Der lernende Investor 

Der ehemalige ProSiebenSat1-Vorstand Marcus Englert hat als Business Angel oft die Nase vorn, wenn es darum geht, Geschäftschancen zu erkennen – und eine überraschende Erklärung dafür: Osmose.
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Seit 2010 betätigt sich Marcus Englert als "Business Angel". (© Martin Kroll)

Schon wieder hat er es geschafft, diesmal mit Padel, einer Mischung aus Tennis und Squash. Während die meisten Deutschen noch lernen müssen, dass es diesen Sport überhaupt gibt, baut Marcus Englert bereits die Infrastruktur für den neuen Trend: Binnen eines Jahres hat das Start-up Padel City sechs Anlagen mit über 40 Plätzen in Betrieb genommen, bis Jahresende sollen es doppelt so viele sein. Einer der Mitgründer: Ex-Bundestrainer Hansi Flick. „Eine gute Idee hat immer Wettbewerb, wir müssen schnell sein“, sagt Englert. Schon klar.  

Die eigentlich interessante Frage aber lautet: Wie lernt man, schneller zu sein als andere?  

Es ist ein heißer Sommermorgen, das Café Neuhauser am Münchner Gärtnerplatz ist um zehn Uhr noch leer. Englert trägt ausgeblichene Jeans und wirkt so entspannt, als habe er alle Zeit der Welt. Das Thema Lernen gefällt ihm, obwohl er ein schlechter Schüler war, damals am Gymnasium in Gars am Inn, einer Kleinstadt in Oberbayern: „Ich war rebellisch, bis zur zehnten Klasse.“ Dann fing er sich, machte ein Einser-Abitur, studierte Physik, promovierte am Cern in Genf. „Es ging nie darum, dass ich nicht lernen wollte. Ich war immer wissbegierig und habe viel gelesen.“ Es folgten Stationen bei der Boston Consulting Group und bei ProSiebenSat1, wo er zuletzt Digitalvorstand war. 

Seit seinem Ausscheiden im Jahr 2010 betätigt er sich als Business Angel. Der 58-Jährige hat keinen großen Apparat wie die Risikokapitalfirmen im Silicon Valley. Und er lebt auch nicht in San Francisco oder London, sondern in München. Trotzdem schafft er es immer wieder, dass seine Investments die Welle mitnehmen und ihm auch der erfolgreiche Exit gelingt: Auf jedes Start-up, das scheitert, kommt in Englerts Portfolio eins, das sich am Markt bewährt – da ist er deutlich besser als der Branchendurchschnitt. Den Podcast-Vermarkter Julep zum Beispiel, eine von Englerts letzten Gründungen, kaufte nach kaum drei Jahren die große US-amerikanische Podcast-Plattform Libsyn. Also: Wie erfährt ein Investor wie er, was der Markt morgen will und wo Chancen liegen?  

Wissen aufsaugen und aus der eigenen Filterblase ausbrechen 

Englert gibt darauf eine überraschende Antwort: „Osmose“. In der Biologie beschreibt das den langsamen Ausgleich von verschieden stark konzentrierten Flüssigkeiten. Englert sagt, dass er wie von selbst Wissen aus seinem Umfeld aufnehme. Eine interessante These. Tatsächlich ist er vorzüglich vernetzt. Er bespielt nicht nur die Münchner, sondern auch die Berliner Szene, etwa im Aufsichtsrat von Rocket Internet und bei der TV-Streaming-Plattform Zattoo. Als Honorarprofessor an der Hochschule Macromedia unterrichtet er Strategie und Innovation und erfährt im Gegenzug, womit sich die jungen Leute beschäftigen. „Marcus findet immer jemanden, der ihm über einen Markt etwas erzählen kann“, sagt sein Weggefährte und Mitinvestor Sebastian Weil, der Englert seit 15 Jahren kennt.  

Zugleich ist das mit der Osmose aber eine handfeste Untertreibung. Denn es gibt ja nicht nur den Kommunikationskünstler Englert, der wie nebenbei Wissen aufsaugt und absorbiert. Sondern auch den Analytiker, der auswertet, systematisiert und gedanklich Modelle baut: das nächste Ökosystem, das nächste Geschäft. Englert liest viel und breit, von „SZ“ und „NZZ“ über „Spiegel“ bis „Bild“. Besucht Plattformen wie PitchBook und TechCrunch, tauscht sich aus auf LinkedIn, hört Podcasts, besorgt sich Statistiken und Studien von Unternehmensberatungen. Zweimal im Jahr fliegt er in die USA, Ost- und Westküste, um sich Start-ups anzusehen, auch weil er Partner von Texas Atlantic Capital ist, einem auf Medien und Technologie spezialisierten US-Fonds. „Wichtig ist, aus der Filterblase auszubrechen. Wer nur die Investmenttrends von McKinsey kennt, ist zu spät dran.“  

