Frau Brandt, Mindshare nennt sich selbst gerne „Vorreiter“, wenn es um Smart Working, moderne Arbeitszeitmodelle oder auch innovative Programme für Mitarbeitende geht. Unser Eindruck ist: Das behaupten derzeit ziemlich viele Agenturen. Woran machen Sie Ihre Vorreiterrolle konkret fest?
Vorreiter bedeutet ja zunächst einmal, dass man ein Thema sehr früh und früher als die meisten anderen besetzt. Das haben wir getan. Umfangreiche Modelle für Homework beispielsweise gibt es bei Mindshare bereits seit 2010. Das war in der Agenturszene damals noch nicht üblich. Außerdem haben wir bereits sehr früh damit begonnen, eine neue Arbeitsmentalität und Agenturkultur durchzusetzen.
Inwiefern?
Beispielsweise, indem wir klargemacht haben, dass Mitarbeiter*innen nicht dann besonders wertvoll sind, wenn sie jeden Tag bis 21 Uhr in der Agentur bleiben. Aber auch, dass jeder und jede problemlos in Teilzeit oder im Homeoffice arbeiten kann, ohne dafür schief angesehen zu werden. Schon sehr früh begonnen haben wir zudem mit einer 80:20-Regel für Homeoffice. Jetzt sind wir bei einer 40:60-Regel. Das heißt: Wer will, kann 60 Prozent seiner Arbeitszeit Remote arbeiten. Das kommt bei den Leuten sehr gut an und ist wohl eine der ganz wenigen positiven Auswirkungen der Coronakrise.
Tesla-Chef Elon Musk hat derweil gerade sinngemäß die Losung ausgegeben: Wer nicht persönlich zur Arbeit erscheint, gilt als nicht mehr zum Unternehmen zugehörig. Ist Tesla als Arbeitgeber so sexy, dass Musk sich alles erlauben kann?
Das müssen Sie Elon Musk fragen.
Dann anders gefragt: Wie anachronistisch finden Sie Musks Verhalten?
Ehrlich gesagt: es wundert mich. Das Verhalten passt eigentlich nicht zu Elon Musk. Zu behaupten, dass nur jene Menschen wirklich arbeiten, denen man dabei zuschauen kann, ist der ultimative Ausdruck von Misstrauen. Aber vielleicht muss man Musks Aussage differenzierter betrachten. Eventuell will er einen Kulturbruch vermeiden zwischen Mitarbeitenden, die tatsächlich am Montageband vor Ort gebraucht werden, und solchen, die ihre Bürojobs theoretisch auch im Homeoffice beziehungsweise remote erledigen können. Ich möchte das nicht beurteilen.
Auch hierzulande versuchen Unternehmen gerade, ihre Mitarbeiter*innen aus dem Homeoffice wieder ins Büro zu locken.
Es ist tatsächlich gerade eine große Herausforderung, den Spagat gut hinzubekommen. Auch ich finde: Der persönliche Kontakt unter Kolleg*innen ist unersetzbar. Wir müssen also gute Lösungen finden, um beispielsweise gemischte Meetings mit Kolleg*innen aus Präsenz und Mobileoffice gut und ohne Diskriminierung durchzuführen.
Dennoch wäre ein Verhalten wie das von Elon Musk in der Agenturszene mittlerweile ein absolutes No Go. Der „War for talents“ zwingt hier alle Player, sich als Arbeitgeber mit immer neuen Maßnahmen aufzuhübschen und attraktiv zu machen. Was sagt es eigentlich über eine Branche aus, wenn sie erst dann eine Work-Life-Balance für Mitarbeitende entdeckt, wenn diese knapp werden?
Das sehe ich nicht so. Der vielzitierte „War for talents“ ist ja nicht neu. Alle in der Marketingbranche wollten doch immer schon die besten Talente für das eigene Unternehmen gewinnen. Für mich geht es bei Smart Working und damit einhergehenden Maßnahmen vor allem darum, ein Umfeld zu schaffen, das modern ist und in dem es den Leuten Freude macht, zu arbeiten. Eine hohe Attraktivität für Mitarbeiter*innen ist schlicht und ergreifend essenziell, um gute Dienstleistungen erbringen zu können und ein nachhaltig erfolgreiches Business zu betreiben.
Tatsächlich fehlen der Branche viele gute Leute, aber unattraktiv sind Agenturen ganz sicher nicht.
Dennoch: Der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel nimmt bei Agenturen mittlerweile dramatische Ausmaße an. Mitte März schrieb der GWA in einer Pressemitteilung: „Die Personalknappheit ist für 80 Prozent der Agenturen aktuell das größte Wachstumshemmnis.“ Agenturen sind als Arbeitgeber einfach nicht mehr attraktiv genug.
Tatsächlich fehlen der Branche viele gute Leute, aber unattraktiv sind Agenturen ganz sicher nicht. Ich sehe eher das Problem, dass wir uns als Branche viel zu oft viel zu schlecht verkaufen. Bei manchen Presseberichten schüttelt es mich regelrecht.
Interessant. Wie meinen Sie das?
Für meinen Geschmack gab es in letzter Zeit ein paar Interviews zu viel mit Pauschalaussagen wie „Wir Agenturen finden keine Leute mehr“ oder „Der ,War for talents‘ macht uns massive Probleme“. Solche Aussagen halte ich für extrem problematisch. Fakt ist: Wir sind als Arbeitgeber weiterhin attraktiv, aber wir bilden branchenweit zu wenig aus. Der Wille zur Ausbildung ist in der gesamten Marketingbranche bei weitem nicht groß genug.
