Das Gespräch führte Frank Puscher
Herr Rustler, Sie trainieren seit 15 Jahren das Thema Innovation. Macht das immer noch Spaß oder ist es immer dasselbe?
Florian Rustler: Ja, das macht immer noch Spaß! Die Praktiken der Innovation entwickeln sich ja weiter. Früher war alles auf das Thema Technologie und Produkt konzentriert. Heute sind zum Beispiel Geschäftsmodelle und organisatorische Rahmenbedingungen wichtiger geworden.
Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Alles spricht vom Paradigma der Innovationsgeschwindigkeit, damit Unternehmen und Geschäftsmodelle überleben?
Rustler: In den letzten Jahren sind in der Tat die Geschwindigkeit von Veränderung und die Auswirkungen der Veränderung gestiegen. Vor allem ausgelöst durch technische Entwicklungen, die unter dem Schlagwort Digitalisierung zusammengefasst werden können. Dadurch eröffnen sich Potenziale für Innovatoren, die andere Unternehmen wiederum dazu zwingen sich diesen Veränderungen anzupassen.
„Man kann Menschen gar nicht motivieren innovativ zu sein! Unternehmen können sie allerdings sehr effektiv demotivieren“
Kommen die Teilnehmer heute mit mehr Vorwissen zu Ihnen ins Training – oder sind die Fragezeichen größer?
Rustler: Manche Themen und bestimmte Methoden wie zum Beispiel einen Business Model Canvas oder Design Thinking sind besonders den jüngeren Teilnehmern heute zumindest teilweise aus dem Studium bekannt. Oft allerdings nur theoretisch.
Welche Frage von Teilnehmern können Sie nicht mehr hören?
Rustler: „Wie könnten wir unsere Mitarbeiter motivieren, innovativer zu sein?“ Man kann Menschen gar nicht motivieren innovativ zu sein! Unternehmen können sie allerdings sehr effektiv demotivieren. Ich finde es manchmal erschreckend, dass Unternehmen auch heute noch versuchen Menschen mit Anreiz- und Prämiensystemen zu „steuern“ und zu „incentiveren“. Es wurde wissenschaftlich schon lange gezeigt, dass diese keine längerfristigen Effekte haben, sondern sogar für Innovation negativ wirken. Außerdem stellen sie eine Form der Manipulation dar, die vielleicht bei Zirkusaffen zum Einsatz kommen kann, die für mich in modernen Organisationen nichts zu suchen haben.
Design Thinking als Prozess ist in aller Munde. Was wird dabei meistens falsch verstanden oder falsch gemacht?
Rustler: Ich erlebe, dass Design Thinking allgemein mit Innovationsprozessen gleichgesetzt wird. Design Thinking ist ein nutzerzentriertes Vorgehen der Innovation, das für Fragestellungen, bei welchen der Nutzer und dessen Bedürfnisse zentral sind, Mehrwert bieten kann. Für viele innovative Fragestellungen gibt es allerdings geeignetere Methoden. Damit Design Thinking funktionieren kann, braucht es interdisziplinäre, meist abteilungsübergreifende Teams, die den Prozess von Anfang bis Ende begleiten und verantworten. Diese Art der Arbeitsweise ist in vielen Organisationen nach wie vor nicht möglich. Dann kann Design Thinking auch nur begrenzt Nutzen stiften.
„Ein Teilnehmer hat bereits am Abend des ersten Trainingstages die Kommunikation mit und Reaktionen auf seine Kinder verändert“
Sie fokussieren stets auf die „kleine Alltagskreativität“, die zum Beispiel für Social Media sehr wichtig ist. Wie verbindet sich das mit der großen Innovationsstrategie oder braucht es keine Verbindung?
Rustler: Die Grundprinzipien hinter der Kreativität mit „k“ und der Kreativität mit „K“ sind die gleichen. Es geht darum, neue Lösungen zu schaffen, die in einem bestimmten Kontext angemessen sind und Nutzen stiften. Das spielt in alltäglichen Situationen eine Rolle, wenn ich Kleinigkeiten verändere und die Dinge dadurch besser mache. Dieses Denken braucht es natürlich besonders, wenn eine Organisation strategische Innovationsziele erreichen möchte und zum Beispiel ein Produkt für eine neue Kundengruppe schaffen möchte.
