit übermäßigem Genuss an kalorienreichem Essen und Alkohol kompensiert werden. Viele Menschen fahren mit Vollgas auf der Überholspur und sind darauf auch noch stolz. So lange es geradeaus geht, mag dies funktionieren, aber bei der ersten Kurve ist die Fahrt zu Ende. Alles hat seine Grenzen, auch unser Körper. Wenn wir diese Grenzen überschreiten, dann müssen wir mit den Konsequenzen leben. Übergewicht ist eine dieser Konsequenzen, Burnout eine andere. Dieser Vergleich ist bewusst gewählt, um deutlich zu machen, dass es sich bei Burnout um ein ernstes Krankheitsbild handelt.
Wie erkennt man Burnout?
Da die Menschen sehr unterschiedlich sind, zeigen sich auch ihre Krankheiten, gerade die seelischen, auf ganz unterschiedliche Weise. Psychisch finden sich Gefühle wie Schuld, Sinnlosigkeit, Versagensängste, Frustration, Wutanfälle, Unausgeglichenheit, Konzentrationsstörungen, Aggression, aber auch Gleichgültigkeit und Lustlosigkeit. Ein typisches Zeichen ist, wenn Dinge, die einem früher sehr viel Freude bereitet haben, plötzlich keinen Spaß mehr machen und man sich sogar widerwillig Zeit dafür nimmt. Das kann Hobbys ebenso betreffen, wie den Lebenspartner oder auch die eigenen Kinder. Physisch zeigen sich oft Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Verspannungen, häufige Erkältungen (Immunschwäche), Magen-Darm-Beschwerden (zum Beispiel Sodbrennen, Durchfälle) und Herz-Kreislauf-Probleme (zum Beispiel Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen). Soziale Folgen im Umgang mit anderen Menschen sind Zynismus, Isolation, Ehe- und Familienprobleme sowie gefühlte Einsamkeit.
Wer ist gefährdet?
Um ganz ehrlich zu sein, jeder der diesen Artikel liest, besonders wenn er oder sie in einer führenden Position tätig ist. Die Dunkelziffer ist hoch und die Erhebung von genauen Zahlen schwer. Es ist davon auszugehen, dass heute ein großer Teil der Führungskräfte dem Burnout sehr nahe ist. Aber diese Krankheit betrifft nicht nur Führungskräfte, sondern zieht sich durch alle sozialen Schichten. In dem hier beschriebenen Zusammenhang geht es jedoch primär um Menschen, die verantwortlich sind für große messbare Leistungen, sei es als Führungskraft oder als Unternehmer. Eine Vorstufe ist die Arbeitssucht, die ähnlich eines anderen Suchtverhaltens noch keine Krankheit darstellt, jedoch auf direktem Wege ins Burnout führt. Bei der Arbeitssucht definieren sich Menschen zu intensiv durch den operativen Alltag und die Funktionen, die sie in diesem ausfüllen.
Nie gibt es Ruhe und selten eine Abwechslung, die diesen Namen auch verdient. Meistens wird auch die private Zeit, selbst der Urlaub, für Belange des Berufes verwendet. Arbeitssüchtige Menschen sind daher am meisten gefährdet und so ist es vor der äußeren Welt vor allem die innere Welt, die zu Arbeitssucht und Burnout führen. Ob dies das Gefühl der Minderwertigkeit ist, die in Geltungssucht umschlägt oder das tiefe Gefühl der Sinnlosigkeit, oft sind es seelische Ursachen, die zu körperlichen Erkrankungen führen. Für die klare und oft harte Welt des Managements sind dies jedoch Zusammenhänge und Themen, die in ihrer Bedeutung weder wahrgenommen noch geschätzt werden. Letztlich werden in einer neurotischen Welt auch die darin handelnden Personen zu Neurotikern. Hier liegen die ersten Schritte der Prävention und Therapie.
Nur Stress oder schon Burnout?
Beide Begriffe und deren Bedeutung werden gerne miteinan-der verwechselt. Stress ist ein normaler Mechanismus des menschlichen Körpers, ohne den unsere Vorfahren nicht überlebt hätten und wir nicht geboren worden wären. Dies gilt übrigens für Dystress ebenso wie für Eustress. Zwischen beiden wird ja gerne mit den Werten „schlechter“ und „guter“ Stress unterschieden. Für den Körper ist es erst einmal das gleiche, nicht aber für unser Befinden, dass dann als unangenehm oder angenehm empfunden wird. Hier kommen wir aber auch zum Burnout als Krankheit, denn ganz gleich ob Dystress oder Eustress, beide führen über einen zu langen Zeitraum zum Burnout, wenn bei dieser Anspannung zu wenig Zeit für Entspannung bleibt, was bei Führungskräften wohl die Regel sein dürfte.
