von Christoph Moss
Wer erinnert sich nicht an die berühmte Pressekonferenz des DDR-Politikers Günter Schabowski? Am 9. November 1989 trat er in Ost-Berlin vor die Journalisten. Er referierte langsam und monoton. Dann begann er irgendwann zu stammeln und sagte: „Das tritt nach meiner Kenntnis . . . ist das sofort, unverzüglich.“ Gemeint war die Öffnung der Grenzen. Eine historische Pressekonferenz, weil sie faktisch das Ende der deutschen Teilung bedeutete. Und nun stellen wir uns vor, er hätte nicht gesagt: „Sofort“ oder „unverzüglich“. Stellen wir uns vor, er hätte „zeitnah“ gesagt. Wie gut, dass er diese Vokabel nicht kannte. Zeitnah wäre die Lösung für alle Probleme des DDR-Regimes gewesen. Zumindest an jenem Abend des 9. November. Und wahrscheinlich wäre die Grenze nicht sofort, sondern erst „zeitnah“ geöffnet worden, was immer das auch hätte heißen mögen.
„Zeitnah“ ist Mumpitz. Es bewegt sich auf dem Niveau von alles oder nichts, sofort oder später, irgendwann oder nie. Dieses Wort ist so nichtssagend, dass es nicht einmal einen Begriff mit gegenteiliger Bedeutung gibt. „Zeitfern“ ist jedenfalls bisher noch nicht in den aktiven Wortschatz des Ärmelschonerdeutsch übergegangen. Anders übrigens als das „Zeitfenster“ oder der „Zeithorizont“. Auch der unvermeidliche „Zeitdruck“ ist fest etabliert und ebenso das „Zeitpolster“. Wie wichtig „Zeit“ in der Wirtschaftssprache ist, sehen wir schon an der Vielzahl der „Zeit“-Begriffe. „Zeit“ ist kritisch, und deshalb gibt es auch das Wort „zeitkritisch“. Denn Zeit ist auch Ausdruck von Dynamik. Alles beginnt und endet irgendwann. Je mehr Zeit wir in eine Aufgabe investieren, desto weniger Zeit haben wir für anderes übrig. Zu diesem „Zeitpunkt“ ist also „Zeitmanagement“ gefragt. „Mit der Zeit gehen“ heißt in diesem Sinne, sich dem „Zeitgeist“ anpassen. Oder anders formuliert: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht zeitnah.“