Ihr seid über fünf Kontinente und durch ein Dutzend Städte gereist, um namhafte Designer nach ihrem beruflichen Selbstverständnis zu befragen. Warum?
Am Anfang stand natürlich die Zukunftsfrage. Wir wollten uns selbstständig machen und wissen: Was ist Design heute? Es war uns wichtig, mit Leuten aus der Branche zu sprechen und nicht anhand von wissenschaftlichen Texten die Zukunft vorherzusagen. Designtheorie und -praxis klaffen in meinen Augen schon immer auseinander. Hinzu kam: In einem Praktikum lerne ich auch immer nur von einer Person. Wie interessant ist es dann, wenn man von unterschiedlichsten Menschen auf der ganzen Welt lernen kann?
Warum ist das Selbstbild von Designern so unklar?
Mit der Technik und Digitalisierung haben wir unzählige Möglichkeiten bekommen, unser Leben zu gestalten. Theoretisch kann jeder seine eigene Website aufsetzen, einen Film schneiden oder Sneaker online designen. Wenn jeder zum Gestalter werden kann, verschiebt sich damit aber auch das Berufsbild. Design besteht außerdem aus unzählig vielen Nischen: Grafik-, Industrie-, Software- oder Social Design, es ist quasi nicht mehr greifbar. Du siehst es, du fühlst es, aber es ist nicht messbar. Es hat so viele Facetten.
Wenn jeder selbst zum Gestalter werden kann, warum braucht es dann noch den professionellen Designer?
Diese Frage haben wir uns zwischendurch auch gestellt. Wir glauben aber, dass die Rolle des Designers sogar immer wichtiger wird. Man sieht das gut an der Automobil– oder auch Smartphoneindustrie: Die vielen Produkteunterscheiden sich doch technologisch kaum mehr. Jetzt muss sich ein Konzern wie Audi oder Samsung überlegen: Wie kann ich die Kunden auf meine Seite ziehen? Es geht dabei um die Emotionalisierung der Marke. Und da diese Werte über die unterschiedlichsten Kanäle und Medien kommuniziert werden müssen, ist ein stimmiges Gesamtkonzept so wichtig. Es reicht nicht aus, nur die entsprechenden Design-Programme bedienen zu können, vielmehr ist strategisches und konzeptionelles Arbeiten gefragt. Die Gestaltung, also das Design der Marke, hat hier einen so hohen Stellenwert, weil sie darüber entscheidet, ob sich der Konsument damit identifiziert.
Eure Reise habt ihr „Walz“ genannt. Was steckt dahinter?
Wen habt ihr getroffen und wie habt ihr eure Interviewpartner ausgesucht?
Gab es etwas, das euch auf eurer Reise besonders überrascht hat?
Was uns fasziniert hat war die unterschiedliche Auffassung von Design. Da erzählte uns an einem Tag jemand, Virtual Reality sei die Zukunft und am nächsten Tag interviewten wir einen Produktdesigner, der aus einem riesigen Baumstamm einen Stuhl fräste. Uns wurde mit jedem Gespräch mehr klar, dass Design in seiner Ausprägung grenzenlos ist.
Habt ihr kulturelle Unterschiede feststellen können: in der Art der Gestaltung oder den Produkten, die dabei entstehen?
In unseren Gesprächen mit Designern aus Südafrika lag der Schwerpunkt vor allem auf Social Design, bedingt durch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation vor Ort. Im Vergleich dazu lag der Schwerpunkt beispielsweise in San Francisco auf technologischen Neuheiten wie Virtual Reality oder Fitnessarmbändern – Luxusgüter, wenn man so will. Aber auch in den USA passiert wahnsinnig viel im Bereich Social Design.
Wie unterscheidet sich Social Design von normalem Design?
Social Design folgt einer Notwendigkeit, will einen sozialen Mehrwert schaffen. Im Gegensatz zu „normalem“ Design, das häufig konsumorientiert und Absatz steigernd genutzt wird. Bei Social Design geht es vor allem um sozio-kulturelle Verantwortung des Gestalters. Der Design-Professor Allan Chochinov hat mal gesagt: „Ich unterrichte, um junge Designer zu stoppen, so viel Müll zu produzieren.“ In den Ladenregalen stehen beispielsweise Millionen unterschiedliche Sneaker, das ist konsumorientiertes Design. Der eine Schuh aber, der Leuten mit einer Gehbehinderung hilft, ist Design, das einer Notwendigkeit folgte.
