In Pressemeldungen wurde kritisiert, das Preissystem der Deutschen Bahn sei intransparent und werde von den Kunden nicht verstanden. So fordern viele Nutzer und auch der Verkehrsclub Deutschland, der eine entsprechende Erhebung durchführte, rein entfernungsabhängige Kilometerpreise. Dieses Preissystem galt bis in die neunziger Jahre, da technisch nichts anderes möglich war. Heute würde ein solches System völlig an der Realität und am Kundennutzen vorbeigehen. Die Bahn braucht differenzierte Preise. Damit entsteht zwangsläufig eine gewisse Intransparenz. Das ist gewollt und sinnvoll.
Völlig unterschiedliche Leistungen
Nehmen wir das Beispiel der Strecke Köln Hauptbahnhof – Frankfurt Flughafen. Über die Rheinstrecke und Bonn Hauptbahnhof braucht der Zug zwei Stunden und sechs Minuten, auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke über Siegburg/Bonn sind es lediglich 54 Minuten. Das ist ein Zeit- und Nutzenunterschied, der insbesondere Geschäftskunden und Pendlern sehr viel wert ist. Warum sollte die Bahn für diese völlig unterschiedlichen Leistungen den gleichen Preis verlangen?
Die Preisdifferenzierung ist tatsächlich enorm. Ein Fahrkarte 2. Klasse über die Rheinschiene nach Frankfurt Flughafen kostet 46 Euro, über die Hochgeschwindigkeitsstrecke muss man im Normaltarif 67 Euro, also fast 50 Prozent mehr zahlen. Offensichtlich sind sehr viele Kunden bereit, den höheren Preis zu zahlen, wie man an der hohen Auslastung der Züge auf der schnellen Verbindung sehen kann.
Flexibilität wertvoll für die Kunden
Differenzierte Preise sind der effektivste Gewinntreiber. Die Bahn könnte hier noch deutlich weitergehen. So wäre es durchaus angebracht, in starken Verkehrszeiten wie am Freitagnachmittag und -abend sowie am Sonntagnachmittag und -abend einen Zuschlag zu verlangen. Die Kunden brauchten dabei nur einen geringen Aufpreis zu zahlen. Drei Euro für die 2. Klasse oder fünf Euro für die 1. Klasse erscheinen sinnvoll. Ein solcher Zuschlag hätte zwei Effekte: Zum einen wären die Züge weniger überfüllt, zum zweiten würde die Bahn mehr Gewinn erzielen. Insbesondere die Billigairlines zeigen, dass solche differenzierten Preise sehr effektiv sind.
Allerdings sollte die Bahn nicht den Weg der Fluggesellschaften gehen und nur Fahrkarten mit Reservierung verkaufen. Dieser Versuch wurde bereits einmal im Jahre 2002 gemacht und scheiterte damals. Die Flexibilität des deutschen Bahnsystems ist für die Kunden äußerst wertvoll. Mit einer normalen Fahrkarte kann man jeden Zug benutzen. Dieser Vorteil sollte nicht aufgegeben werden. Zwar machen das andere Eisenbahnen, wie etwa die französische, anders. Aber das französische System, insbesondere im Fernverkehr, besteht praktisch aus einem Stern, der von Paris ausgeht, und hat eine völlig andere Struktur als das stark vernetzte deutsche System.
Bahncard schafft Kundentreue
Ein sehr attraktives Angebot der Deutschen Bahn ist die Bahncard, die mittlerweile von mehr als fünf Millionen Kunden gekauft wird. Sie schafft eine hohe Kundentreue. Jedes Mal, wenn der Kunde eine Fahrkarte kauft, hat er ein Erfolgserlebnis, denn er bekommt 25 beziehungsweise 50 Prozent Rabatt. Bei der Bahncard 100 braucht er sogar nur einmal im Jahr eine Fahrkarte zu kaufen, danach kann er beliebig oft und beliebig weit fahren. Es gibt weltweit nur ein weiteres Beispiel einer bezahlten Rabattkarte, das ähnlich erfolgreich ist, nämlich Amazon Prime.
Die Kritik an der Preisdifferenzierung der Bahn und der damit einhergehenden Preistransparenz ist weitgehend unangebracht. Eher sollte die Bahn ihre Preise noch stärker differenzieren.
Über den Autor: Preisguru Professor Dr. Hermann Simon ist Gründer von Simon-Kucher & Partners. Er gilt auch als Erfinder der Bahncard.