DB-Vorstand: „Ich würde eher von erfahren als von alt sprechen“

Etwa die Hälfte der rund 330.000 Beschäftigten wird die Deutsche Bahn altersbedingt in den nächsten Jahren verlassen. Dem stehen jährlich 20.000 Neueinstellungen entgegen. Personalvorstand Martin Seiler spricht im Interview über den enormen Integrationsprozess und erklärt, wie der Konzern Generationenvielfalt gezielt fördert.
Martin Seiler sind die Themen Diversität und Generationenvielfalt wichtig. (© Urban Zintel/Deutsche Bahn)

Herr Seiler, die Charta der Vielfalt nennt insgesamt sieben Kategorien für Diversität. Welche sind aus Ihrer Sicht die relevantesten für die Deutsche Bahn?

MARTIN SEILER: Für die DB sind alle Facetten von Vielfalt gleichermaßen von Bedeutung. Neben den klassischen Dimensionen sind für uns die Vielfalt der Perspektiven, Werte, Kompetenzen und Berufserfahrungen wichtig. Definiert haben wir dieses erweiterte Verständnis von Vielfalt als „Diversity of Minds“. Wir dürfen nicht vergessen, dass jede und jeder von uns nicht nur eine, sondern viele verschiedene Vielfaltsdimensionen in sich vereint. Unsere Konzerninitiative „Einziganders.“, mit der wir alle Diversity-Aktivitäten im Konzern bündeln, bringt das zum Ausdruck.

Hätten Sie den German Diversity Award 2020 statt in der Kategorie „Generation“ nicht lieber in der Kategorie Gender, Ethnie oder LGBTQ+ gewonnen? Unser Eindruck ist, dass diese Kategorien deutlich mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.

Die Deutsche Bahn befindet sich in einem enormen Transformationsprozess und den demografischen Wandel bekommen wir besonders stark zu spüren. Aktuell beschäftigen wir konzernweit über 330.000 Mitarbeitende mit mehr als 100 unterschiedlichen Nationalitäten und aus vier Generationen. Etwa die Hälfte unserer Beschäftigten in Deutschland wird den Konzern altersbedingt in den nächsten Jahren verlassen. Gleichzeitig kommen mit mehr als 20.000 Neueinstellungen jährlich über 4000 junge Nachwuchskräfte zur DB, in diesem Jahr sogar 5000.

Eine ziemlich große Integrationsaufgabe.

Ein gut funktionierendes Generationenmanagement ist maßgeblich für unseren Unternehmenserfolg und die Zukunftsfähigkeit der DB. Insofern hat es mich sehr gefreut, dass wir gerade in der Kategorie „Generation“ gewonnen haben und unsere Anstrengungen im Generationenmanagement ausgezeichnet wurden, mit dem wir den Brückenschlag zwischen Tradition und Innovation meistern wollen.

Rund 15 Prozent der neu eingestellten Menschen bei der Bahn sind über 50 Jahre alt. Bedeutet „über 50 Jahre“ angesichts der demografischen Entwicklung und der diskutierten Rente mit 68 eigentlich schon „alt“?

Bei der Besetzung der Stellen reduzieren wir nicht auf das Alter. Was zählt, ist das, was ein Mensch mitbringt, wenn er zu uns kommt, was ihn auszeichnet und einzigartig macht. Ich würde in diesem Kontext daher eher von „erfahren“ als von „alt“ sprechen, denn das ist es, was diese neuen Mitarbeitenden mitbringen: viel Erfahrung und Expert:innenwissen. Tatsächlich wagen nicht wenige Menschen mit über 50 Jahren noch einmal einen beruflichen Neuanfang bei uns. Ihr fachspezifisches Wissen und ihre berufliche Erfahrung sind unerlässlich für den Erfolg der DB. Durch die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen, die schon lange dabei sind, oder auch mit den ganz jungen Talenten im Konzern entsteht ein Know-how, das uns bereichert und nach vorne bringt.

