Data Clean Rooms: Saubere Lösung für das Post-Cookie-Zeitalter? 

Das Targeting im Internet wird bald schwieriger – aus Datenschutz-Perspektive wünschenswert. Aber funktioniert adressierbare Werbung dann noch? Einen Ausweg sollen Data Clean Rooms weisen. Allerdings ist ihr Einsatz nicht trivial.
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Data Clean Rooms sind meist dezentral und cloudbasiert eingerichtet. (© Adobe Stock)

Schon seit Jahren diskutiert die digitale Werbebranche über Data Clean Rooms (DCR). Aber der große Run auf die Technologie ist bislang ausgeblieben. Das könnte sich in den nächsten Monaten ändern: Google will im Herbst die Third-Party-Cookies aus dem Chrome-Browser verbannen, was ihren endgültigen Abschied markieren wird. Auch mobile Identifier verlieren an Bedeutung, nicht zuletzt durch Apples Anti-Tracking-Offensive. Vor diesem Hintergrund werden First-Party-Daten interessanter, auch für die Steuerung von Kampagnen – und an diesem Punkt kommen DCRs ins Spiel.  

Warum? Weil sie für Werbungtreibende eine Brücke zwischen ihren eigenen First-Party-Daten – also meist E-Mail-Adressen oder Telefonnummern – und den Zielgruppen im Internet darstellen. DCRs sind meist dezentral und cloudbasiert eingerichtet und ermöglichen es zwei oder mehr Partnern – vor allem Werbungtreibenden und Publishern –, First-Party-Daten abzugleichen und Schnittmengen festzustellen. Dabei haben die Anwender keinen Einblick in die Datensätze des jeweils anderen. Die Ergebnisse werden nur aggregiert ausgeworfen. 

Werbungtreibende finden also ihre eigenen Kontakte beim Publisher wieder, sofern sie auch zu dessen Datenpool gehören, und können sie für Werbung beim Publisher aktivieren. Gleichzeitig können Lookalikes gebildet und angesprochen werden, die den Profilen aus der Schnittmenge entsprechen – so weiten Werbungtreibende ihre Zielgruppen aus. Hinzu kommen Analysefunktionen zur Erfolgskontrolle. DCRs bieten also viele Ansätze, um auch im Post-Cookie-Zeitalter noch datenbasierte Werbung zu steuern. 

Zahlreiche Anbieter hoffen auf mehr Bewegung im deutschen Markt 

„Das Interesse an DCR-Lösungen ist stark gestiegen“, sagt Aline Zenses, Managing Director DACH beim britischen Anbieter InfoSum. „Wir führen derzeit im DACH-Markt Gespräche mit fast allen relevanten Vermarktern und Agenturen.“ Das System lässt sich sowohl auf Lizenzbasis als auch für einen kampagnenbezogenen Zeitraum nutzen. Dass InfoSum insbesondere für die Modellierung von Lookalikes funktioniert, belegt eine Best-Case-Kampagne von Renault, unterstützt von den Mediaagenturen Annalect und OMD und geschaltet auf Axel-Springer-Inventar.  

Auch andere Anbieter erhoffen sich in diesem Jahr einen Push, unter anderem Decentriq und Optable sowie Appsflyer im mobilen Bereich. Hinzu kommen der Programmatic-Spezialist Triplelift, zu dem seit 2022 das Schweizer DCR-Start-up 1plusX gehört, und die Data-Collaboration-Plattform LiveRamp, die im Januar Habu übernommen hat. Für sie alle ist die DACH-Region bislang noch ein Zukunftsmarkt – die Anwendung von DCRs ist insbesondere in den USA schon deutlich weiter verbreitet.  

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Aline Zenses, InfoSum: „Wir führen derzeit im DACH-Markt Gespräche mit fast allen relevanten Vermarktern und Agenturen.“ (©InfoSum)

An dieser Stelle muss man betonen: DCR-Funktionalitäten sind für die meisten Werbungtreibenden und Agenturen insofern nichts Neues, als die großen Plattformen Google, Meta und Amazon schon seit Jahren damit arbeiten. Die Amazon Marketing Cloud (AMC) etwa macht es möglich, Werbung auf Basis der eigenen First-Party-Signale zu steuern und zu optimieren, den Erfolg zu messen, die Zielgruppe zu erweitern und neue Insights zum Shopping-Verhalten der First-Party-Profile zu erhalten.  Allerdings werden die DCRs der Digitalkonzerne immer nur für deren „Walled Gardens“ eingesetzt. Die Systeme der unabhängigen Anbieter dagegen können dafür sorgen, dass sich First-Party-Daten auch Vermarkter-übergreifend im Open Web einsetzen lassen.  

Einheitliche Identifier machen breitere Skalierung möglich 

Auf dem Weg dorthin müssen jedoch noch einige Weichen gestellt werden. Das erste Hindernis: Die First-Party-Daten der Werbungtreibenden bestehen meist aus E-Mail-Adressen – ein limitierender Faktor. „Wenn beim Daten-Matching im DCR nur mit den Mail-Adressen gearbeitet wird, beschränkt sich das Targeting der darauf basierenden Werbekampagne beim Publisher auf eingeloggte Kontakte“, erklärt InfoSum-Managerin Zenses. Die Mail-Adressen von Nutzer*innen, die uneingeloggt Websites besuchen, lassen sich ja nicht erkennen. Daher ist es sinnvoll, die Nutzer*innen über Identifier zu markieren – natürlich nur mit deren Einwilligung. Dies können Publisher-eigene oder auch übergreifende ID-Lösungen wie NetID, Utiq oder ID5 sein. 

