„Deutschland hat ein Markenproblem“

Made in Germany kennt jeder. Doch das Label droht aus der Zeit zu fallen. Im Interview spricht Claudio Montanini, Präsident des Bundesverbands Marketing Clubs darüber, wie das Marketing neue Impulse für Wirtschaft und Wertschöpfung setzen kann.  
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Claudio Montanini ist Präsident des Bundesverband Marketing Clubs (BVMC). (© Liquid, Olaf Deneberger & Natalie Färber)

Herr Montanini, Deutschlands Image ist angekratzt. Die Wirtschaft stagniert, die Infrastruktur bröckelt, Unternehmen klagen über zu viel Bürokratie und investieren lieber im Ausland. Wie reißen wir das Steuer wieder herum? 

Indem wir uns erst mal trauen, das Steuer wieder in die Hand zu nehmen. Wir sind aktuell zu langsam, wir sind nicht entscheidungsfreudig und nicht mutig genug. Stattdessen erleben wir, dass die Merkmale, für Deutschland mal gestanden hat, langsam erodieren. Made in Germany kennt jeder. Das steht für Qualität, Stabilität, Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Ordnung, Leistung. Solange diese Werte noch nicht komplett verschwunden sind, sollten wir uns darauf zurückbesinnen. Aber wir müssen auch mehr Risiko eingehen und dürfen uns nicht zu Tode analysieren, bis alles vermeintlich zu 100 Prozent wasserdicht ist. Wir müssen eine Marke schaffen, die nicht nur den Produktionsstandort „Germany“ kennzeichnet, sondern die auch auf die Kraft der Idee, permanente Innovations- und Transformationsbereitschaft sowie den unbedingten Willen zur erfolgreichen Umsetzung setzt.  

Wen genau meinen Sie mit „wir“?  

Im Grunde alle: Politik, Medien, Wirtschaft, Gesellschaft. Vieles ist eine Frage der Kommunikation oder der Ansprache. Ich vergleiche das gerne mit der Fußballnationalmannschaft, der nach der vergangenen Weltmeisterschaft kaum jemand noch etwas zugetraut hat. Es brauchte einen neuen Trainer, eine neue Ansprache und siehe da: Bei der Europameisterschaft im Sommer spielt fast der gleiche Kader wieder begeisternden Fußball.  

Übertragen wir das mal auf die Wirtschaft. Was schlagen Sie vor? 

Zunächst müssen wir anerkennen, dass die Zeiten sich verändern. Früher gab es die Deutschland AG. Das waren die größten Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen, die über gegenseitige Kapitalbeteiligungen und Aufsichtsratsmandate im Grunde entschieden haben, wie die Wirtschaft aussieht. Das geht heute nicht mehr. Alles ist viel komplexer geworden. Und deshalb müssen wir umso dringender die Frage stellen: Wo soll Deutschland in 10, 15, 20 Jahren stehen, was soll unser Land dann ausmachen? Noch haben wir gute Voraussetzungen und eine starke Wirtschaft – vom Startup bis zum Weltkonzern, vom Hidden Champion bis zum Global Player. Aber wenn wir das nicht beantworten, bekommt Deutschland ein Markenproblem.  

Und: Haben Sie schon eine Antwort darauf? 

Ich hätte zumindest Ideen. Wenn wir weiter zu den Top-Wirtschaftsnationen gehören möchten, müssen wir zum Beispiel die Energiefrage lösen. Als rohstoffarmes Land brauchen wir außerdem eine Strategie, wie wir benötigte Ressourcen beschaffen. Wir müssen sehen, was wir zur Verfügung haben und das sinnvoll einsetzen. Ich würde auch diskutieren, ob wir in den gleichen Branchen führend sein wollen, wie heute, oder ob wir uns auf neue Bereiche konzentrieren. Als Bundesverband Marketing Clubs können wir alleine darauf auch keine Antworten geben. Aber wir möchten die Debatte anstoßen und begleiten. Unser Ziel ist es, beim Deutschen Marketing Tag 2025 in Frankfurt ein erstes Bild zu zeichnen: Wie würde Deutschland aussehen, wenn es eine Marke wäre?  

Stichwort Marketing. Wo sehen Sie denn Ihre Branche in der Pflicht, etwas zu verändern? 

Wir sind oft auch zu verhalten, trauen uns zu wenig zu. Meiner Meinung nach müsste das Marketing in vielen Unternehmen eine stärkere Position einnehmen. Oft gibt es zwar die Position des Chief Marketing Officer aber bis auf wenige Ausnahmen sind CMOs nicht die starken Partner der CEOs, die sie sein könnten. Deshalb dominiert im Management oft die rein betriebswirtschaftliche oder die technologische Sicht. Das gleiche gilt für Aufsichtsräte, wo Marketingspezialisten so gut wie gar nicht vertreten sind. Aber genau da müssen wir rein. Ich kann ein Unternehmen aus Kostengesichtspunkten führen oder ich führe es aus Markensicht. Denn ohne Marke gibt es keinen Markt, ohne Markenwert keinen Börsenwert.  

Das müssen Sie bitte etwas genauer erklären.  

Für mich ist Marketing ein wesentlicher Treiber der Marktwirtschaft. Unternehmen müssen erkennen, wie wichtig es ist, eine starke Marke zu haben und Produkte oder Dienstleistungen ordentlich zu vermarkten. Denn Selbstläufer gibt es nicht. Wir haben in Deutschland immer noch sehr gute Ingenieure oder Entwickler, die tolle Produkte erfinden. Aber wenn Unternehmen nicht aktiv deren USP bewerben und die Benefits hervorheben, werden sie sie nicht optimal verkaufen.  

Sie haben den Deutschen Marketing Tag und die „Marke Deutschland“ schon angesprochen. Was möchte der BVMC mit dieser Kampagne in den kommenden drei Jahren erreichen?  

Es braucht ein neues und positives Selbstbewusstsein. Wir wollen als Branche signalisieren, dass Marketing ein wichtiger Ideengeber und Treiber der Marktwirtschaft ist. Dafür suchen wir den Schulterschluss mit Unternehmen, Medien und Politik. Ich wünsche mir, dass wir dabei helfen können, ein neues Mindset in Deutschland zu entwickeln, das Parameter hat wie: sich mehr trauen, mehr experimentieren, auch Scheitern einplanen, um am Ende mit erfolgreichen Strategien neue Produkte und Dienstleistungen zu etablieren. Oder in einem Satz: Wir möchten unseren Teil dazu beitragen, den Standort Deutschland wieder zukunftsfähig zu machen.