Wer mit der Bahn anreist, muss, um ins Kap Europa zu kommen, durch das Bahnhofsviertel Frankfurts laufen. Obwohl es früher, viel früher, DIE Flaniermeile der Stadt war, ist es heute selbst bei Tageslicht keine schöne Strecke. Doch einmal am Veranstaltungsort angekommen, verblassen die Eindrücke von der Straße schnell wieder: Das Programm des Deutschen Marketing Tags (kurz: DMT) spielt sich auf vier Etagen ab, bis zu neun Themen werden gleichzeitig behandelt. Innovative Geschäftsmodelle oder Künstliche Intelligenz? Nachhaltigkeit oder New Work? An beiden Tagen wird es nicht einfach gewesen sein, sich zwischen den angebotenen Sessions zu entscheiden.
Comeback nach Corona
Es war mein erster DMT. Und es war eine gelungene Premiere. Nach drei Jahren fand der Deutsche Marketing Tag, veranstaltet vom Deutschen Marketing Verband (kurz: DMV) in Zusammenarbeit mit Euroforum, wieder als Live-Event statt. Unter dem Motto „It’s all about trust“ standen mehr als 100 Speaker*innen auf der Bühne und mehr als 1000 Teilnehmer*innen kamen zu acht Deep Dives, fünf Masterclasses und zwölf Breakout-Sessions. Die erklärte Botschaft der Veranstalter: Mensch und Technologie zu verbinden, wird eine der Kernaufgaben von Marketern sein. Damit das gelingt, muss in Vertrauen investiert werden. Mit dabei waren neben Mitgliedern der 62 Marketing Clubs auch zahlreiche Marketingentscheider*innen aus der Wirtschaft wie Kristina Bulle von P&G, Jürgen Kornmann von der Deutschen Bahn oder Marcin Piaseczny von Bahlsen, um über Fachthemen zu diskutieren, sich zu vernetzen – oder, um die neuesten VR-Brillen auszuprobieren. Doch dazu später mehr.
Wissenstransfer und Networking
Für Ralf Strauß war es der letzte große Auftritt als DMV-Präsident. Er hatte vor Monaten bereits bekanntgegeben, sein Ehrenamt an der Spitze des Marketingverbandes niederzulegen. Nicht aber, ohne die große Bühne vorher noch einmal zu genießen. Gemeinsam mit dem Präsidenten des Marketing Clubs Frankfurt am Main, Claudio Montanini, eröffnete er am 2. November die zweitägige Veranstaltung. „Es geht beim DMT um Marketer, die in der Verantwortung stehen und aus der eigenen Erfahrung heraus beschreiben, was funktioniert und was nicht – und was ihre eigenen Lessons Learned in der Umsetzung sind“, sagt Strauß. Das unterscheide seiner Meinung nach den Deutschen Marketing Tag von anderen Veranstaltungen, bei denen „stimmungsvolle Powerpoint-Präsentationen durch Dienstleister im Dauer-Pitch-Modus“ laufen würden.
In Roundtables wurde darüber diskutiert, wie effizientes Data-Driven Marketing gelingt oder warum CMOs und CIOs zusammenarbeiten sollten. In den teils internationalen Keynotes ging es um langfristige Markenbildung oder das Thema Metaverse. Das Herzstück der Veranstaltung aber waren die Deep Dives und Breakout-Sessions, in denen es um Zukunftsthemen des Marketings ging: D2C, Marketingautomatisierung, Purpose-Driven-Marketing, Customer Experience Management, Retail Media, Content Marketing und vieles mehr.
Wie so oft entschied sich die Qualität eines Events nicht nur auf der Hauptbühne, die natürlich ihre Megastars braucht, sondern auch abseits des Rampenlichts. Es sind die Gespräche, die man führt, und die Kontakte, die man knüpft, die über den Gesamteindruck entscheiden. Ja, man musste sich entscheiden, welche Schwerpunkte man persönlich setzen wollte; der große Vorteil der knapp zweistündigen Slots jedoch lag darin, dass es Zeit und Raum für echte Diskussionen statt lediglich für ein knappes Q&A gab.