Mit NetID arbeitet unter anderem United Internet Media, das mit web.de und gmx.de über Millionen von E-Mail-Adressen verfügt. Das Unternehmen bietet das sogenannte CRM-Onboarding an. Dabei werden Mail-Adressen in NetID-Profile umgewandelt, die dann wiederum für die Werbung aktiviert werden können. Übergreifende Lösungen sind insbesondere dann notwendig, wenn die entsprechenden Zielgruppen auch bei anderen Publishern adressiert werden sollen. InfoSum hat daher im vergangenen November eine Kooperation mit NetID beschlossen. Werbungtreibende können also über die DCR-Infrastruktur von InfoSum First-Party-Daten mit Publishern abgleichen und in NetID-Profile umwandeln, die dann wieder auf der gesamten NetID-Reichweite in Deutschland mit Werbung adressiert werden können. 

Eine weitere Herausforderung: Wenn Publisher mit unterschiedlichen DCR-Lösungen arbeiten, kann der Aufwand der Datenaktivierung für die Werbungtreibenden und Agenturen sehr hoch werden. Der europäische Branchenverband IAB Tech Lab arbeitet daher an einheitlichen Standards, die die Interoperabilität der DCRs erhöhen.  

Mediaagenturen unterstützen die DCR-Philosophie 

Für die Verbreitung der DCRs im Werbegeschäft dürfte entscheidend sein, dass die Mediaagenturen mitziehen. Bislang sieht alles danach aus, dass sie sehr offen sind. Die Agenturgruppe Publicis Media etwa arbeitet seit anderthalb Jahren mit unabhängigen DCRs. „Man kann aktuell nicht mehr von einer Testphase sprechen, im Regelbetrieb sind wir allerdings auch noch nicht“, sagt René Lamsfuß, Chief Analytics Officer. Die ersten Kampagnen sind aber bereits mit Hilfe eines DCR gelaufen. Dies sei technisch bereits mit dem Gros der Top-10-Vermarkter möglich, so Lamsfuß.  

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René Lamsfuß, Publicis Media: „Wir werden versuchen, möglichst viele liebgewonnene Funktionen in das Post-Cookie-Zeitalter herüberzuretten.“ (©Publicis)

Publicis Media hat im vergangenen Oktober als erste Agenturgruppe eine Partnerschaft mit dem DCR-Anbieter Decentriq aus der Schweiz vereinbart. „Der Confidential-Computing-Ansatz von Decentriq stellt sicher, dass alle Daten während der kompletten Verarbeitung verschlüsselt bleiben, was höchste Sicherheit bei der Datenverarbeitung garantiert“, begründet Sven Wegholz, Executive Director Data Strategy Consulting bei Publicis Media, den Schritt. Darüber hinaus können auch hochsensible Daten mit Daten Dritter angereichert und für Kampagnen aktiviert werden. „Zudem ermöglicht es eine Modelling-Funktion, im Rahmen des Daten-Matching auch Lookalike-Zielgruppen zu bilden“, so Wegholz. „Damit lassen sich die eigenen First-Party-Profile durch neue Kontakte erweitern.“ 

Fest steht für Lamsfuß: „Wir werden versuchen, möglichst viele liebgewonnene Funktionen in das Post-Cookie-Zeitalter herüberzuretten.“ Frequency Capping etwa werde ohne Identifier nicht mehr möglich sein: „DCRs werden hier wertvolle Arbeit leisten.“ Darüber hinaus seien ganz neue Anwendungen möglich: „Über DCRs können auch mehrere Werbungtreibende ihre Daten abgleichen und für eine noch präzisere Zielgruppenansprache einsetzen“, so Lamsfuß.  

Unterdessen treiben die DCR-Anbieter die technische Weiterentwicklung voran. InfoSum hat kürzlich „Private Path“ vorgestellt, eine neue Lösung, die Datenabgleiche auch außerhalb der DCR-Lösungen möglich macht. Zwei oder mehr Partner können darüber Daten verschlüsselt abgleichen und dabei zusätzliche Use Cases zum Thema Enrichment und Measurement abbilden. „Private Path eröffnet vor allem für das Measurement ganz neue Perspektiven“, erklärt DACH-Chefin Zenses. „Werbungtreibende und Publisher können Daten zu Sales, Conversions und Impressions beispielsweise mit Messdienstleistern verknüpfen, ohne personenbezogene Informationen oder Identifier weiterzugeben.“  

Info: Einen Überblick über die Welt der Data Clean Rooms stellt der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hier zum kostenlosen Download zur Verfügung. 

(kj, Jahrgang 1964), ewiger Soul- und Paul-Weller-Fan, hat schon für Tageszeitungen und Stadtmagazine gearbeitet, Bücher über Jugendkultur und das Frankfurter Bahnhofsviertel geschrieben und eine eigene PR-Agentur betrieben. 1999 zog es ihn aus dem Ruhrgebiet nach Frankfurt, wo er seitdem über Marketing-, Medien- und Internetthemen schreibt, zunächst als Ressortleiter bei „Horizont“, seit 2008 als freier Journalist und Autor. In der Woche meist online, am Wochenende im Schrebergarten.