Aus Wiesbaden berichtet Michael Ziesmann
Am 25.Oktober 2009 saß Aleksander Ruzicka seit genau drei Jahren in Untersuchungshaft. Trotz Beschleunigungsgebot in Haftsachen lag das Urteil trotzdem seit dem 8.September 2009 in der Geschäftsstelle des Landgerichts. Dem Vernehmen nach hat die Kammer Anlagen zum Urteil, wie ein Verhandlungsprotokoll und ein Verzeichnis der fast 100 Beweisanträge von Ruzickas Verteidiger Marcus Traut, überarbeitet, nachdem sich der bekannte Revisionsspezialist Gunter Widmaier zur Sache legitimiert hatte. Nun läuft eine Frist von vier Wochen, in der die bereits im Mai angemeldete Revision schriftlich gegenüber dem Bundesgerichtshof begründet werden muss.
Der Vorsitzende Richter am Landgericht Wiesbaden, Jürgen Bonk, schildert auf 253 Seiten die Entscheidungsfindung der Kammer. Im Großteil der schriftlichen Urteilsbegründung gibt Bonk den Verlauf des Prozesses sowie die darin gemachten Angaben und Aussagen der Zeugen wieder. absatzwirtschaft hat während des Prozesses eineinhalb Jahre lang ausführlich berichtet. Sämtliche Artikel stehen in unserem Archiv ungekürzt zum Abruf bereit.
Das Urteil gibt teilweise wörtlich die Anzeige von Aegis Media als auch die Anklage wieder. Gegenüber der mündlichen Urteilsbegründung vom 12.Mai 2009 ergeben sich jedoch neue Erkenntnisse und Sichtweisen. Das Urteil basiert auf den Aussagen von David Linn und Manuela Rasmussen. Die einzigen beiden Personen in diesem Ermittlungskomplex, die rechtskräftig verurteilt sind. Beide ehemaligen Mitarbeiter des Mediaeinkaufs bei Aegis Media sind rechtskräftig zu Bewährungsstrafen von einem beziehungsweise zwei Jahren verurteilt worden. Ihre Aussagen dienen dem Gericht als Basis, um das Urteil gegen Aleksander Ruzicka zu begründen.
Zudem ordnet die Kammer sämtliche Zeugen als glaubwürdig ein, auch wenn sie sich teilweise erheblich widersprochen haben. Die Kammer konzentriert sich in ihrer Urteilsbegründung auf den angeblichen Einzeltäter Aleksander Ruzicka. Auf 253 Seiten Urteilsbegründung ist er die einzige Person, die für die Kammer unglaubwürdig ist. Alle anderen Personen, wie die ehemaligen Geschäftsführer der Werbeagentur ZHP, Reinhard Zoffel und Volker Hoff, oder der Geschäftsführer von Emerson FF, Joachim Lüdeke, werden entlastet. Dieses Gericht wertet es als Untreue, wenn vermeintliche Kundengelder zwischen deren Vorauszahlung an die Mediaagentur und der Bezahlung der Medien dem Vermögen der Agentur zeitweise oder dauerhaft entzogen werden.
So heißt es: „Der Angeklagte Ruzicka … entschloss sich im Frühjahr 2002 Werbezeiten … zu kapitalisieren und die in Millionenhöhe erwirtschafteten Erlöse nicht bei der Gesellschaft zu belassen, sondern über ein Geflecht von Firmen darüber nach eigenem Gutdünken zu verfügen. Dabei nutzte der Angeklagte Ruzicka die Strukturen aus, die sich aufgrund der Stellung einer Mediaagentur als zwischen Kunde und Medienvermarkter geschaltete Organisation ergeben. Insbesondere macht er sich zunutze, dass außer ihm lediglich der Angeklagte Linn, die gesondert Verfolgte Claudia Jackson … und die bereits verurteilte Manuela Rasmussen wussten, in welchem Umfang insgesamt über agenturspezifische Rabatte in Form von Werbefreizeiten verfügt werden konnte, und keine Kontrolle darüber stattfand, in welcher Höhe eine Kapitalisierung tatsächlich erfolgte. Zugute kam ihm weiterhin, dass die Vorgänge in der Werbebranche von vielen, sowohl von Endkunden als auch von Mitarbeitern zwischengeschalteter Unternehmen, insbesondere hinsichtlich des Rabatt- und Preissystems als wenig nachvollziehbar empfunden wurden. Weiterhin wurde ersichtlich, dass ein Großteil der Kunden den Einsatz ihrer Budgets und Gewinnung eines „Mehrwerts“ durch den Einsatz von Werbefreizeiten als höchst intransparent empfunden hat.“
Weiter heißt es: „Dabei war ihm (Ruzicka, Anm.) bewusst, dass ein unternehmenseigenes Controlling der Kapitalisierung der agenturspezifischen Freizeiten nicht existierte“. Die Kammer hält Ruzicka zugute: „Durch das Versagen der in dem maßgeblichen Bereich ohnehin sehr geringen Kontrollmechanismen der Aegis Group plc. wurde dem Angeklagten Ruzicka die Begehung der Straftaten erst ermöglicht.“ Die fehlende firmeninterne Kontrolle der Kommerzialisierungsvorgänge habe die Tatausführung erheblich vereinfacht. Die Kammer bezieht sich dabei auf die Aussagen der Chief Financial Officer (CFO) von Aegis Media, Andreas Bölte und Hans-Henning Ihlefeld, die übereinstimmend aussagten, „dass es kein firmeninternes Controlling der Kapitalisierung agenturspezifischer Freizeiten gab“, so die Urteilsbegründung. Aegis Media schrieb in der als anonym getarnten Anzeige vom 5.Juli 2005 von einem jährlichen Volumen von agenturspezifischen Freizeiten im Gegenwert von 200 bis 250 Millionen Euro.
