Im Verlauf meiner Karriere – verstärkt, seitdem ich Aufsichtsrats- und Führungsfunktionen bekleide, jetzt als frisch gebackene Partnerin bei Deloitte – stelle ich im inneren Gespräch immer wieder fest, dass mir die Antwort auf eine Frage fehlt: Wie gehen wir souverän mit Unwissenheit um, ohne unsere Glaubwürdigkeit, unser Standing als fähige Führungskraft zu verlieren?
Wer führt, muss alles wissen. Dieses Narrativ ist nicht nur ein Irrglaube, es ist ein Killer für Fehlerkultur, für Weiterentwicklung, für Innovation. Ich sage daher: Wir können nicht alles wissen, aber wir können alles lernen. Es geht nicht um Wissenserhalt, es geht um Wissensbeschaffung. Um die Bereitschaft zu einem konstruktiven Austausch, das Bemühen um neue Wissensquellen und -perspektiven. Diese Haltung versuche ich täglich nicht nur in meinem eigenen Kopf zu kultivieren, sondern auch bei meinem Team.
Re-Definition von Wissen
Ich verstehe das Leben – beruflich wie privat – als einen Zeitraum, in dem wir unseren Werkzeugkoffer mit Tools und Techniken füllen, die uns durch diese Welt navigieren. Um Antworten zu finden auf Fragen, die wir uns zum ersten Mal stellen. Denn in einer Welt, in der das, was wir gestern gelernt haben, morgen überholt ist, müssen wir uns ein „Weiß ich noch nicht“ erlauben.
Es geht darum, wie wir dieser Unwissenheit begegnen. Wissen ist nicht statisch. Wissen sieht jeden Tag anders aus, weil die Welt, in der wir uns bewegen, jeden Tag eine andere ist.
Förderung einer Lernkultur ist entscheidend
Wie können wir als Führungskraft also Menschen zum Lernen motivieren? Indem wir mutig vorangehen. Indem wir aufzeigen, wie wir uns aus der Patsche gezogen und Lösungen gefunden haben. Indem auch wir selbst uns immer wieder in Situationen werfen, in denen wir Neues ausprobieren. Indem wir eine Kultur des Experimentierens vorleben, des Fehlermachens – und ja, dabei vielleicht auch mal doof aussehen. So wie beim Tennis, das ich erst als Erwachsene angefangen habe zu lernen. Oder beim Ukulele-Unterricht in der Pandemie. Oder beim Digitalisierung-Lernen am Hasso-Plattner-Institut und in Stanford.
Am Ende geht es darum, gemeinsam zu lernen. Mit- und voneinander. Messen wir uns nicht an dem, was wir beherrschen. Messen wir uns an dem, was wir nicht beherrschen und es trotzdem probieren. Wir brauchen ein Mindset der Offenheit zu scheitern. In etwas nicht gut zu sein. Sich auch mal lächerlich zu machen. Die Schmerzen außerhalb der Komfortzone als Wachstumsschmerzen anzuerkennen.
Ego steht guter Führung und Wachstum im Weg
Was uns dabei häufig im Weg steht? Unser Ego. Vor allem Führungskräfte haben tief in ihrem Selbstverständnis eine vermeintliche Unfehlbarkeit verankert, die wir mit aller Kraft aufrechterhalten wollen. Du hast eine Frage? Ich kenne die Antwort. Du hast ein Problem? Habe ich schon zig Mal so gelöst. Blinde Flecken? Gibt’s nicht. Ich sage: Neee. Lasst uns das nicht mehr so tun. Wer in der heutigen Welt eine erfolgreiche Führungskraft sein möchte, muss in der Lage sein, sich vulnerabel vor die eigene Mannschaft zu stellen und zu den Grenzen der eigenen Fähigkeiten zu stehen. Und dabei auch nicht die Befürchtung zu haben, dass einem die Kolleg*innen einen Strick daraus drehen. Im gleichen Atemzug können wir unsere Organisationen motivieren, lebenslanges Lernen als etwas Gutes anzuerkennen und eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der wir gemeinsam Themen erkunden und für uns begreifen.
Daher möchte ich Sie ermutigen, einmal darüber nachzudenken:
Was möchten Sie als Nächstes lernen?