Von Al Ries und Michael Brandtner
Vor 56 Jahren revolutionierte – oder besser: strukturierte – E. Jerome Mc- Carthy das Marketing mit seinen vier Ps: Product, Price, Place und Promotion. Mit den klassischen vier Ps gab McCarthy Generationen von Marketingleuten vier Entscheidungstatbestände mit auf den Weg. Dabei war die Logik klar rund um das Produkt aufgebaut. Für das Produkt wurden dann Preis, Vertriebsweg und Werbung festgelegt. So wird die Produktpolitik immer wieder auch als das Herz des Marketingmix bezeichnet. Nur in der Praxis brachte und bringt dieser Marketingmix drei Probleme mit sich:
1. Es fehlte und fehlt ihm der strategische Überbau, der wirklich die vier Ps verbindet
So werden diese vier Ps nicht nur oft an Universitäten und Business-Schools in getrennten Lehrveranstaltungen gelehrt, sondern sind auch in den meisten Unternehmen weder von der Tätigkeit noch von der Integration her im Marketing gebündelt.
2. Zu reinen Umsetzungsinstrumenten verkommen
Eine wesentliche Konsequenz daraus war, dass der Marketingmix im Laufe der Zeit in Lehrbüchern von diversen Fachautoren um Themen wie Research, Segmentation, Targeting und Positioning ergänzt wurde. Nur genau dieser im Nachhinein eingeführte strategische Überbau führte dazu, dass die vier Ps im Marketing selbst zu reinen Umsetzungsinstrumenten „verkamen“. Dies trug und trägt zur schleichenden „Operationalisierung des Marketings“ in Unternehmen bei. Ein weiterer wesentlicher Verstärker für diese aus Marketingsicht negative Entwicklung ist, dass aktuell operative Marketingthemen rund um Social Media und Big Data strategische Marketingthemen ganz klar in den Hintergrund drängen.
3. Dieser alte Marketingmix spiegelt immer weniger die Realität in den Unternehmen wider.
Wenn man sich heute die Entscheidungswelt vieler Marketingabteilungen ansieht, beschränkt sich diese auf drei Bereiche: (1) von Informationen über Märkte, (2) Feintuner in der Produktpolitik und (3) Herr über die Kommunikation.
So zeigt auch eine aktuelle Studie von Christian Homburg, Arnd Vomberg und Margit Enke (absatzwirtschaft 9/2016), dass das Marketing zwischen 1996 und 2013 unter anderem in folgenden Entscheidungsbereichen an Einfluss verloren hat: Pricing, Neuproduktentwicklung, strategische Ausrichtung der Geschäftseinheit, Expansion in neue geografische Märkte, Auswahl strategischer Geschäftspartner, Ausgestaltung des Kundenservices und Vertriebsstrategie. Nur in der Theorie passierte und passiert genau das Gegenteil. So lehren viele Universitäten und Business-Schools nicht nur diese klassischen vier Ps, sondern haben diese um drei weitere Ps, nämlich People, Process und Physical Evidence, ergänzt. Hier driften Unternehmenspraxis und Theorie immer weiter auseinander.
Vier große Veränderungen
Gleichzeitig aber hat es seit der Einführung des alten Marketingmix vier massive Veränderungen in der Welt des Marketings gegeben, die die genau gegenteilige Entwicklung, also eine viel stärkere strategische Einbindung des Marketings, erfordern würden:
1. Die Anzahl der Marken, die um einen Platz in der Wahrnehmung der Verbraucher kämpfen, hat sich massiv erhöht. So gibt es in Deutschland pro Jahr circa 45 000 Markenregistrierungen, in den USA etwa 250 000.
2. Gleichzeitig stieg und steigt das Werbevolumen. Es wird immer teurer und komplizierter, die angestrebten Zielgruppen wirklich zu erreichen.
3. Die Globalisierung erfordert vom Marketing, noch strategischer und internationaler zu denken, egal ob die eigene Marke selbst international tätig ist oder nicht.
4. Das Internet als Medium und Geschäftsmodell verändert nicht nur die Welt der Kommunikation, sondern verlangt auch, neu über bestehende Geschäftsmodelle nachzudenken. Damit werden die Herausforderungen für das Marketing strategisch und operativ zunehmend größer.
Neustrukturierung für das Marketing
Wenn das Marketing in Zukunft wieder an strategischer Bedeutung gewinnen möchte, reicht es nicht aus, dass man versucht, wieder die Kontrolle über alle vier oder sogar sieben Ps zu erlangen. (Dieser Zug ist abgefahren.) Vielmehr sollte überlegt werden, ob nicht generell eine neue Struktur für den Marketingmix geschaffen werden sollte, die auf der einen Seite eine neue Denkordnung und Strukturierung schafft, auf der anderen Seite aber auch wesentliche Entwicklungen des Marketings im 21. Jahrhundert berücksichtigt.