Der Eustress führt eher über die körperliche und der Dystress über die seelische Erschöpfung letztlich zum Burnout. Dieser Zu-sammenhang ist wichtig, denn wenn wir über die Ursachen nachdenken, die zu einem Burnout führen können, so können äußere und innere Einflüsse ausschlaggebend sein. Viele dieser Einflüsse produzieren Stress und das ist ganz normal, denn sowohl das Lösen von Problemen, als auch das Schaffen von Werten ist die Grundlage wirtschaftlichen Handelns und des Berufsbildes eines „Managers“. Stress ist ein normaler Ausnahmezustand unseres Körpers, aber wenn diese Ausnahme zur Regel wird, ganz gleich durch welche Motive (Motivation) – ob durch äußere Anforderungen oder durch inneren Antrieb – dann wird es gefährlich.
Was sind die Ursachen des Burnouts?
Alle Ursachen aufzuzeigen, die zu einem Burnout führen können, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Letztlich kann es jedes erdenkliche Motiv sein, das zu einer Motivation führt, die in übertriebener Weise gelebt wird. Das Wort Motivation wird generell als positiv verwendet (was es in den meisten Fällen auch ist), jedoch gibt es auch hier Schattenseiten. Sprechen wir an dieser Stelle von äußeren und inneren Motiven, die zu einem Burnout führen können. Gerade bei Menschen, die gerne etwas leisten und dazu auch fähig sind, werden die Erwartungen an sich selber immer größer. Höher, schneller, weiter sind die Maximen der heutigen Zeit. Und ebenso wenig, wie sich die Leistung im Sport unendlich steigern lässt, verhält es sich auch im Management. Zwar hat Kreativität keine Grenzen, jedoch das Gehirn, das diese Kreativität produziert.
Es ist symptomatisch für eine kranke Zeit, dass Grenzen als etwas Schlechtes empfunden werden. Sie darf es nicht geben und die Devise lautet „Sprenge deine Grenze“. Wir leben in undifferen-zierten Zeiten, denn was bei dem einen Menschen, da er noch sehr weit weg von seinen tatsächlichen Grenzen verharrt, ein sehr guter Impuls ist, kann bei einem anderen, der schon öfter über seine Grenzen hinaus gegangen ist, sehr schädlich sein. An dieser Stelle ist mehr Maß nötig und wesentlich mehr Selbstreflexion. So ist es nicht verwunderlich, dass als Lösung ein gutes Zeitmanagement angepriesen wird.
Sich selbst besser zu organisieren, um mehr leisten zu können, kann eine Lösung sein, vielleicht ist es aber auch das eigentliche Problem. Zeitmanagement ist als ein Werkzeug neutral, es kann sinnvoll gebraucht, aber auch schädlich missbraucht werden. Das Missverhältnis von Spannung und Anspannung sind das eigentliche Problem. Und hier gibt es die inneren Gründe – die eigenen Erwartungen, die persönliche Vision und die selbst gesteckten Ziele – ebenso, wie die äußeren Zwänge, in die ein Mensch gestellt wird. Vielleicht ist ein Grund von Burnout ja auch in der ebenso vielfältigen, wie undifferenzierten Erfolgsliteratur zu suchen.
Ein feindliches Arbeitsumfeld, das geprägt wird von Menschen im Burnout führt zu immer weiteren Menschen im Burnout. Und so gibt es viele kranke Menschen in kranken Unternehmen. Beides bedingt sich gegenseitig und so muss das Plädoyer für Unternehmen lauten, sich im 21. Jahrhundert viel mehr mit den großen Themenkomplexen Gesundheit und Mitarbeiter zu beschäftigen.
Burnout ist das Gegenteil von einem glücklichen Leben
Im Gegensatz zu Stress hat Burnout nichts mit Begriffen wie Glück und Erfüllung zu tun. Es ist das genaue Gegenteil und weder für den Betroffenen, noch für das Umfeld bereichernd. Menschen im Burnout werden emotional unausgeglichen und gegenüber anderen zynisch. So kann es auch sein, dass gute Manager zugleich sehr schlechte Führungspersönlichkeiten sind. Sie erreichen zwar jedes Ziel, aber der Preis ist sehr hoch, wenn an all das Unglück gedacht wird, das dabei in das Leben von anderen Menschen gebracht wird. Scheidungen, Alkohol, Einsamkeit, Drogensucht, Mobbing, zu wenig Zeit für unsere Kinder, um nur einige Phänomene der Neuzeit zu nennen.
