Es war eine unscheinbare Meldung, aber mit hoher Aussagekraft: Anfang des Jahres gab der Onlinehändler und Marktplatzbetreiber Otto bekannt, seine Kundendaten nur noch für das hauseigene Werbegeschäft einzusetzen. Bislang flossen die Daten auch in den Pool des Joint Ventures OS Data Solutions ein, das Otto gemeinsam mit dem Werbevermarkter Ströer betrieb. Auf diese Weise standen sie einer breiteren Werbekundschaft zur Verfügung, die damit das Targeting ihrer Online-Werbung verfeinern konnte.
Damit ist jetzt Schluss, OS Data Solutions wird von Ströer allein weitergeführt. „Daten wie Demografie, Kaufinteresse und Nutzerverhalten bilden die Basis unserer Werbeleistungen für andere Unternehmen“, erläutert Sabine Jünger, Direktorin Advertising Services bei Otto. „Sie haben für uns und unsere Werbekunden also einen besonderen Wert. Deshalb behalten wir sie ab sofort bei Otto und gestalten unsere Werbeprodukte damit noch effektiver.“
Der Datenschatz, über den die Vermarktungstochter Otto Advertising verfügt, ist in der Tat imposant: First-Party-Daten von mehr als 31 Millionen aktiven Konten von Kund*innen der Otto Group stehen zur Verfügung. Daraus werden aktuell mehr als 2000 spezifische Audience-Segmente gebildet. Werbekunden können sie nutzen, um bestimmten Zielgruppen sogenannte Sponsored Display Ads (SDA) zu zeigen, entweder auf den Otto-Seiten (Onsite) oder auf externen Websites großer Vermarkter (Offsite).
Die Sponsored Display Ads stellen eine weitere Säule des digitalen Retail-Media-Geschäfts von Otto Advertising dar. Sie ergänzen die klassischen Sponsored Product Ads (SPA), über die man einzelnen Produkten prominente Plätze in den Suchergebnissen auf otto.de verschaffen kann. SPA werden nicht nach Zielgruppen, sondern auf bestimmte Keywords gebucht. Anders als die individuell gestalteten Sponsored Display Ads sehen sie aus wie reguläre Suchergebnisse, ergänzt um den Zusatz „gesponsert“. Die SPA können seit dem vergangenen Sommer auch im Self-Service gebucht werden.
2026 könnte Retail Media mehr als 25 Milliarden Euro verbuchen
„Sponsored Product Ads sind die Wiege von Retail Media: Werbung im direkten Kaufumfeld der eigenen Produkte und somit nah am Warenkorb“, betont Jünger. „Partner haben durch den Self-Service die Möglichkeit, Kampagnen schnell, einfach und effektiv selbst aufzusetzen, und können Retail Media so auch mit einem kleineren Budget für sich nutzen.“ Der große Vorteil: Die Werbewirkung lässt sich unmittelbar am Absatzerfolg messen.
Dass Otto seinen Datenschatz nun exklusiv nutzt und auf die Umsätze über OS Data Solutions verzichtet, sagt viel aus: Das hauseigene digitale Retail-Media-Geschäft ist mittlerweile mehr als nur ein Zubrot, es ist vielmehr zu einem strategisch relevanten Bereich geworden. Otto gilt – nach Pionier und Platzhirsch Amazon – als zweitstärkster Player im deutschen Markt. Und der neue Werbekanal entwickelt sich schnell: Der Branchenverband IAB Europe schätzt den europäischen Umsatz für 2022 auf 9,7 Milliarden Euro, für das laufende Jahr wird ein Wachstum von 18,7 Prozent erwartet.
Das Offsite-Geschäft wird künftig das größere Wachstumspotenzial bieten.
Jessica Koch, VP New Business & Retail Media bei Douglas und Managing Director der Vermarktungstochter Beauty Media Solutions
Schon im Jahr 2026 könnte Retail Media mehr als 25 Milliarden Euro verbuchen und damit den TV-Markt überholen. Aktuell taxiert der Verband den Marktanteil von Amazon auf 80 Prozent. Präzise Prognosen zum deutschen Markt gibt es nicht, er dürfte aber bereits einige Milliarden Euro schwer sein. Amazons deutsche Vermarktungstochter hat bereits 2021 die Umsatzmarke von zwei Milliarden Euro geknackt.
Digitales Retail-Media-Geschäft wird ausgebaut
Amazons Dominanz dürfte sich aber künftig abschwächen. In den USA formiert sich schon seit Jahren eine starke Konkurrenz, angeführt von Handelsketten wie Walmart, Target und Instacart. Sie haben längst hochprofessionelle Werbenetzwerke aufgebaut und wachsen deutlich schneller als Amazon. Das könnte bald auch in Deutschland geschehen. Im vergangenen Jahr haben zahlreiche Händler ihr digitales Retail-Media-Geschäft auf- oder ausgebaut. Die Riege umfasst neben Otto unter anderem Zalando, About You, MediaMarktSaturn, Intersport, MyToys, Obi und Notebooksbilliger.de. Mit der Rewe Group und der Schwarz Gruppe mischen sogar zwei der größten Lebensmittelhändler mit. Und die Unternehmen agieren auch europaweit: MediaMarktSaturn hat sein Angebot gleich in 13 Ländern ausgerollt, Douglas ist in neun Märkten vertreten.