Dazu kommt: Das Marketing der Zukunft braucht Entscheidungstatbestände, die nachhaltig zur Profilierung von Marken beitragen. Profilierung bedeutet aber immer auch Fokussierung – und damit bewussten Verzicht – um in einer Welt der unendlichen Vielfalt spezieller als der Mitbewerb wahrgenommen zu werden. Dabei kristallisieren sich vier Entscheidungstatbestände heraus, die gleichzeitig einen neuen prozessorientierten Marketingmix rund um vier Ms bilden: Merchandise, Market, Media und Message.
1. Merchandise
Als McCarthy die 4 Ps definierte, ging es im Marketing hauptsächlich um die Vermarktung von Produkten, vor allem um die sogenannten FMCG, also um klassische Marken wie Coca-Cola, Nivea, Persil, Milka oder Gillette. Nur ist dieser Produktbegriff heute viel zu eng. So beschäftigt sich das Marketing neben Produkten mittlerweile mit Dienstleistungen, Städten, Ländern, Events, Organisationen, Bewegungen, Programmen, Parteien, Personen, Ideen und Konzepten.
So gesehen wäre „Merchandise“ in seiner breitesten Bedeutung besser als das sehr einschränkende „Product“. Dabei ginge es dann um folgende Aspekte: Positionierung in der Wahrnehmung, spezifische Wettbewerbssituation, Markenname, Preis, Design, Ausstattung bzw. Ausgestaltung, Angebotsbreite und Angebotsvielfalt. Speziell die letzten beiden Punkte würden mit dazu beitragen, das Marketing wieder stärker strategisch werden zu lassen. Denn gerade bei Innovationen, aber auch bei Eliminationen ist es erfolgsentscheidend, dass man das Marketing möglichst früh mit ins Boot holt. Das bedeutet aber auch, dass hier letztendlich nicht nur das Product-P, sondern auch das Price-P, das Place-P und auch Teile des strategischen Überbaus, vor allem das Positioning, mit in dieses erste „M“ einfließen müssten. Das Marketing sollte sich so wieder ganzheitlich im Detail mit dem eigenen Angebot aus Sicht der Kundenwahrnehmung auseinandersetzen. So ist etwa der Preis aus Kundensicht ganz klar ein Bestandteil des Angebots.
2. Market
Die wahrscheinlich größte Veränderung im Vergleich zum alten Marketingmix ist „Market“, weil er das Herz des „Market“-ings zurückbringt. Denn dieser für das Marketing wesentliche Aspekt, aus dem sich der Begriff selbst, eine Denkhaltung und für viele auch eine Unternehmensphilosophie ableitet, wurde im alten Marketingmix nicht wirklich zentral berücksichtigt. Genau deshalb wurde dieser Marketingmix im Laufe der Zeit um vorgelagerte Bereiche wie Marktforschung, Segmentierung, Targeting und Positionierung ergänzt.
Aber im Hyperwettbewerb von heute sollte das Marketing bei der Definition des Marktes unbedingt von Beginn an involviert sein. Die zentrale Fragestellung lautet dabei: „Welchen genau definierten Markt möchten wir heute und in Zukunft dominieren?“ Denn statt den Markt genau zu definieren, neigen viele Entscheider, vor allem das Topmanagement, dazu, den Markt möglichst groß zu definieren. Nur: Genau das kann in diesem Wettbewerbsumfeld fatale Folgen haben. Einst war Yahoo! die weltweit führende Suchmaschine. Dann entschied das Management, den Fokus der Marke zu erweitern. Aus einer Suchmaschine wurde ein Portal. Die Logik dahinter war klar: Da der Suchmaschinen-Markt nur ein Teilmarkt eines Portals ist, muss der Portal-Markt in der Summe um vieles größer als der Suchmaschinen-Markt sein. Auf dem Papier ist das sicher richtig. Nur übersah man dabei, dass man so die Suchmaschinen-Position in der Wahrnehmung der Kunden aufgab. Diese Position überließ man Google. Wenn man heute die Website von Yahoo! aufsucht, findet man oben ein Suchmaschinen-Fenster, darunter eine digitale Werbeanzeige und dann noch jede Menge Nachrichten und Dienstleistungen. Wenn man heute die Website von Goo-gle aufsucht, findet man prominent und nahezu alleinstehend die Sucheingabe. Google ist auf den ersten Blick eine Suchmaschine. Yahoo! ist ein digitales Durcheinander und wirtschaftlich ein Desaster.