Frau Kanellopulos, laut einer aktuellen KPMG-Studie hat in Großbritannien bereits jeder fünfte ein Jobangebot abgelehnt, wegen mangelnder ESG-Ambitionen (Environment, Social, Governance) des Arbeitgebers. Die Studie spricht von „Conscious Quitting“. Halten Sie das für einen ernstzunehmenden Trend, der in den nächsten Jahren noch größer wird?
Marie Kanellopulos: Es ist gut möglich, dass das „bewusste Aussteigen“ in den kommenden Jahren zu einem bedeutenderen Trend wird, da ESG-Faktoren in den Unternehmenspraktiken und den individuellen Werten immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die Gen Z erobert gerade den Arbeitsmarkt. Für sie sind der Erhalt der Umwelt, eine diverse Kultur und andere soziale Werte überaus wichtig. Bei ihnen geht es im Job nicht mehr um Titel, Rang und Dienstwagen, sondern sie wollen etwas Sinnvolles tun und identifizieren sich auch viel stärker mit dem, was sie tun. Hinzu kommt, dass die Auswahl an potenziellen Arbeitgebenden durch den Fachkräftemangel größer geworden ist. Deshalb sind Mitarbeitende heute bereit, sich anderweitig umzusehen, wenn sie das Gefühl haben, dass der Auftrag des Unternehmens nicht mehr mit ihren persönlichen Werten übereinstimmt.
Wie groß ist demnach der Handlungsdruck für Arbeitgebende?
MK: Der Handlungsdruck für Unternehmen ist gewaltig – und nicht nur für Konzerne. Ab 2026 gilt die ESG-Pflicht zusätzlich auch für viele Klein- und Mittelbetriebe – und die wenigsten sind darauf vorbereitet. Darin liegen natürlich auch Risiken. Man darf nachhaltiges Handeln nicht als Marketing-Gag verwenden. Vielmehr sollte geschaut werden, inwieweit man als Arbeitgebende sich in seinem eigenen „Impact Cycle“ nachhaltig aufstellen kann. Insbesondere der Mittelstand als auch Konzerne müssen sich mit einer klaren Botschaft am Arbeitsmarkt platzieren, sodass sie auch die jüngere Generation, die nun mal die Zukunft darstellt, für sich gewinnen können.
Was bedeutet das konkret für Arbeitgebende: Was müssen Sie tun?
MK: Für Unternehmen bedeutet das: Eine Bestandsaufnahme zu den Zielen rund um Klimaschutz, Wasserverbrauch oder auch soziale Gleichstellung durchzuführen und daraufhin eine Strategie und Maßnahmen zu entwickeln. Für welche ESG-Handlungsfelder sich ein Unternehmen auch immer entscheidet: Es wird Büros, Produktionsanlagen und jeden einzelnen Mitarbeitenden betreffen.
Deshalb ist es notwendig, alle relevanten Stakeholder wie Mitarbeitende, Kund*innen und Gemeindemitglieder in die ESG-Bemühungen einzubeziehen. Unternehmen sollten deren Input einholen, ihnen zu hören und echtes Engagement für ihre Interessen zeigen.
Am besten startet man mit einer Mitarbeiterumfrage im gesamten Unternehmen, um Werte und Bedürfnisse in Bezug auf ESG abzufragen. Im Ergebnis lassen sich sicher nicht alle Anregungen berücksichtigen. Aber Firmen können so die größten gemeinsamen Nenner identifizieren und daraus gewünschte ESG-Handlungsfelder ableiten – und ihre Mitarbeitenden transparent in das ESG-Engagement einbinden. Das schafft Glaubwürdigkeit und Vertrauen.
Viele ESG-Maßnahmen brauchen Zeit, Ergebnisse werden erst spät sichtbar: Womit können Arbeitgebende gleich heute anfangen?
MK: Unternehmen sollten generell ihre Mannschaft stärker in strategische Themen miteinbinden. Darum geht es letztlich auch beim „Conscious Quitting“. Dann sollte man die ersten Handlungsfelder definieren, welche eine zukünftige Ausrichtung für das Unternehmen aufweisen. Aber auch Unternehmen, die bereits viel tun, sollten überprüfen, ob ihre Maßnahmen mit den Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden übereinstimmen und ob sie mit den Aktivitäten zufrieden sind.
Auf den Punkt gebracht: Arbeitnehmende sollten von Anfang an in den Prozess einbezogen werden. Denn Mitarbeitende wollen gefragt werden und aktiv zu einer besseren Umwelt beitragen. Das motiviert, bindet und macht ihnen bewusst, was sie und ihr Unternehmen bereits leisten.
Wie kann man die eigenen ESG-Maßnahmen sichtbar machen und ins Recruiting smart integrieren, ohne sich einem „ESG-Washing“-Vorwurf auszusetzen?
MK: Die ESG-Maßnahmen und -Ergebnisse werden im Reporting festgehalten und veröffentlicht. Sie sollten auf validen Prognosen beruhen und mit validen Zahlen belegt sein. Auf diesen Aussagen kann das Recruiting aufbauen und sie auf Karriereseiten, in Stellenanzeigen oder in Interviews einfließen lassen. Letztlich haben diese Maßnahmen einen enormen Einfluss auf die Corporate Culture – die Identifizierung mit dem Unternehmen seitens der Mitarbeitenden und der Bewerbenden.
In meinen Augen kann Greenwashing am besten vorgebeugt werden, indem die gemeinsam verabschiedeten ESG-Werte und -Handlungsfelder in die Firmenkultur verankert werden. Das schließt alle Organisationsebenen ein: von Führungskräften bis hin zu Teams, von Prozessen, über die interne Kommunikation, das Employer Branding, die Rekrutierung bis hin zum Onboarding. Nur so werden Werte sichtbar und hoffentlich jeden Tag von allen gelebt. Im Idealfall kommt dadurch Greenwashing gar nicht mehr vor.
Was bedeutet das für Bewerber*innen: Worauf sollten Sie konkret achten, wenn sie ESG-konforme Arbeitgeber suchen?
MK: Die ESG-Berichtspflicht ist von der EU vorgeschrieben. Seit 2023 gehören dazu Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden, über 40 Millionen Nettoumsatzerlös und mehr als 20 Millionen Bilanzsumme. Wenn mindestens zwei dieser Kriterien erfüllt sind, müssen Firmen ein ESG-Reporting aufsetzen und damit ihr Engagement transparent machen. An diesen Parametern sollten sich Bewerbende orientieren. Darüber hinaus sollten sie den Report aufmerksam lesen und gucken, ob die dort beschriebenen Maßnahmen und Ziele zu ihnen passen und ihnen ausreichen.