Turbulente Zeiten in der höchsten deutschen Börsenliga: Der Essenlieferdienst Delivery Hero, der im laufenden Geschäft rote Zahlen schreibt und kein Deutschland-Geschäft mehr hat, ersetzt den insolventen Skandalkonzern Wirecard im Deutschen Aktienindex (Dax).
Delivery Hero wird nach dem Immobilienkonzern Deutsche Wohnen innerhalb weniger Wochen das zweite Berliner Unternehmen, das in die erste Börsenliga aufsteigt. Dax-Gründungsmitglied Lufthansa hatte der Deutschen Wohnen Anfang Juni Platz machen müssen. Zuvor war die deutsche Hauptstadt in dem prestigeträchtigen Segment 14 Jahre lang nicht mit einem Unternehmen vertreten gewesen.
„Die Aufnahme in den Dax ist die Bestätigung, dass der Kapitalmarkt an unsere Plattform glaubt“, sagte Delivery Hero-Chef Niklas Östberg. Nach der Entscheidung der Deutschen Börse vom späten Mittwochabend verloren die Aktien des Dax-Aufsteigers in einem insgesamt schwachen Markt am Donnerstagvormittag zwei Prozent. Maßgeblich für die Zugehörigkeit zum Kreis der 30 Dax-Konzerne sind Börsenumsatz (Handelsvolumen) und Börsenwert (Marktkapitalisierung) eines Unternehmens.
Delivery Hero profitiert von Corona
Der Essenlieferdienst zählt zu den Profiteuren der Coronaseuche. Das einstige Start-up betreibt in mehr als 40 Ländern Bestellplattformen für Essen lokaler Anbieter und beschäftigt 25.000 Mitarbeiter, davon rund 1300 in Berlin. Sie vermitteln Lieferdienste zwischen Restaurants und deren Kunden. Das meiste Geld stammt aus Provisionen, die die teilnehmenden Restaurants bezahlen. Allerdings betreibt Delivery Hero auch eigene Lieferdienste und Großküchen.
Bestellungen deutscher Kunden nimmt das Unternehmen seit vergangenem Jahr nicht mehr entgegen: Das Deutschlandgeschäft mit den Marken Pizza.de, Lieferheld und Foodora wurde verkauft. Der niederländische Konkurrent Takeaway hat es in seine eigene Plattform Lieferando eingegliedert. Mehr als die Hälfte seines Umsatzes hat Delivery Hero 2019 im Nahen Osten und Nordafrika gemacht. Auch in Asien ist Delivery Hero stark. Im dritten Quartal peilt das Unternehmen den Eintritt in den japanischen Markt an.
Rote Zahlen bei Delivery Hero
Das 2011 gegründete Unternehmen schreibt noch rote Zahlen. Im ersten Halbjahr lag der um Sonderposten bereinigte Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen nach vorläufigen Zahlen bei 319,5 Millionen Euro. Wann das laufende Geschäft die Kosten decken könnte, lässt das Unternehmen bislang offen. Es sei weiter im Aufbau, hob das Management nach der Entscheidung über den Dax-Aufstieg hervor.
Dank des starken Wachstums in der Coronakrise haben die Berliner die Prognose für das Gesamtjahr bereits erhöht. Erwartet wird ein Umsatz zwischen 2,6 und 2,8 Milliarden Euro und damit nahezu eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.
Dax-Aufstieg: Symrise muss warten
Neben Delivery Hero waren auch dem Duftstoff- und Aromenhersteller Symrise aus Holzminden in Niedersachsen Chancen auf den Dax-Aufstieg eingeräumt worden. Der nun knapp verfehlte Einstieg in den Börsen-Leitindex bekümmert Symrise aber offenbar nicht groß: „Dass wir bei den nötigen Zahlen an der Marke zur Aufnahme in den Dax kratzen, ehrt und freut uns natürlich“, hieß es am Donnerstag. „Aber das ist gar nicht unser primäres Ziel.“
Wichtiger sei es für Symrise vor allem, die Substanz des Unternehmens weiter zu verbessern. „Kommt irgendwann die Aufnahme in den Dax dazu, nehmen wir das natürlich gern mit als Beleg der langfristigen, nachhaltigen Entwicklung der Symrise AG“, erklärte Vorstandschef Heinz-Jürgen Bertram und ergänzte: „Unser Schwerpunkt ist es, Wert im Unternehmen zu generieren, Börsenwert und Dividende zu steigern und unser Nachhaltigkeitsprofil weiter zu verbessern.“
Die Symrise-Aktie hatte zuletzt deutlich zugelegt. Entscheidend für eine Aufnahme in den Dax ist – wie bei anderen Börsen-Indizes – zum einen eine hinreichend hohe Marktkapitalisierung: Der Aktienkurs multipliziert mit der Zahl der umlaufenden Wertpapiere. Außerdem muss die betreffende Firma einen bestimmten Handelsumsatz an der Börse vorweisen können.
Nach Wirecard-Skandal: neues Regelwerk der Deutschen Börse
Das aus dem Dax ausgeschiedene Unternehmen Wirecard hatte aufgrund des aktuellen Bilanzskandals um mutmaßliche Luftbuchungen erheblich an Wert an den Finanzmärkten verloren. Die Deutsche Börse überarbeitete angesichts der Insolvenz des Dax-Mitglieds zudem ihr Regelwerk nach Beratungen mit Marktteilnehmern. Gemäß den neuen Vorgaben werden zahlungsunfähige Unternehmen nun mit einer Frist von zwei Handelstagen aus den Dax-Auswahlindizes genommen. Wirecard hatte erst September 2018 den frei gewordenen Platz der Commerzbank im Dax eingenommen.
Wichtig sind Index-Änderungen vor allem für Fonds, die Indizes exakt nachbilden. Dort muss dann umgeschichtet werden, was meist Einfluss auf die Kurse hat. Die Zugehörigkeit zum Dax ist aber auch eine Frage des Prestiges: Gerade für internationale Investoren ist das wichtigste deutsche Börsenbarometer Aushängeschild der Wirtschaft.
he/dpa