Mindshare hingegen feiert sich gerne dafür, sehr viel auszubilden.
Das tun wir auch. Wir stellen jedes Jahr zwischen 20 und 30 Trainees ein. Die Übernahmequote liegt bei mehr als 95 Prozent. Mit jährlich 250 Stunden hat Mindshare außerdem eines der umfangreichsten Aus- und Weiterbildungsprogramme im deutschen Agenturmarkt. Wir haben keine Probleme, interessierten Nachwuchs zu finden. Wenn sich dann aber nicht nur andere Agenturen, sondern auch Unternehmen und Berater immer wieder gerne an von uns ausgebildeten Talenten bedienen und diese – oft unter seltsamen Bedingungen – abwerben, weiß ich auch nicht mehr weiter.
Mit „seltsamen Bedingungen“ meinen Sie vermutlich sehr viel Geld?
Nicht unbedingt. Gerne werden den Leuten auch besonders tolle Entwicklungschancen versprochen, die aber leider nicht immer eingehalten werden. Als Agenturnetwork mit hoher Dynamik, Vielfalt und Internationalität können wir oft sehr viel bessere Perspektiven bieten. Deshalb wollen und müssen wir gute Leute noch besser an uns binden und langfristig halten.
„Noch besser“ heißt: Sie sehen Mindshare darin noch nicht gut genug?
In der proaktiven Begleitung und Weiterentwicklung unserer Mitarbeiter*innen wollen wir tatsächlich noch besser werden. Es geht darum, genau den richtigen Zeitpunkt zu treffen, um gemeinsam den nächsten Karriereschritt zu besprechen. Am besten schon, bevor die Leute selbst darüber nachdenken.
Und worin ist Mindshare schon richtig gut?
Ich glaube, sehr gut sind wir beispielsweise bereits im Aufbau von echten Vertrauensverhältnissen zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten. In diesem Punkt haben wir mit Coachings und anderen Maßnahmen in den letzten Jahren sehr viel erreicht. Sehr weit sind wir aber auch bei den Themen Frauenförderung und Gleichberechtigung.
Das Thema Gleichberechtigung ist auch von Männern verstanden, daran führt kein Weg mehr vorbei.
Im Februar hat Mindshare beziehungsweise die gesamte Group M, zu der auch Mindshare gehört, das Manifest des Ad Girls Club unterschrieben, und schon seit 2019 lässt sich Mindshare am Frauen-Karriere-Index (FKi) messen. Warum braucht es noch immer Manifeste und Indizes, um längst überfällige Veränderungen herbeizuführen?
Gleichberechtigung und Diversität sind für eine gesunde, nachhaltige Agenturkultur entscheidend. Das ist im Grunde nicht neu. Jetzt geht es für uns alle darum, die Themen zu professionalisieren. Frauenförderung hat ja auch sehr viel mit Männern zu tun. Und da hilft es natürlich, wenn ein Index harte Fakten und neutrale Zahlen liefert, auf deren Grundlage man Veränderungen diskutieren kann. Was man messen kann, kann man auch managen. Umso mehr freut es mich, dass wir im aktuellen FKi auf Platz eins in der Kategorie “Größte Verbesserung im Index” stehen und bereits im vierten Jahr in Folge zu den Top-10 der bestbewerteten Unternehmen zählen.
Tijen Onaran, Gründerin von Global Digital Woman und hierzulande eine der prominentesten Kämpferinnen für Gleichberechtigung und Diversity, hat kürzlich in einem Interview gesagt: „Bei Frauenförderung geht es immer auch um Machtabgabe der Männer“. Gerade im traditionell eher männlich geprägten Agenturbusiness dürften die Widerstände vieler Männer noch immer groß sein.
Nein, diese Zeiten sind vorbei. Zumindest erlebe ich das in unserem Network nicht mehr. Das Thema Gleichberechtigung ist auch von Männern verstanden, daran führt kein Weg mehr vorbei. Wer sich heute noch auf die eigene persönliche Macht fokussiert, hat im dynamischen Agenturumfeld, das von Innovation und Kollaboration lebt, keine Chance mehr auf eine nachhaltige Karriere.
Aktuell hat Mindshare Germany einen Frauenanteil in Führungspositionen von 47 Prozent. Wie hoch war der Anteil vor fünf Jahren?
Bevor ich 2017 den CEO-Posten bei Mindshare Germany übernommen habe, lag der Anteil bei 15 Prozent.
Seit Februar 2020 hat auch die Group M mit Karin Ross eine Frau als CEO. Hilft das beim Durchsetzen von Frauenförderung und Vielfalt?
Dass Karin CEO wurde, unterstreicht auf jeden Fall die Relevanz des Themas für das gesamte Network. Aber wir könnten heute auch mit einem Mann an der Spitze genauso weit sein. Entscheidend ist nicht das Geschlecht. Entscheidend ist die handelnde Person.
Katja Brandt kam im März 2017 als CEO zu Mindshare Deutschland und ist auch verantwortlich für die Märkte Österreich und Schweiz. Zuvor war sie unter anderem Brand Managerin für Benckiser Deutschland und Europcar sowie CEO bei Vizeum.
Mindshare mit Hauptsitzen in New York und London ist mit 116 Büros in 86 Ländern vertreten. Der Jahresumsatz der Media- und Marketingagentur, die eine Tochter der WPP Group ist und zur Group M gehört, betrug zuletzt 17 Milliarden US-Dollar. In Deutschland beschäftigt Mindshare an Standorten in Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg knapp 450 Mitarbeiter. Zu den Kunden zählen die Deutsche Telekom, Ford, Unilever, Haribo, Sanofi und Facebook.