Marcus Seidel ist Unternehmer, Investor und seit vier Monaten Gastgeber des Mittelstand-Podcasts „Mittelstars“, in dem er mit Expert*innen über ihre Strategien, Herausforderungen und Chancen spricht. Er selbst ist klassischer Mittelständler, sein beruflicher Weg geprägt von vielseitigen Erfahrungen: von der Gründung eines Entsorgungsunternehmens über den Aufbau von Online-Plattformen bis hin zum Verkauf eines Unternehmens an RTL. Heute leitet Seidel ein Unternehmen mit über 60 Mitarbeitenden, das sowohl im Online-Handel als auch im Immobilienmanagement tätig ist.
Herr Seidel, der deutsche Mittelstand gilt als Rückgrat der Wirtschaft. Wo steht er beim Thema digitale Transformation?
Der Mittelstand ist in vielen Bereichen extrem stark: in der Qualität seiner Produkte, im operativen Geschäft und in der Kundenbindung. Doch bei der Digitalisierung gibt es Nachholbedarf. Viele Unternehmen haben den digitalen Wandel lange aufgeschoben – oft aus Zeitmangel oder fehlenden Strukturen. Die Pandemie hat dann vieles beschleunigt, weil Geschäftsmodelle plötzlich angepasst und Online-Kanäle genutzt werden mussten. Natürlich gibt es Herausforderungen: Bürokratie, Fachkräftemangel und steigende Kosten durch Regularien erschweren die Digitalisierung. Aber ich bin überzeugt: Wenn der Mittelstand die digitalen Möglichkeiten strategisch nutzt, ist er bestens für die Zukunft gerüstet.
Welche Rolle spielen digitale Technologien, insbesondere Online-Marketing, für die Zukunftsfähigkeit des Mittelstands?
Eine zentrale. Online-Marketing ist unverzichtbar, um Zielgruppen direkt und effizient zu erreichen. Aber es wird oft nur halbherzig angegangen. Häufig landet das Thema bei der nächsten Generation – dem Sohn oder der Tochter des Geschäftsführers – ohne klare Strategie. Dadurch bleiben große Chancen liegen. Ein professioneller Ansatz ist entscheidend: mit authentischen Inhalten, messbaren Zielen und dem Fokus auf den Kunden. Ein starker Online-Auftritt hilft nicht nur neue Kunden zu gewinnen, sondern auch bestehende Beziehungen zu stärken.
Viele Unternehmen scheinen sich gerade mit Social Media besonders schwerzutun. Warum ist das so?
Das liegt an mehreren Faktoren. Viele Geschäftsführer sind stark ins operative Geschäft eingebunden und haben keine Zeit. Hinzu kommt eine kulturelle Zurückhaltung: „Ich will mich nicht in den Vordergrund stellen“, denken viele. Dabei ist Social Media ein mächtiges Werkzeug, wie das Beispiel Philip Hitschler-Becker zeigt. Der CEO von Hitschies nutzt Social Media intensiv, spricht authentisch über sein Unternehmen und gewährt Einblicke hinter die Kulissen. Dadurch schafft er Reichweite und macht seine Marke nahbar. Es muss nicht perfekt sein – Hauptsache, es ist echt. Diese Haltung fehlt vielen CEOs in Deutschland, während in den USA persönliche Präsenz als entscheidender Erfolgsfaktor gilt.
Was können mittelständische Unternehmen konkret von Hitschies lernen?
Sie zeigen, dass jedes Produkt spannend sein kann, wenn man es richtig vermarktet. Philip Hitschler-Becker und sein Team setzen auf Humor, Kreativität und Community-Bindung. Es geht nicht nur um Produkte, sondern um Geschichten, die Emotionen wecken. Das ist modernes Marketing: Man verkauft kein Produkt, sondern ein Lebensgefühl.
Warum fehlt es vielen Mittelständlern dennoch an Experimentierfreude, gerade im Bereich Marketing?
Oft liegt das an der Struktur: Viele Unternehmen sind in Familienhand, und digitale Themen gelten immer noch als „Spielwiese“ für die nächste Generation. Ein weiteres Problem ist der Mangel an gut ausgebildeten Marketingprofis. Es gibt in Deutschland etwa 200.000 Onlineshops, aber nur wenige Tausend wirklich kompetente Chief Marketing Officers, die digitales Marketing ganzheitlich beherrschen. Viele Unternehmer haben schlichtweg niemanden, der ihnen zeigt, wie sie digitale Kanäle effektiv nutzen können.
Trotzdem gibt es große Chancen durch die Digitalisierung. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier für den Mittelstand?
Die Digitalisierung ermöglicht es, mit wenig Aufwand große Effekte zu erzielen. Plattformen bieten professionelle Tools für Online-Shops mit integrierten Zahlungsmethoden, SEO-Optimierung und Analysetools – und das zu geringen Kosten. Der Einstieg ist vergleichsweise einfach, und Unternehmen können sich schrittweise weiterentwickeln.
Welche Rolle spielt Storytelling, um Kunden langfristig zu binden und zu begeistern?
Storytelling ist essenziell. Kunden kaufen keine Produkte – sie kaufen Geschichten. Es geht darum, emotional zu berühren und die Menschen hinter dem Produkt sichtbar zu machen. Ein Beispiel ist Brabus: Sie verkaufen nicht nur Autos, sondern ein Lebensgefühl. Ihre Social-Media-Kampagnen sind emotional und hochwertig, was eine starke Bindung zur Zielgruppe schafft. Auch kleine Unternehmen können das: Zeigen Sie, wie Ihr Produkt entsteht, wer daran arbeitet, und erzählen Sie Ihre Werte. Das schafft Vertrauen und hebt Sie von der Masse ab.
Ein weiterer Trend ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz. Wie wichtig wird KI für den Mittelstand?
KI hat enormes Potenzial, vor allem im Marketing. Sie hilft, Inhalte effizienter zu erstellen, Zielgruppen besser zu analysieren und Kampagnen zu optimieren. Wir nutzen KI beispielsweise, um Texte für Partnerprogramme zu erstellen oder Werbematerialien zu automatisieren. Mittelständlern rate ich, mit einfachen Tools zu starten und KI Schritt für Schritt in den Alltag einzubinden. Es geht nicht um große Investitionen, sondern um praxisnahe Erfahrungen.
Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen: Was wird 2030 der entscheidende Erfolgsfaktor im Marketing sein?
Die Fähigkeit, auf den richtigen Kanälen authentisch zu kommunizieren. Kunden wollen echte Geschichten und nachvollziehbare Inhalte, keine Hochglanzwerbung. Datenschutz wird ebenfalls eine zentrale Rolle spielen: Mit weniger Daten bessere Ergebnisse zu erzielen, erfordert Kreativität und Professionalität. Weniger Kanäle, dafür die richtigen gut bespielen – das wird entscheidend sein.
Und was raten Sie Mittelständlern, die jetzt mit Online-Marketing durchstarten wollen?
Fangen Sie jetzt an. Warten Sie nicht auf den perfekten Zeitpunkt oder die perfekte Strategie. Nutzen Sie Shopsysteme wie Shopware oder Oxid, starten Sie Kampagnen auf Google Adwords oder Idealo und experimentieren Sie mit KI-Tools, die in vielen Plattformen schon integriert sind. Im Social-Media-Bereich zählt Authentizität: Zeigen Sie, wer Sie sind. Fehler gehören dazu – aus ihnen lernt man. Die digitale Welt bietet unglaublich viele Chancen. Nutzen Sie sie!