Für Unterstützung soll der Fachkreis Retail Media Circle im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) sorgen, in dem sich im vergangenen Herbst diverse Händler zusammengeschlossen haben. „Um Retail Media als eigenes Marktsegment in der Digitalvermarktung auf allen Ebenen ganzheitlich und zukunftsorientiert zu etablieren, müssen wir gemeinsam noch smarter, lauter, vernetzter und professioneller agieren“, erklärt Patricia Grundmann, Vorsitzende des Fachkreises und im Hauptberuf Vice President Retail Media bei Obi.
Preise steigen, wenn sich mehr Unternehmen auf Retail Media einlassen
Auf der Agenda stehen unter anderem einheitliche Werbeformate sowie vergleichbare und nachvollziehbare Preismodelle und KPIs. Nur so kann man Transparenz und auch Skalierbarkeit schaffen. Denn das ist bislang noch ein Manko: Weil die Buchungsprozesse der einzelnen Anbieter sehr unterschiedlich sind, gestaltet sich die Steuerung übergreifender Kampagnen komplex. Spannend ist in diesem Zusammenhang, inwiefern sich die gemeinsamen Standards am System von Amazon orientieren, das zumindest bei großen Kampagnen nach wie vor unverzichtbar ist.
Wie auch immer: Sponsored Product Ads sind nach wie vor die Grundlage des Geschäfts. Bei Douglas etwa erzielen sie im Durchschnitt einen ROAS (Return on Advertising Spend) von sieben Euro pro eingesetztem Euro. Allerdings sollte man diese Kennzahl nicht ohne Weiteres mit dem Leistungsbeitrag anderer Kanäle vergleichen, denn man spricht über SPA Menschen an, die bereits sehr nah am Kaufprozess sind und möglicherweise auch ohne die Werbung gekauft hätten. Wie groß dieser Effekt ist, lässt sich am besten durch zeitweiliges Aussetzen der Werbung feststellen. SPA gelten aber als zurzeit noch vergleichsweise preisgünstig. Allerdings werden die Preise steigen, wenn sich noch mehr Unternehmen auf Retail Media einlassen – irgendwann treten dann Sättigungstendenzen auf.
Anzeigen werden nicht auf Keywords, sondern auf Zielgruppen-Targetings ausgerichtet
Doch die Branche denkt längst darüber hinaus. Anzeigen, die nicht auf Keywords, sondern auf Zielgruppen-Targetings ausgerichtet werden, können mehr bieten als nur Kaufanstöße. „Wir legen großen Wert darauf, Retail Media als Full-Funnel-Angebot zu etablieren“, betont Jessica Koch, Vice President New Business & Retail Media bei Douglas. „Schon heute werden unsere Audience Ads gern genutzt, um zum Beispiel auf Produkt-Launches aufmerksam zu machen.“ Die Targeting-Zielgruppen lassen sich auch nutzen, um Werbung auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, Instagram oder YouTube auszusteuern. „Das Offsite-Geschäft wird künftig das größere Wachstumspotenzial bieten – diese Entwicklung kann man im amerikanischen Markt bereits beobachten“, so Koch. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Arbeit mit den sogenannten non-endemischen Kunden interessant – Unternehmen, die gar keine Produkte im betreffenden Onlineshop oder auf dem Marktplatz verkaufen, sondern einfach nur die Daten nutzen wollen, zum Beispiel Autohersteller oder Versicherer. Das ist aber für die meisten Retail-Media-Anbieter in Deutschland noch Zukunftsmusik.
Das Ziel: enge Kooperation mit den Werbekunden
Aktuell steht eher im Fokus, auf Basis der Insights, die der Datenpool liefert, die Kooperation mit den Lieferanten und Werbekunden zu vertiefen. „Für große Werbekunden analysieren wir auch selbst das Kaufverhalten ihrer Zielgruppen und gehen dann mit konkreten Media-Empfehlungen auf sie zu“, sagt Douglas-Managerin Koch.
Bei der Rewe Group bietet der Bereich Customer Insights & Media alles aus einer Hand an: Insights, Media und Messung. Rewe kann unter anderem auf die Daten von 16,7 Millionen Payback-Haushalten zugreifen, um Werbung im Shop, in den sozialen Medien, aber auch in den Filialen auszusteuern – die Palette der Werbemittel reicht von Display Ads über Payback-Direktmarketing bis zum Versand von Produktproben. Informationen über die Käufer*innen einer Marke, ihre Kaufgewohnheiten und Präferenzen kann man – auch unabhängig von Werbekampagnen – über die Datenbank Markencockpit abrufen.
In diese Richtung denkt man auch bei Otto. Bislang stehen die First-Party-Daten und Kundenprofile bei Otto Advertising ausschließlich für die Werbelösungen zur Verfügung. „Strategisch relevante Insights über Zielgruppen, wie etwa Kaufverhalten oder Interessen, sind für Werbetreibende aber auch außerhalb bestimmter Kampagnen extrem relevant“, sagt Otto-Managerin Jünger. „Deshalb machen wir Measurement & Insights in diesem Jahr zu einem unserer Kernthemen.“