Von Jens Lönneker
Das ist schon ein starkes Stück und macht wütend. Die Anklage erscheint in dieser Lesart wie eine Majestätsbeleidigung und die vorgeworfene Steuerhinterziehung angesichts der Lebensleistung des Beklagten wie ein Kavaliersdelikt. Jedoch: Warum sollte Herr Hoeneß nicht – wie andere auch – verurteilt werden, wenn er einen Fehler gemacht hat?
„Dem Uli“ muss man beistehen
In der Hoeneß-Äußerung wird damit gespielt, dass neben dem offiziellen Gesetz in Deutschland noch ein weiterer Bewertungsrahmen existiert. Hier wird es eher persönlich-privat, es zählen vermeintlich der Mensch und seine Qualitäten. Aus „Herrn Hoeneß“ wird „der Uli“, dem in schwierigen Zeiten beigestanden wird und der aufgrund seiner persönlichen Verdienste natürlich weiterhin dem Aufsichtsrat des FC Bayern vorsitzen darf. Aus ähnlichen Gründen wird auch andernorts an Führungskräften festgehalten, die schon längst die Entwicklung von Unternehmen behindern. Die Frage darf daher gestellt werden, ob die vertretene Haute Volée der deutschen Wirtschaft sich nicht insgeheim eine ähnliche Behandlung wünscht wie die, die sie nun Herrn Hoeneß gerade angediehen lassen.
Dazu passt auch, dass Uli Hoeneß im ersten ausführlichen Interview nach dem Bekanntwerden seiner Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung bekennt: „Ich habe Riesenmist gebaut, aber ich bin kein schlechter Mensch.“ Ist er demnach ein guter Mensch? Nun muss das Gegenteil von schlecht nicht gut sein; es kann auch noch schlechter sein, wie schon Paul Watzlawick bemerkt. Dass und wie seine Selbstanzeige in den Kontext vom „Guten“ und „Schlechten“ gebracht werden, charakterisiert jedoch verbreitete offizielle und inoffizielle Haltungen zum Staat in Deutschland.
Der verlorene Sohn kehrt zurück?
Die Kriterien, die in diesem inoffiziellen deutschen Bewertungsrahmen gelten, sind stark von kindlich-familiären und christlichen Moral-Motiven geprägt. Wenn Kinder einen „Riesenmist bauen“, wissen sie, dass sie von ihren Eltern deswegen nicht für grundsätzlich schlechte Menschen gehalten werden. Und sie wissen, dass ihre Eltern es meist irgendwie wieder gut machen werden. Dazu passt, dass die Hoeneß-Äußerung ein wenig wie eine Anspielung auf das biblische Motiv des verlorenen Sohns wirkt: Wer Verfehlungen begeht, ist demnach noch lange kein schlechter Mensch. Ist es am Ende nicht vielmehr sogar der zurückkehrende verlorene Sohn, der besonders geliebt und geschätzt wird?
Es geht im Fall Hoeneß jedoch nicht um einen privaten oder kindlich-familiären Kontext. Und es geht auch nicht um den Menschen Uli Hoeneß. Der ist genauso gut oder genauso schlecht wie andere Menschen auch. Entscheidend ist vielmehr: Der private und der kindliche Uli stehen nicht über dem Gesetz. Herr Hoeneß hat seine Steuern nicht gezahlt. Auch wenn das verständlich ist, ist es nicht zulässig und muss seine Konsequenzen haben.
Die Demokratie wiederentdecken
Die Oettinger Deutschland-Studie zeigt, dass sich viel individuelle Energie und Kreativität in Deutschland im privaten Raum am „offiziellen Staat“ vorbei entfaltet. 82 Prozent der Deutschen wollen sich in ihrer Meinung nicht beeinflussen lassen und so leben, wie sie es für richtig halten. Insofern spiegelt der Fall Uli Hoeneß unser eigenes Verhalten. Wir entwickeln uns in Deutschland gerne individuell und privat. Aber am Gemeinwesen arbeiten wir meist weniger gern. Nur noch 30 Prozent bewerten politisches Engagement für sich als wertvoll. Konsequenz: Unsere Vorstellung vom Staat verkommt dabei mehr und mehr zur Fassade hinter der wir uns Politikverdrossenheit, Privates und manche Kindereien leisten.
Es geht am Ende darum, die Demokratie wiederzuentdecken und in einem demokratischen Prozess wieder mehr Einfluss auf den Staat und seine Gesetze zu nehmen. Wenn Uli Hoeneß weniger Steuern zahlen möchte, kann er sich dafür einsetzen und versuchen, es politisch durchzusetzen. Dann arbeitet er für sich und zugleich auch vielleicht auch an Verbesserungen für uns alle. Das wäre für uns alle wertvoll. Ob er ein guter oder ein schlechter Mensch ist, ist letztlich dagegen nicht wirklich wichtig.
Über den Autoren:
Jens Lönneker ist Inhaber und Geschäftsführer des Instituts Rheingold Salon.