Es muss also nicht immer die Dritte-Welt-Hilfe sein, die sozialen Mehrwert schafft?
Nein. Aber Social Design hat natürlich viel mit der Lösung von so genannten „wicked problems“ zu tun: Probleme, bei denen es nicht diese eine Antwort gibt – Hungersnot zum Beispiel oder Überbevölkerung.
Habt ihr nach all euren Gesprächen und Eindrücken eine Antwort darauf gefunden, wohin sich das Berufsbild des Designers verschieben wird?
Wir glauben, der ausgebildete Designer nimmt bereits jetzt und auch in Zukunft eher eine beratende Rolle ein. Er gestaltet nicht nur das Logo oder die Website sondern konzipiert eine Idee dahinter. Es gilt immer, das Ganze im Auge zu behalten, das dann auch zum Unternehmen, zur Marke passen muss.
Das heißt, Generalisten haben es in Zukunft einfacher als Spezialisten?
Nein, nicht unbedingt. Spezialisierung ist nach wie vor sehr nützlich und unter Umständen essentiell. Es geht eher darum, den Rest nicht aus den Augen zu verlieren. Wir hatten eher den Eindruck, dass sich die meisten auf ein Thema spezialisieren, um dann ihren Blick in andere Disziplinen schweifen zu lassen. Für die beratende Rolle braucht man eine gewisse Weitsicht und großes Wissen. Wenn du nicht weißt, was digital abgeht sondern nur Printmedien kennst, lebst du ja auch hinterm Mond. Man muss wissen, was geht, wer es umsetzen kann – und damit beratend zur Seite stehen.
Ist das die Art von Arbeit, die ihr euch wünscht?
Auf jeden Fall! Bei einem Musik-Festival beispielsweise, kümmern wir uns nicht nur um die kommunikativen Bereiche. Wir bespielen auch ein ganzes Gelände, auf dem Produkte aus der Region präsentiert werden. Wir überlegen uns also die Themenbereiche, entwerfen und bauen Sitzgelegenheiten sowie eine Paletten- und Lichtinstallation. Das Gelände soll Teil des Festivals sein und nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden. Dafür brauchen wir ein Gefühl für das Große Ganze. In einem anderen Projekt kümmern wir uns um das komplette Erscheinungsbild eines Buchladens: Von Website und Visitenkarten über Außenschild bis hin zum Interieur-Design, was dann in Kooperationen mit den jeweiligen Spezialisten entsteht. Mit jedem Projekt tauchen wir in andere Themen ein. Heute sind wir Buchhändler, morgen vielleicht Astronaut.
Eurer Website kann man entnehmen, dass noch einige Städte und Länder eurer ‚Walz‘ offen sind. Wie geht es weiter?
Europa hat noch so viele interessante Designer, die wir gerne sprechen möchten und daher geht es im Herbst wieder auf Walz.
Über die Interviewpartner: Lena Esser arbeitete mehrere Jahre als Produzentin für eine Werbefilmproduktion, Sebastian Seibold ist studierter Kommunikationsdesigner. Gemeinsam gründeten sie das Designbüro „happen-studio“. Als Vorbereitung reisten sie um die Welt und trafen gestandene Designer aus allen Branchen, um mit ihnen über ihr Selbstverständnis und die Zukunft ihrer Disziplin zu sprechen. Die Interviews und Erkenntnisse wollen Esser und Seibold in einem Buch veröffentlichen – aber nicht als Antwort auf die Fragen der Zukunft, mehr als „Inspiration“. Einige der Texte gibt es bereits auf www.thewalzhappens.com.
Lesen Sie mehr zur Bedeutung von Design für Unternehmen und Markenführung in unserer aktuellen Titelgeschichte „Eine Frage der Form“, absatzwirtschaft 09/2016.