Sind es im Durchschnitt eher die leisen, introvertierten Teilnehmer, die spannende Ideen generieren oder doch die extrovertierten Lautsprecher“
Rustler: Beide Typen können spannende Ideen entwickeln. Hier gibt es keine Unterschiede. Die leisen laufen leider manchmal Gefahr, dass sie nicht gehört oder das Potenzial ihrer Idee nicht erkannt wird, weil sie nicht laut genug auftreten.
Wenn man sich Ihr Buch anschaut, ist das eine penible Auflistung der wichtigsten Methoden. Das könnte man auch selbst im Unternehmen etablieren. Was ist die Aufgabe des Trainers?
Rustler: Ich hoffe, dass viele Unternehmen diese Methoden in ihren Organisationen etablieren. Methoden und Werkzeuge sind ja immer nur eine spezifische Ausprägung eines generelleren Prinzips. Dahinter steht meist eine bestimmte Haltung zu Denken und zu Handeln. Diese lässt sich aus einem Buch nur schwer erlernen. Dazu braucht es Feedback und Interaktion mit anderen Menschen. Einstellungen ändern sich meist auch nicht über Nacht. Ein guter Trainer oder Begleiter, kann hier jedoch gut unterstützen.
Gibt es ein Seminarerlebnis aus dem letzten Jahr, das Ihnen intensiv in Erinnerung geblieben ist?
Rustler: Ich hatte einen Teilnehmer, der von den Grundprinzipien des systematischen kreativen Denkens und der Haltung dahinter sehr berührt war und das sehr stark auf seine familiäre Situation und den Umgang mit seinen Kindern reflektiert hat. Er hat bereits am Abend des ersten Trainingstages die Kommunikation mit und Reaktionen auf seine Kinder verändert.
Für viele Unternehmen ist Social Media nicht nur Veröffentlichungsplattform sondern auch Inspirationsquell für neue Ideen. Können Sie das in den Seminaren reflektieren?
Rustler: Das kann eine Rolle spielen, wenn wir über Möglichkeiten der Ideenentwicklung sprechen. Hier gibt es zum Beispiel Techniken wie die „erzwungenen Verbindungen“ oder „die Analogiebildung“. Dort kann Social Media eine Inspirationsquelle sein. Gleichzeitig besteht heute für viele die Herausforderung eher darin, sich Zeit zunehmen und konzentriert an Ideen und Lösungskonzepten zu arbeiten und sich nicht so stark von all den Reizen beeinflussen zu lassen.
„Innovationsprozesse müssen agiler werden“
Alle Unternehmen wollen unbedingt agiler werden. Steht der Begriff der Agilität nicht teilweise im Widerspruch zu einem umfassenden Innovationsprozess, der verlangt, dass man einen Schritt zurück tritt und sich auf die Meta-Ebene begibt.
Rustler: Nein, ich glaube die beiden Aspekte gehören eng zusammen. Auch Innovationsprozesse müssen heute in kürzeren Intervallen Anpassungen und Iterationen zulassen. Darauf habe ich vorher angespielt, als von einer Weiterentwicklung der Innovationspraktiken gesprochen habe. Es braucht nach wie vor ein Modell und eine Art Prozess, wie wir zu Neuem kommen. Diese Prozesse müssen allerdings heute deutlich flexibler sein und die Möglichkeit von Richtungsänderungen beinhalten. Das heißt: Auch Innovationsprozesse müssen agiler werden.
Wie verhindert man, dass aus Innovations- und Kreationsprozessen neue Silos im Unternehmen entstehen.
Rustler: Indem man sie von vornherein interdisziplinär aufsetzt und dies in den Rahmenbedingungen verankert. Außerdem sollten Innovationsprozesse die Möglichkeit von Selbstorganisation zulassen. Das heißt: Menschen können sich je nach Idee flexibel zu Teams zusammenschließen unabhängig von Abteilungs- und Bereichsgrenzen.
Welche der unterschiedlichen Methoden, die Sie in Ihrem Buch Denkwerkzeuge beschreiben, macht Ihnen am meisten Spaß?
Rustler: Als Mensch, der auch selbst Ideen entwickeln muss und nicht in einer Berater- oder Trainerrolle ist, nutze ich sehr gerne die bereits erwähnten „erzwungenen Verbindungen“. Es ist erstaunlich, wie man mit wahllos gewählten Objekten die in der Nähe sind, Ideen entwickeln kann.