Erfolg und Glück gehen nicht mehr Hand in Hand. Sie werden zu etwas gegensätzlichem. Der Beweis ist einfach. Es gibt viele erfolgrei-che Menschen, die überhaupt nicht glücklich sind und es gibt glückliche Menschen, die nicht unbedingt als erfolgreich angesehen werden. Der Sinn unseres Lebens und auch unserer Gesellschaft muss jeden Tag erneut entdeckt und gelebt werden. Sinnlosigkeit führt ebenso wie zu Aggressionen, Depressionen und Sucht (nach Viktor Emil Frankl die Trias des existentiellen Vakuums), auch zum Burnout, das nicht selten alle drei Komponenten enthält.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass sich Menschen im Namen eines sinnvollen Lebens selber zu viel aufbürden (psychisch wie physisch) und dann trotz sehr sinnstiftenden Handelns in ein Burnout rutschen, ohne es zu merken. Die große Anzahl von Ärzten, die selber ausgebrannt sind, ist ein Indiz dieser These. Viele kranke Ärzte sollen anderen kranken Menschen helfen, gesund zu werden. Hier zeigen sich die Probleme unserer modernen Zeit.
Was können wir zur Vorbeugung und auch zur Behandlung des Burnouts tun?
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass bei einem manifesten Krankheitsbild, bei Depressionen und auch bei deutlichem Suchverhalten zu einer ärztliche Therapie (bei einem möglichst gesunden Arzt) geraten wird. Vieles kann man selber lösen, aber manches eben auch nicht. Hier braucht es professionelle Hilfe. Die meisten Leser sehen sich aber eher mit den Symptomen eines beginnenden Burnout konfrontiert. Hier kann jeder einzelne noch sehr gut entgegensteuern.
12 Tipps, die helfen, nachhaltig Leistung zu erbringen:
- Seien Sie ehrlich mit sich selbst. Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zu einem glücklichen Leben.
- Überfordern Sie sich nicht. Meist haben Menschen, die ausbrennen, zu hohe Erwartungen an sich und andere und werden daher oft enttäuscht.
- Geben Sie Ihrem Leben weniger Forderungen und dafür mehr Sinn. Die wenigsten Menschen folgen einem wirklichen Sinn und setzten daher die Prioritäten völlig falsch.
- Überdenken Sie Ihre Werte im Leben. Meistens haben wir ja kein Zeitproblem, sondern vielmehr ein Prioritätenproblem. Und Prioritäten sind die Konsequenz gelebter Werte. Machen Sie sich Ihre wichtigsten Werte bewusst und leben Sie danach.
- Organisieren Sie sich besser. Sicher ist ein Teil der persönlichen Überlastung auch auf eine schlechte Selbstorganisation zurückzuführen. Ob übervolle Schreibtische, Unordnung oder verlegte Schlüssel, wenn Sie darunter leiden, dann organisieren Sie sich ab heute besser.
- Praktizieren Sie ein einfaches Zeitmanagement. Zeitmanagement ist kein Allheilmittel, aber es ist als Teil einer guten Selbstorganisation wichtig. Auch wenn es zurzeit kein modisches Thema ist, seit mehr als 2000 Jahren ist es aktuell. Gehen Sie gut mit Ihrer Zeit um und lernen Sie die entsprechenden Techniken.
- Engagieren Sie sich für realistische Ziele. Der Satz „Alles ist möglich“ ist Unsinn. Unser Leben und unser Wirken haben Grenzen. Sicher bleiben viele Menschen oft unter ihren Möglichkeiten, aber wer sagt, dass dies ein unglückliches Leben sein muss? Streben Sie nach Ihrem persönlichen Glück, gemäß Ihrer Möglichkeiten.
- Werfen Sie Ballast ab – emotional und körperlich. Ein guter Weg Burnout zu vermeiden ist mit möglichst wenig Gepäck durchs Leben zu gehen. Vereinfachen Sie daher Ihr Leben (siehe auch „Simplify your Life“ von Tiki Küstenmacher und Lothar Seiwert).
- Sorgen Sie für sich selbst, durch ein Leben in Balance. Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst und für ein Leben in Balance.
- Verbringen Sie mehr Zeit mit Ihren Familien und Freunden.
- Treiben Sie mehr gesunden Sport.
- Lassen Sie öfter Ihre Seele baumeln.
Dr. Dr. Cay von Fournier ist Arzt und Trainer für Unternehmensführung. Der promovierte Mediziner und Wirtschaftswissenschaftler widmet sich der ganzheitlichen Unternehmensführung und dem praktischem Gesundheitsmanagement.