„30 Jahre lang habe ich Daten vertraut und sie sind in dieser Nacht gestorben“, twitterte Mike Murphy, Analyst beim Nachrichtensender NBC. Er habe bei dieser Wahl nicht weiter daneben liegen können. Der ehemalige politische Stratege für die Republikaner und Trump-Kritiker hatte – wie viele Beobachter – auf die Umfrageergebnisse vertraut, die durch die Bank weg auf einen – wenn auch knappen Sieg – für Hillary Clinton wetten ließen.
I’ve believed in data for 30 years in politics and data died tonight. I could not have been more wrong about this election.
— mike murphy (@murphymike) November 9, 2016
Bis zum Schluss waren nahezu alle Umfrageergebnisse gleich
Am Montag, also einen Tag vor der Wahl, sahen Umfragen, die von Bloomberg, CBS, ABC, USA Today (mit Suffolk), der Economist (mit YouGov) NBC (mit SM) oder auch der Washington Post, veröffentlicht worden waren, Clinton vor Trump. Eine zuletzt aktuelle Umfrage von Reuters und dem Marktforschungsinstitut Ipsos sah eine 90 prozentige Siegeswahrscheinlichkeit für Clinton, die demnach 303 Wahlmänner hinter sich versammeln sollte. Nur wenige sahen Trump vorn: So beispielsweise eine (Online-)Umfrage der University of Southern California mit der LA Times.
Real Clear Politics (RCL) verarbeitet viele Erhebungen im Vorfeld der US-Wahl und errechnet ihren Durchschnitt. In den vergangenen Wahljahren lagen die Prognosen des RCL dabei stets nah an dem endgültigen Ergebnis der Präsidentschaftswahl. Die erstellte Übersicht macht deutlich, wie daneben die Umfragen in diesem Jahr lagen. Dass das Wahlergebnis so eindeutig ausfallen würde (nach aktuellem Stand erreicht Trump 289 Wahlmänner, Clinton 218), sah niemand voraus.
Überraschungssieg von Trump
„Diese Voraussagen sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen“, wetterte Fox-News-Moderatorin Megyn Kelly in der Wahlnacht. „Die Meinungsforscher können einpacken.“ Auch ihr, den Republikanern nahe stehender Sender sah Clinton vorn. International erkennen Experten ein Versagen der Umfragen, das beispielsweise auch im Liveblog der New York Times diskutiert wurde. „Es scheint mir, als seien die öffentlichen Umfragen erneut – erneut – kollabiert“, hieß es dort unter anderem. Im Livestream von Spiegel Online stellte auch Auslandschef Mathieu von Rohr ein „klares Versagen der Umfragen“ fest.
„Für die Medien und Umfrageinstitute sollte Trumps Überraschungssieg auch bedeuten, mal die eigenen Fehler zu hinterfragen“, kommentierte am Mittwoch Kevin O’Brien, Chefredakteur der Global Edition des Handelsblatt. „Nicht zum ersten Mal lagen die Demoskopen völlig daneben.“ Es geht um die Glaubwürdigkeit der Meinungsforscher.
Dass diese international ein Problem haben, zeigte bereits das Brexit-Referendum im Juni dieses Jahres, als das Meinungsforschungsinstitut YouGov mit seiner letzten Umfrage vor der Abstimmung ordentlich daneben lag. „Schlecht für uns Meinungsforscher und (weniger bedeutend) peinlich für mich“, twitterte damals der ehemalige YouGov-Präsident Peter Kellner. Das Problem der Umfrage damals: Sie fand ausschließlich online statt. Doch auch bei vergangenen US-Wahlen lagen Umfragen bereits daneben. Demoskopen müssen nun auf die Suche gehen und klären, aus welchen Gründen Umfragen wie beispielsweise jene von der Southern California treffender waren als andere.
Die Unterstützung Trumps in der weißen Arbeiterklasse
Wer vor Wahlen nach zuverlässigen Meinungsumfragen sucht, ist schnell verloren. Nach nahezu jedem Auftritt veröffentlichen zahlreiche Anbieter Blitzumfragen und -analysen, deren Methoden nur schwer zu durchschauen sind. Oftmals bleiben Zweifel an der Repräsentativität der Umfragen und oftmals werden Umfrageergebnisse gerne und ohne zu hinterfragen übernommen. Ganz einfach, weil Nutzer politische Umfragen konsumieren wie Wettervorhersagen, wie Guardians Datenjournalistin Mona Chalabi schreibt. So würden falsche Ergebnisse weiterverbreitet, weil sich die Medien der Versuchung hingäben, das menschliche Verhalten vorauszusagen.
Für die Unsicherheit der Umfragen sei in diesem Jahr die Vielzahl bis zum Schluss unentschlossenen Wähler verantwortlich. Vor allem die Unterstützung Trumps in der weißen Arbeiterklasse sei größer gewesen als vorgesehen, erklärt von Rohr in seiner Analyse. Ein weiterer unberechenbarer Faktor ist und wird die Aufrichtigkeit der Befragten bleiben. Zur US-Wahl ist vom so genannten „Shy-Trump-Effekt“ die Rede. Die Befragten verhalten sich demnach nicht aufrichtig und machen falsche Angaben in Umfragen. Hinzu kommt, dass vor allem die vorab unentschlossenen Wähler ihrer Meinung kurz vor dem Gang zur Urne dann doch noch einmal ändern.