Von Wolf von Dewitz, dpa
Die Gelben waren ein milliardenschwerer Verlustbringer, die Grauen hingegen hochprofitabel: Ein Vierteljahrhundert ist es nun her, dass die Bundespost mit ihren gelben Postdiensten und der grauen Fernmeldetechnik aufhörte zu existieren. Als Nachfolger entstanden am 1. Januar 1995 die Deutsche Post und die Deutsche Telekom – beide als Aktiengesellschaften, deren Anteile der Staat aber erst Jahre später an die Börse brachte. Heute ist aus dem hochdefizitären nationalen Postdienst ein profitabler, weltweit tätiger Großkonzern geworden. Man habe eine „tolle Erfolgsgeschichte“ geschrieben, sagt Post-Chef Frank Appel im Rückblick.
Wirklich toll war die Stimmung damals aber nicht, als die Privatisierung eingeleitet wurde. Gewerkschafter warnten vor Jobverlusten und miesen Arbeitsbedingungen, Verfechter der freien Marktwirtschaft vor Hemmnissen für Innovation.
Online-Handel: Der heutige Paket-Boom war noch nicht absehbar
Im Kern ging es darum, wie Wettbewerber in den Markt kommen und das Angebot für Verbraucher verbessert wird, ohne dass die Nachfolger der Bundespost Schlagseite bekommen. Treiber der Privatisierung war die Fernmeldetechnik, also die spätere Telekom – ihr Geschäft war sehr lukrativ, der Markt hatte auch dank aufkommender Handynutzung großes Potenzial. Bei der Post waren die Aussichten zunächst nicht so rosig – der heutige Paket-Boom dank des rasant wachsenden Online-Handels war noch nicht absehbar. „Die Fernmeldetechniker drängten in die Eigenständigkeit, die Postler hingegen nicht“, erinnert sich der CDU-Bundespolitiker Elmar Müller (77), der damals für die Postreform mit zuständig war.
Die Debatte war hitzig, die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern der Post-Privatisierung tief. „Alternativlos“ sei der Schritt gewesen, sagt der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Arne Börnsen (75). „Ohne die Privatisierung wäre die Post vor die Hunde gegangen.“ Denn jahrelang habe die Fernmeldetechnik die Postdienste quersubventioniert. Wäre diese Unterstützung nach Aufteilung der Bundespost weggefallen, hätte der Staat die Post stützen müssen, sagt Börnsen. „Ob die öffentliche Hand es sich lange hätte leisten können, die Defizite der Post auszugleichen, bezweifle ich.“ Möglicherweise hätte der Staatsbetrieb sein Angebot runterfahren müssen.
Globale Größe durch DHL-Übernahme
Doch es kam anders. Die Post wurde eigenständig und wuchs mit der 2002 abgeschlossenen Übernahme der Kurierfirma DHL zur globalen Größe. Dienste wie Express-Sendungen und Packstationen kamen hinzu, der Konzern bestand im weltweiten Wettbewerb.
Der CDU-Politiker Müller ist zufrieden, dass der Konzern schnell wettbewerbsfähig geworden sei. Personell sei der Wandel ein Kraftakt gewesen, denn die Postdienste seien völlig überbesetzt gewesen. „Selbst wenn auf einem Postamt nur eine Glühbirne ausgetauscht werden musste, rückte mitunter ein Technikteam aus dem Nachbarort an“, sagt Müller kopfschüttelnd. Ein 400 Seiten dickes Buch habe zudem die zahlreichen Zuschüsse aufgelistet, die den Beamten zustanden: Im Sommer habe es einen Zuschuss für Sprudelwasser gegeben und im Winter einen Zuschuss für warme Getränke. „Es war allen klar, dass sowas keine Zukunft hatte.“
Rund 340.000 Mitarbeiter hatten die Bundespost-Postdienste Ende 1994 in Deutschland, heute sind es noch 220 000 – bei deutlich mehr Dienstleistungen, aber einem weitgehend an Externe abgegebenen Filialnetz. Der Einfluss des Bundes auf den Ex-Staatsmonopolisten ist noch immer groß: Die staatliche KfW hält 21 Prozent der Aktien.
Müller hält es im Rückblick für einen Fehler, dass die Marktliberalisierung zu zaghaft angegangen worden sei – erst 1998 wurde der Paketmarkt hürdenfrei geöffnet und 2007 der Briefmarkt. „Das war zu langsam“, sagt Müller. Auflagen zum Schutz des einstigen Staatsmonopolisten seien für Wettbewerber erhebliche Hindernisse gewesen. Tatsächlich ist der Vorsprung vor der Konkurrenz noch immer gewaltig: Laut Bundesnetzagentur liegt der Umsatz-Marktanteil der Deutschen Post DHL im Inland bei 44 Prozent bei Paketen und 86 Prozent bei Briefen. Zu hoch, findet etwa die Monopolkommission – die Konkurrenz habe es zu schwer. Zu ihr gehören der Briefdienstleister Postcon und die Paketfirmen DPD, Hermes, GLS und UPS.
Und wie sehen Arbeitnehmervertreter die Weichenstellung von 1995? Der Post-Betriebsratschef Thomas Koczelnik sagt, er habe damals große Befürchtungen und Ängste um den Arbeitsplatz gehabt. Zusammen mit der Postgewerkschaft setzte er sich vergeblich für eine Umwandlung in eine Anstalt des öffentlichen Rechts ein, damit die Schutzfunktion des Staats möglichst stark bleibt. Der Weg in die Privatisierung habe „zu einem riesigen Arbeitsplatzabbau geführt, der immerhin sozialverträglich war“, sagt der 52-Jährige, der seit 1985 für die Post arbeitet. Die Gewerkschaft habe damals Schutzverträge im Sinne der Belegschaft erstritten. „Im Rückblick haben sich meine Befürchtungen von damals nicht bestätigt.“
Deutsche Post kämpft mit vermehrten Beschwerden
Die aktuelle Lage ist gut. Nur die steigenden Beschwerdezahlen wegen zu spät oder falsch zugestellter Sendungen passen nicht so recht ins Bild eines strahlenden Branchenprimus. 2019 habe es rund 17.200 Beschwerden gegeben – ein gutes Drittel mehr als 2018. Eine weitere, 2020 anstehende Postreform könnte dem Konzern betriebswirtschaftlich Aufwind geben, etwa wenn die Pflicht zur Montagszustellung von Briefen wegfällt.
Der Markt ist wegen des Internets im Wandel: Der Briefmarkt schrumpft, der Paketversand boomt. Das seit Mitte 2019 geltende höhere Porto für Briefe und ein ab Anfang 2020 greifender Preisaufschlag für Pakete dürften die Bonner Kassen beim Inlandsgeschäft kräftig klingeln lassen. „Die Deutsche Post DHL Group ist stärker aufgestellt als jemals zuvor“, sagt Vorstandschef Appel und macht den Eindruck, als strotze der Konzernriese vor Kraft. Ein Riese, der 25 Jahre alt ist – und der so breite Schultern hat, dass inländische Wettbewerber neben ihm arg schmächtig aussehen.