Den Kunden kann man nicht managen

Vom 22.-25. Juni unternahmen Marketing-Forscher in Berlin eine Standortbestimmung des Relationship Marketing. Ein Bericht über die 7th Research Conference on Relationship Marketing and Customer Relationship Management.

Dem Thema Kundenbeziehung kann man sich von verschiedenen Seiten aus nähern. Auf der einen Seite steht die wissenschaftliche Debatte um den richtigen Hebel, den das Marketing anzusetzen hat: Angesichts der Tatsache, dass selbst Softdrinkhersteller einen Großteil ihres Umsatzes über Geschäftsbeziehungen mit Restaurantketten generieren, hat sich mit dem Relationship Marketing eine Teildisziplin des Marketing von der klassischen produktbezogenen Disziplin abgesetzt.

Auf der anderen Seite steht eine Beobachtung aus der Praxis: In den Unternehmen sammeln sich Informationen über Kunden, die sich für zukünftige Angebote und Kundenbetreuung nutzen ließen, wenn man sie nur besser organisiert hätte. Das ist die Grundidee hinter Customer Relationship Management – einer Idee, die häufig als IT-Thema gesehen wird. In Berlin tauschten sich die Forscher über beide Aspekte aus.

Marketing-Experten in Berlin (v.l.): Gastgeber Prof. Michael Kleinaltenkamp (Freie Universität Berlin), Jagdish N. Sheth (Emory University, USA), Adrian Payne (Cranfield University, England) – Foto: WSTV

Eine Reihe bekannter Forscher nahm eine Standortbestimmung des Relationship Marketing vor. Jagdish Sheth, Marketing-Koryphäe an der Emory-University in Atlanta zeichnete die Entwicklung der Disziplin nach, der sich zwar in den letzten Jahren eine große Zahl von Fachartikeln und Dissertationen gewidmet haben, die aber dennoch gerade in den USA noch nicht als eigenständiges Fachgebiet gelte. Sheth stellte die These auf, dass Marketing für das Relationship Marketing immer unwichtiger werde. Das liege nicht zuletzt daran, dass die Marketingforschung selbst immer technischer werde und den Blick für das Business Development verliere, und damit für ein Kerngebiet des Relationship Marketing.

Für die Praxis folge daraus, dass das Thema Beziehungsmarketing zu wichtig sei, um den Marketingabteilungen überlassen zu werden. Die wichtigste Herausforderung besteht nach Sheths Ansicht darin zu verstehen, was die Brüchigkeit von Beziehungen ausmache und was sie zusammen halte. Derzeit werde das Thema zwar vor allem als IT-Thema gesehen. Doch mit Blick auf die Zukunft fragte Sheth: “Welche Disziplin übernimmt als nächstes die Verantwortung?” Es spräche einiges dafür, dass die nächsten Impulse aus Richtung des Supply Chain Management kommen werden.

Beziehungen werden zu oft durch die Brille des Wertes betrachtet

Ähnlich analysierte David Ballantyne von der Monash University in Australien das Verhältnis zum Marketing: “Vor dreißig Jahren hatte das Marketing den Kunden aus den Augen verloren, heute hat es das Ganze des Unternehmens aus den Augen verloren.” Relationship Marketing werde im Mainstream-Marketing vor allem vor dem Hintergrund des “Value exchange” interpretiert. Dadurch aber sehe man Beziehungen vor allem durch die Brille des Wertes. Ballantyne argumentierte, es sei angemessener, Beziehung als einen wichtigen Weg zu interpretieren, wie Unternehmen Wissen schaffen. Dass sich Wissen nicht so leicht in finanziellen Wert umrechnen lasse, sah er dabei keineswegs als Einwand: “Finanzieller Wert ist nicht alles. Das ist im wirklichen Leben nicht der Fall, und deshalb ist es das im Business auch nicht.”

In einen noch breiteren Kontext ordnete Shelby Hunt von der Texas Tech University das Thema Relationship Marketing ein. Hunt hat als Gegenmodell zu neoklassischen Marktmodellen, die etwa von perfektem Wissen und Markttransparenz ausgehen, eine Theorie der Ressourcen-Vorteile entwickelt. Vorteile, die Unternehmen sich durch bestimmte Ressourcen erarbeiten, schlagen sich letztlich in den Kosten und in der erzielten Wertschöpfung eines Unternehmens nieder. Innerhalb dieser Theorie ist das Relationship Marketing eine strategische Option unter anderen: So können einige Beziehungen als vorteilhafte Ressourcen interpretiert werden.

„Sie können ein Netzwerk nicht managen, weil Sie nicht der Boss sind“

Mit Beziehungen in Netzwerken befasste sich Evert Gummesson von der Universität Stockholm. Dabei ging es ihm nicht in erster Linie um Netzwerke, in die ein Unternehmen eingebunden ist, sondern um die Erkenntnis, dass die Kunden sich in Netzwerken bewegen. So müssten die Unternehmen verstehen, dass der Kunde keine Insel sei. Außerdem kritisierte er die Haltung, innerhalb eines Netzwerkes den Führungsanspruch zu übertreiben: “Sie können ein Netzwerk nicht managen, weil Sie nicht der Boss sind. Sie können es innerhalb eines Netzwerkes, aber das ist eine andere Art zu managen.”

Ähnlich verhalte es sich mit dem Anspruch, “den Kunden zu managen.” Gummesson erinnerte daran, dass Kunden schließlich ihren eigenen Willen haben: “Beziehungen durchziehen das ganze Leben, aber wir wissen noch nicht, wie wir damit umgehen sollen. Mit der Bank X zum Beispiel will ich gar keine Beziehung – aber die Bank will eine Beziehung mit mir, und das auch noch zu ihren Bedingungen.”

Internationale Bühne für deutsche Forscher

Einen weiteren Schwerpunkt der Konferenz bildeten empirische Arbeiten, die in verschiedenen Workshops vorgestellt wurden. Als besonders erfreulich aus Sicht der Freien Universität Berlin, die diese internationale Konferenz in diesem Jahr ausrichtete, erwies sich der rege wissenschaftliche Austausch. Dadurch, dass die Konferenz dieses Jahr in Berlin stattfand, konnten zahlreiche deutsche Wissenschaftler teilnehmen und den Stand ihrer Forschung auf einer internationalen Bühne vorstellen.


Autor: Martin Kaluza (Redaktion technischervertrieb.de)
eingestellt am 16. Juli 2003