Marketing-Pioniere und Science Slam
Die Marketing-Pioniere, die sich zum Ziel gesetzt haben, Marketing zu gestalten und Menschen, Generationen und Unternehmen zu vernetzen, waren ebenfalls mit einer Reihe von Sessions auf dem DMT vertreten. Darin ging es etwa um Strategien, wie Marken die Gen Z auf TikTok erreichen (zu Gast war mit Play the Hype eine der führenden Agenturen in diesem Feld) oder wie man Vertrauen in der VUCA-Welt aufbaut. Letztere Fragestellung wurde in einem Workshop mit Lego und der Deutschen Bahn erarbeitet. Um an dieser Stelle ein wichtiges Learning zu teilen: Je jünger die Zielgruppe, desto diverser ist sie. Während deutschlandweit im Durchschnitt 25,4 Prozent eine Migrationsgeschichte haben, sind es bei Menschen bis zehn Jahre bereits 40,2 Prozent. Und falls sie die neue TikTok-Kampagne von Burger King noch nicht gesehen haben: Holen Sie es nach!
Ein weiterer USP des Deutschen Marketing Tags ist die konsequente, aber eben auch die spielerische Einbindung von Wissenschaftler*innen. Moderiert vom DMV-Vorstandsmitglied Marko Sarstedt, Professor am Institut für Marketing der Ludwig-Maximilians-Universität München, traten vier Hochschulprofessor*innen gegeneinander an: Prof. Sonja Gensler von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit Kennzahlen zum Influencer Marketing, Prof. Monika Imschloß von der Leuphana Universität Lüneburg mit einem Vortrag zum Einfluss von Musik auf das Konsumverhalten am Point of Sale, Prof. Jochen Reiner von der Goethe-Universität Frankfurt am Main mit Erkenntnissen zur Buy Box auf dem Amazon Marketplace und Prof. Bernd Skiera, ebenfalls von der Universität Frankfurt, mit dynamischen Wettbewerbskarten. Mit ihrem Vortrag zum Thema „Sound of Trust“ konnte Imschloß sich am Ende durchsetzen.
Was Sie sich aus allen Vorträgen merken sollten: Der Sweet Spot bei der Auswahl von Influencer*innen liegt bei einer Million Follower*innen, Musiktyp, -tempo und -lautstärke beeinflussen das Konsumverhalten, langsame Musik lässt uns zum Beispiel langsamer durch ein Geschäft laufen, die Buy Box auf Amazon kann man nicht kaufen, man muss sie verdienen – und das Text Mining von Geschäftsberichten über einen gewissen Zeitraum kann einem verraten, wer in Zukunft zum Wettbewerb zu zählen sein wird.
Award-Regen: Biontech, Klinikum Saarbrücken – und Robbie Williams
Zum Abschluss des Deutschen Marketing Tages wurde der Deutsche Marketing Preis verliehen: Es war ein knapper Sieg für das Mainzer Unternehmen Biontech, das sich den Titel im zweiten Anlauf und gegen die starke Konkurrenz von Alfred Ritter, Rewe, RTL und Spotify sichern konnte. Die Jury, zu der ich gehören darf, bekundete in ihrer Entscheidung Respekt und Bewunderung für den ganzheitlichen und modernen Marketingeinsatz unter Einbezug aller relevanten Marketinginstrumente und unterstützenden Technologien. Biontech sei eine unglaubliche Aufbauleistung in kürzester Zeit gelungen, die Kommunikation mit den Stakeholdern in einem durchaus sensiblen Umfeld großartig und nachhaltig.
Ebenfalls verliehen wurde der Best of DMV für ausgezeichnetes regionales Marketing, der dieses Jahr an das Klinikum Saarbrücken ging. Und als Überraschungsgast erhielt Robbie Williams die Auszeichnung „European Brand Personality 2022“, die der Verband erstmals verliehen hat.
Blick in die Zukunft
Wer übrigens meint, schon alles gesehen zu haben, sollte sich bei nächster Gelegenheit mal wieder eine VR-Brille aufsetzen. Über beide Veranstaltungstage hinweg und selbst während der Abschluss-Keynote war einiges los im Experience-Bereich. Und gerade in den vergangenen zwei Jahren hat sich hier viel getan. Die grafische Umsetzung von Spielumfeldern ist noch immersiver geworden und selbst Landschaften lassen sich inzwischen realitätsnah darstellen. Wann genau der nächste DMT stattfinden wird, steht aktuell übrigens noch nicht fest. Nur so viel: Es soll keine drei Jahre Pause bis zum nächsten Event geben! Ein Save-The-Date aber habe ich mir schon notiert. Am 12. und 13. Mai 2023 findet das erste nationale Treffen der Marketing-Frauen in Leipzig statt. Wir sehen uns!