Frau Renner, kurz gefragt: Warum ist TikTok heute so wichtig für Marken?
TikTok hat sich als Plattform für junge Zielgruppen etabliert, die soziale Medien nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch als Informationsquelle nutzen. Die Art und Weise, wie soziale Medien verwendet werden, hat sich stark verändert – sie sind viel mehr zu Entertainment-Medien geworden. Marken müssen diesen Wandel verstehen und ihre Kommunikation auf Plattformen wie TikTok verlagern, um im Diskurs relevant zu bleiben. Es reicht nicht mehr aus, nur klassische Werbebotschaften zu senden; man muss Teil der Unterhaltung und der Communities sein, in denen der Diskurs stattfindet.
Sie haben das Wort „Diskurs“ benutzt. Glauben Sie, dass Marken einen politischen Diskurs auf TikTok mitgestalten sollten?
Mit „Diskurs“ meine ich vor allem den kulturellen und gesellschaftlichen Austausch, der auf Plattformen wie TikTok stattfindet. Es gibt viel Fehlinformation und fragwürdigen Content, insbesondere in politisch aufgeladenen Diskussionen. Es ist daher wichtig, dass es vertrauenswürdige Absender gibt, die Inhalte bereitstellen, auf die sich die Nutzer*innen verlassen können. Marken sollten diesen Raum nicht einfach anderen überlassen, sondern durch gut recherchierten und verantwortungsvollen Content aktiv mitgestalten. Es geht weniger darum, politisch Stellung zu beziehen, sondern eher darum, qualitativ hochwertige und relevante Informationen bereitzustellen. Das kann aber durchaus auch politisch sein, wenn die Marke es möchte.
Der Algorithmus auf TikTok könnte politische Inhalte möglicherweise nicht so stark pushen wie unterhaltungsorientierte Beiträge. Glauben Sie, dass es für Marken schwer ist, politisch relevante Inhalte zu erstellen, die trotzdem viral gehen?
Politische Kommunikation ist auf TikTok sicherlich eine Herausforderung, weil die Plattform stark auf unterhaltsamen und trendbasierten Content ausgerichtet ist. Aber das bedeutet nicht, dass es unmöglich ist. Man muss die Grenzen zwischen Unterhaltung und Information geschickt verwischen – das nennt man Infotainment. Es ist eine Kunst, seriöse Inhalte in einem unterhaltsamen Format zu präsentieren, das die Nutzer in den ersten Sekunden packt. Der Algorithmus belohnt Inhalte, die die Nutzer fesseln und zur Interaktion anregen. Marken können hier durchaus politisch relevante Themen aufgreifen, wenn sie es schaffen, diese kreativ und zugänglich zu verpacken.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Aus eigener Erfahrung ist ein gutes Beispiel unsere Arbeit mit Tinder und der LGBTQ+-Organisation Lambda. Hier haben wir eine Kampagne entwickelt, die sich mit den Herausforderungen junger Queers in Deutschland auseinandersetzte. Wir haben dabei eine breite Gruppe von Protagonisten aus der Community eingebunden, um eine echte und diverse Repräsentation zu schaffen. Das hat extrem gut funktioniert, weil es die Community direkt angesprochen hat und einen Diskurs angestoßen hat, der weit über Tinder als Dating-Plattform hinausging. Solche Formate zeigen, dass man als Marke durchaus relevante Inhalte liefern kann, die sowohl emotional als auch inhaltlich stark sind.
TikTok steht wegen Datenschutz- und psychologischen Bedenken oft in der Kritik. Wie sehen Sie diese Themen und warum sollten Marken trotzdem auf der Plattform präsent sein?
Natürlich gibt es berechtigte Kritik an TikTok, insbesondere was Datenschutz und die psychologischen Auswirkungen auf junge Nutzer*innen angeht. Aber ich glaube, es wäre ein Fehler, wenn Marken sich aus diesen Gründen komplett zurückziehen. Der Diskurs auf TikTok findet statt, ob Marken dabei sind oder nicht. Wenn Marken sich zurückziehen, überlassen sie den Raum anderen Akteuren, die möglicherweise weniger verantwortungsvoll agieren. Stattdessen sollten Marken die Plattform nutzen, um durch gut recherchierten und verantwortungsvollen Content zu zeigen, dass sie die Bedenken ernst nehmen. Auf TikTok erreicht man eine junge Zielgruppe, die auf der Suche nach authentischen Inhalten ist, und das ist eine Chance, den Diskurs positiv zu beeinflussen.
Sie haben den TikTok-Account für „Electronic Beats“ der Deutschen Telekom aufgebaut. Wie haben Sie dort die Content-Strategie entwickelt?
„Electronic Beats“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Marke, die auf den ersten Blick nichts mit Jugendkultur zu tun hat, durch Storytelling eine völlig neue Zielgruppe erreicht. Die Telekom hat sich hier als Plattform für elektronische Musik positioniert, obwohl es oberflächlich keinen direkten Bezug zu Telekommunikation gibt. Aber wenn man tiefer in die Markenwerte eintaucht, passt es doch. Wir haben den Kanal organisch auf TikTok aufgebaut, ohne große Werbebudgets. Der Content ist einfach gehalten, oft von der Community inspiriert, und zeigt, dass es möglich ist, ohne Follower viral zu gehen. Das funktioniert, weil der Content authentisch ist und eine starke Verbindung zur Zielgruppe aufbaut.
Welche Daten haben Sie im Vorfeld der Strategieentwicklung berücksichtigt?
Unsere Arbeit basiert nicht primär auf Daten, sondern auf einem tiefen Verständnis für die Zielgruppe und die kulturellen Kontexte, in denen sie sich bewegt. Bei unserem Projekt für Duolingo sind wir von einer narrativen Perspektive aus gekommen: „Was würde die Duolingo-Eule tun, wenn sie nach Deutschland kommt?“ Diese Art von kreativem Storytelling funktioniert auf TikTok extrem gut, weil es die Nutzer*innen emotional anspricht. Natürlich schauen wir uns im Nachhinein die Daten an, um zu sehen, welche Inhalte besonders gut funktionieren, aber der kreative Prozess steht immer im Vordergrund. Die Daten sind eher eine nachträgliche Validierung dessen, was wir aus kreativer Sicht bereits vermutet haben.
Wie sehen Sie die Zukunft von TikTok und welche Auswirkungen hätte ein mögliches Verbot auf die Marketingstrategien von Unternehmen?
Ein Verbot von TikTok wäre natürlich ein harter Schlag, besonders weil die Plattform so tief in die Popkultur und das Konsumverhalten jüngerer Generationen integriert ist. Aber die Prinzipien, die TikTok erfolgreich machen – kreatives Storytelling, Community-Engagement und die Nutzung von Trends – werden auch auf anderen Plattformen funktionieren. Sollte es zu einem Verbot kommen, müssen Marken sich schnell anpassen und ihre Strategien auf andere Plattformen übertragen. Aber solange TikTok verfügbar ist, sollten Unternehmen die Plattform voll ausschöpfen.