Finden Sie 15 Prozent angesichts dessen viel oder wenig?

Das Gesamtbild zählt. Hinzu kommt, dass wir im Rahmen unserer Konzernstrategie „Starke Schiene“ weiter wachsen wollen und dazu brauchen wir das Potenzial des gesamten Arbeitsmarktes. In aktuellen Arbeitgeberrankings stehen wir besser da denn je. Inmitten schwieriger Zeiten investieren wir weiter in Personal, genauso wie in Züge oder in Bahnhöfe, und stellen allein in diesem Jahr rund 20.000 neue Mitarbeitende ein.

In vielen Branchen, auch in der Marketing-, ­Werbe- und Medienbranche, gelten Arbeitnehmer – zumindest unterhalb des Top-Führungslevels – schon mit 40 Jahren oft als „alter Störfaktor“. Finden Sie diese Sichtweise nachvollziehbar oder hoffnungslos ignorant?

Diese Einstellung ist auf stereotype Vorstellungen über die verschiedenen Generationen zurückzuführen. Häufig geht es hierbei um das Vorurteil, dass Menschen ab einem bestimmten Alter nicht mehr offen für Neues seien und sich ihre Kreativität erschöpft habe. Unsere Kolleg:innen beweisen tagtäglich das Gegenteil.

Braucht es bald nicht nur eine Frauenquote, sondern auch eine Altersquote?

Sich klare Ziele zu setzen, um die Vielfalt in der Belegschaft und auf allen Führungsebenen zu erhöhen, ist wichtig. Bei der DB haben wir uns das Ziel gesetzt, bis Ende 2024 einen Frauenanteil von 30 Prozent in Führungspositionen zu erreichen. Beim Alter ist das etwas anderes, da wir alle die verschiedenen Altersstufen durchlaufen. Aber viele der Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden, zahlen auch auf den Abbau von Altersdiskriminierung ein.

Inwiefern?

Wenn wir zum Beispiel Workshops zu unbewussten Vorurteilen für unsere Führungskräfte durchführen oder Lernvideos veröffentlichen, bauen wir damit nicht nur Geschlechterstereotype ab, sondern fördern allgemein die Fähigkeit, eigene Vorannahmen zu hinterfragen. Wir kommunizieren zudem regelmäßig Erfolgsgeschichten von Teams, in denen die generationenübergreifende Zusammenarbeit besonders gut funktioniert, und stellen Mitarbeitende mit ganz unterschiedlichen Werdegängen vor.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel jene, die ihre erste Führungsposition bereits sehr jung eingenommen haben, aber auch Kolleg:innen, die aus verschiedenen Gründen erst später Führungskraft werden wollten. Dadurch verdeutlichen wir, dass bei uns vielfältige Karrierewege gegangen werden können, unabhängig vom Alter.


Zur Person:

Seit 2018 ist Martin Seiler, Jahrgang 1964, Vorstand Personal und Recht der Deutschen Bahn AG.

Gestartet hat er seine Karriere 1980 bei der Deutschen Post. Ab 2004 war er verantwortlich für die Integration der HR-Arbeit der DHL-Gesellschaften Deutschlands, 2009 übernahm er die Verantwortung für die Personalarbeit aller DHL-Gesellschaften in der Schweiz sowie in Österreich. 2010 wechselte Seiler zur Deutschen Telekom als Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Gesprächs. Das komplette Interview ist im Printmagazin der absatzwirtschaft erschienen, das Sie hier abonnieren können.


ist seit mehr als 20 Jahren Journalistin, spezialisiert auf Marketing, Medien, New Work und Diversity. Sie war stellvertretende Chefredakteurin bei “Horizont”, schreibt seit 2014 als freie Autorin für diverse Wirtschafts- und Fachmedien und liebt es, als Dozentin für Fachjournalismus und Kommunikation junge Menschen für die Branche zu begeistern. Privat muss es bei ihr sportlich zugehen – am besten beim Windsurfen oder Snowboarden.