Die Marketingleute in der Automobilindustrie haben einen Top-Job gemacht. Jedenfalls aus Sicht derer, die dicke Karren verkaufen: Laut der Internationalen Energie-Agentur (IEA) waren im Jahr 2023 über 50 Prozent aller in Europa verkauften Neuwagen Sport Utility Vehicles, kurz SUV. Die großen, schweren und sehr beliebten Autos stoßen laut IAE im Schnitt 20 Prozent mehr CO2 aus als Limousinen. Zudem nehmen sie viel Platz weg. Deshalb forderte IAE-Chef Faith Birol am Montag in einem Interview mit der französischen Zeitung „Les Échos“ die Regierungen dazu auf, den Kauf von SUV unattraktiver zu machen. Zum Beispiel in Form höherer Steuern.
Das Interview erscheint nicht von ungefähr genau jetzt: Am kommenden Sonntag entscheiden die Bürger*innen von Paris über die Einführung einer neuen Parkgebühr speziell für auswärtige SUV – sagen die Menschen „Oui“ zum Plan, sind die Gebühren künftig mit 18 Euro pro Stunde dreimal so hoch wie für andere Autos. Prompt forderte die Deutsche Umwelthilfe am Dienstag auch für Deutschland höhere Parkgebühren für SUV. Der ADAC – wen wundert’s – widersprach.
„Icon of the Seas“ getauft von Lionel Messi
Die Marketingleute von Royal Caribbean haben ebenfalls einen Top-Job gemacht. Jedenfalls, wenn man dicke Pötte mag: Schon als im Oktober 2022 die Reservierung für die „Icon of the Seas“ startete, verzeichnete die Kreuzfahrtgesellschaft den stärksten Buchungstag seiner 53-jährigen Geschichte. Am vergangenen Wochenende stach das weltgrößte Kreuzfahrtschiff – zuvor getauft von Fußballer Lionel Messi – in See. Die „Icon of the Seas“ bietet Platz für 7600 Passagiere und 2350 Besatzungsmitglieder. (Falls Sie Zeit und Spaß an Satire haben: Der „Postillon“ vermutet, dass unter anderem die komplette A9 von Berlin nach München auf der „Icon of the Seas“ untergebracht ist, mehr dazu lesen Sie hier.)
Das Mega-Schiff pflügt laut Royal Caribbean ziemlich sauber durchs Meer, denn seine 90.000-PS-Motoren werden von Flüssigerdgas angetrieben. Das spart tatsächlich CO2, setzt aber das extrem klimaschädliche Methan frei. Generell gibt es erhebliche Zweifel an der Umweltverträglichkeit von Kreuzfahrten. Der „Guardian“ zitiert Studien, laut denen der CO2-Fußabdruck eines einwöchigen Urlaubs auf einer europäischen Kreuzfahrt achtmal höher ist als eine Flugreise mit Hotelaufenthalt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt ist so umweltverträglich wie die Titanic unsinkbar war.“
Hallo Marketingprofis, es gibt (noch mehr) Arbeit!
So wie in Paris angesichts der SUV keimt in immer mehr europäischen Städten Widerstand in puncto Kreuzfahrtschiffe auf. Venedig, Amsterdam, Dubrovnik und Barcelona haben die Zahl der in ihren Stadtzentren anlandenden Riesen bereits stark eingeschränkt oder sie gleich ganz verbannt.
Die SUV- und Icon-Meldungen zeigen exemplarisch das Dilemma, in dem (wohlhabende) Menschen im Allgemeinen und Marketingprofis im Besonderen stecken: Die Leute mögen nun mal schwere Autos und klimaschädliche Reisen. Deshalb werden Automobilkonzerne und Reedereien nicht aufhören, beides anzubieten. Mehr noch als politische Regularien, die ja immer auch Widerstand erzeugen, müssten attraktive Alternativen her. Das wäre doch mal ein Top-Job für Marketingprofis – und ein richtig dickes Brett.
Nachhaltigkeit geht nicht ohne Demokratie
Aus gegebenem Anlass noch eine bemerkenswerte Meldung vom Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW): Der Verband hat die Liste seiner Ausschlusskriterien für eine Verbandsmitgliedschaft um Demokratiefeindlichkeit und rechtsextreme Gesinnung erweitert. „Nachhaltigkeit und Demokratie hängen fest zusammen, die Werte eines nachhaltigen Wirtschaftens sind Weltoffenheit, Toleranz und Diversität“, erklärt BNW-Geschäftsführerin Katharina Reuter.
Man dürfe den Blick nicht auf die ökologische Nachhaltigkeit verengen, sondern müsse gerade jetzt die sozialen Aspekte besonders betonen. „Menschenrechte in der Lieferkette gehören genauso dazu wie der Schutz von Minderheiten hier in Deutschland“, so die BNW-Chefin. Der Verband hatte schon mit dem Einzug der AfD in den Bundestag im Jahr 2017 einen Unvereinbarkeitsbeschluss in seiner Satzung verankert: Dem zufolge beantwortet der BNW keine Anfragen von AfD-Abgeordneten, vereinbart keine Termine mit ihnen oder ihren Mitarbeitenden, lädt sie nicht zu Veranstaltungen ein und nimmt keine Einladungen der AfD an. Man kann also sagen: Im BNW befinden sich Unternehmen schon rein politisch betrachtet in bester Gesellschaft.