Erst die Analyse, dann der Griff ins Netzwerk 

So lief das auch bei Padel City: Irgendwo liest er über den neuen Trendsport, findet ihn spannend, beginnt zu recherchieren. Stellt fest, dass sich der Verkauf von Padelschlägern zwischen 2017 und 2020 weltweit verdoppelt hat, dass es in Spanien bereits 20.000 Padelplätze gibt. Und in Deutschland? Keine 200. Es dauert nicht lange, bis er zu der Erkenntnis kommt: „Da passiert gerade etwas und Deutschland ist nicht dabei.“ Dann wieder der Griff ins Netzwerk: Wer kennt sich aus, wer kann ihm etwas erzählen? Jonathan Sierck fällt ihm ein, ein sportbegeisterter Unternehmer. Als Englert ihn anruft, erfährt er, dass Sierck gerade zwei Padelplätze in Ingolstadt plant. „Ich sagte, echt? Lass mich da rein.“ Heute sind beide Co-Gründer von Padel City und neben Hansi Flick ist auch Sebastian Weil dabei. 

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Padel ist eine Mischung aus Tennis und Squash. (© Padel)

Die Wachstumsgeschichte des Start-ups hat gerade erst begonnen, doch Englert denkt bereits über das nächste Unternehmenskonzept nach. „Audio Analytics beschäftigt mich gerade. Ich hab das Gefühl, Audio wird immer noch unterschätzt.“ Der Kommunikator Englert kriegt ja mit, wie sehr die jungen Leute auf Podcasts stehen, und nicht nur sie. Nun tritt der Analytiker in Aktion: Was hören welche Leute wann und in welcher Umgebung? „Daraus kann man Geschäftsmodelle generieren.“ Dazu braucht er Daten, die in keiner öffentlich zugänglichen Studie stehen, „da müssen Sie an die Unternehmen ran, die Podcasts ausspielen“. Mit anderen Worten, er besorgt sich die Daten direkt an der Quelle, von Leuten, die er kennt. Netzwerk, mal wieder. 

Eine seiner ersten Fragen ist die nach dem Exit 

„Ein Investor hat nie ausgelernt“, sagt Englert. Immer wieder gebe es Innovationen, ständig habe man mit neuen Menschen zu tun. „Am meisten jedoch lernt man aus Fehlern.“ Zum Beweis, dass das mehr ist als eine Floskel, erzählt er eine Geschichte aus seiner frühen Zeit als Investor, kurz nach dem Abgang bei ProSiebenSat1. Da ließ er sich zur Einlage in eine Softwarefirma verleiten, trotz eines unguten Gefühls. „Die Idee war super, aber das Team stimmte nicht. Nach einem halben Jahr war die Firma pleite.“ Die Lehre, die er daraus zog: Die Qualität des Teams wiegt mehr als eine Idee. „Heute investiere ich nur dann in Start-ups, wenn ich eine Beiratsrolle habe, formell oder informell.“ Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. 

Was andere von ihm lernen können? Die Balance zwischen Kopf und Bauch, so Englert. „Ein Investor muss es schaffen, die Ratio von der eigenen Begeisterungsfähigkeit zu trennen.“ Also: Nicht sich nicht begeistern lassen, „sonst sehe ich nur Hindernisse“. Aber auch nicht vor lauter Enthusiasmus Warnzeichen übersehen: Unstimmigkeiten im Team zum Beispiel; ein Gründer, der nur ein Verkäufer ist und nicht zugleich ein guter Unternehmer; Ratlosigkeit bei der Frage nach dem Exit. „Diese Frage sehr früh zu stellen, das musste auch ich erst lernen.“ 

Ob er selbst Vorbilder habe? Englert zögert. Dann doch ein Name: Klaus Hommels, der früh in Facebook, Skype oder Spotify investierte und heute die Risikokapitalfirma Lakestar mit Sitz in Zürich betreibt. „Ich schau von der Seitenlinie, was der so macht. Er hat einen guten Riecher.“ Was das hieße? Englert lacht und sagt: „Riecher kann man nicht lernen.“ Osmose hin oder her. 

(mat) führte ihr erstes Interview für die absatzwirtschaft 2008 in New York. Heute lebt die freie Journalistin in Kaiserslautern. Sie hat die Kölner Journalistenschule besucht und Volkswirtschaft studiert. Mag gute Architektur und guten Wein. Denkt gern an New York zurück.