Ruzicka habe sich zunutze gemacht, dass für Freispots lediglich eine Sendebestätigung von den Werbezeitenvermarktern IP Deutschland und Seven One Media existiert – jedoch keine Rechnung. Diese Rechnungen seien auf Veranlassung von Ruzicka von Emerson FF erstellt und den Sendebestätigungen hinzugefügt worden. Ruzicka habe dabei ein hohes Maß an krimineller Energie gehabt, was sich neben der Beharrlichkeit der Tatausführung auch in mehreren Tatvarianten zeigte. Er handelte gewerbsmäßig, um sich eine zusätzliche Einnahmequelle zu verschaffen. Die Kammer fügt aber hinzu: „…dass der Angeklagte Ruzicka auch die ihm vorgeworfenen Taten nicht nur zur eigenen Bereicherung beging, sondern auch in dem Bemühen und mit der Ansicht, auf diese Weise seiner Arbeitgeberin nutzen zu können. So verwendete er aus den Straftaten resultierende Gelder u.a. dazu, auf gesellschaftlicher Ebene berufliche Kontakte zum Zwecke der Anbahnung von Geschäften zu knüpfen oder bestehende geschäftliche Beziehungen für die Aegis Media GmbH gewinnbringend zu vertiefen“. An anderer Stelle in demselben Urteil sieht die Kammer die rein private Natur der dafür durchgeführten Veranstaltungen als erwiesen an.
Im Kern reduziert die Kammer in ihrer schriftlichen Urteilsbegründung den Vorwurf der Untreue auf den Umstand, dass Geld bei Aegis Media war, das nicht an Dritte hätte abfließen dürfen. Warum dieses Geld zur Mediaagentur kam oder was mit diesem geschah, ist für die Kammer ohne Belang. Zudem geht die Kammer davon aus, dass Aegis Media Werbezeiten kauft und verkauft und demnach nicht vermittelnd tätig ist. Die Kammer sieht sowohl Nettomediakosten als auch Honorare als Einnahmen. Obwohl die Kammer dem Urteil eine Beispielabrechnung eines Kunden beigefügt hat, in der bei Aegis Media ganz klar zwischen Medienkosten und Honorar getrennt wird.
So errechnet die Kammer eine Summe von 33.670.915,55 Euro, die via Emerson FF zu Drittfirmen flossen. Gelder, die Werbekunden durch schriftlichen Auftrag in sogenannten „Ad-Hoc-Deals“ zweckgebunden an Aegis Media zugunsten Emerson FF gezahlt haben. Die Kammer zieht davon Honorareinnahmen von Aegis Media in Höhe von 1,2 Millionen Euro ab. Eine Summe, in deren Höhe Aegis Media mindestens selbst an diesen Freizeiten partizipiert hat. Kunden haben demnach nicht nur Gelder zugunsten Emerson FF für Freispots gezahlt, die der Mediaagentur oder den Kunden je nach Vertragsmodell bereits gehörten, sondern für diese vermeintlich zusätzlich generierten außertariflichen Vorteile auch ein vertragsgemäßes Honorar von ein bis drei Prozent.
Innerhalb desselben Urteils äußert die Kammer unterschiedliche Einschätzungen über die Wertigkeit solcher Erlöse. Sie zitiert einen Mediabetreuungsvertrag mit einem Hersteller für Büromaterial. Dieser habe ein Benefit-Sharing im Verhältnis 90 Prozent für den Kunden und 10 Prozent für Carat gehabt. Ein Verhältnis, in dem außertarifliche Einkaufsvorteile zwischen Kunde und Mediaagentur aufgeteilt werden. Wenige Seiten weiter zitiert die Kammer den Mediabetreuungsvertrag zwischen Carat und der Werbeagentur ZHP. Die Kammer schreibt, dass 80 Prozent der Einkaufsvorteile an ZHP gingen und „nur“ 20 Prozent bei Carat blieben. Im Urteil heißt es: „Die Carat sollte an dieser Vermarktung der Freizeiten lediglich 20 Prozent verdienen.“ Diese Aufteilung von Einkaufsvorteilen zwischen Carat und ZHP hätten das Unternehmen geschädigt, da diese Rückzahlungen nicht bei ZHP verblieben sind, sondern an Firmen wie Camaco oder Watson gezahlt wurden.
Die Kammer schlußfolgert, dass auch diese 80 Prozent bei Carat verbleiben müssen und nicht hätten abfließen dürfen. Das heißt, Carat hätte sich nicht an den Mediabetreungsvertrag mit ZHP vom 14. Februar 2002 halten und ZHP nicht an den Erlösen aus dem überproportional hohen Einsatz von qualitativ minderwertigen Freispots für die ZHP Kunden im Wege des Benefit-Sharings beteiligen dürfen. Einen Vertrag, auf den die Kammer Bezug nimmt. Im Prozessverlauf wurde bekannt, dass Großkunden wie ein Joghurthersteller 100 Prozent solcher außertariflichen Vorteile erhalten und Carat daran mit null Prozent partizipiert.
Im Tatkomplex um Emerson FF geht die Kammer davon aus, dass Werbekunden für diese Freispots auch ohne Vorlage von „Scheinrechnungen“ bezahlt hätten. Ruzicka habe sich zunutze gemacht, dass es für Freispots nur Sendebestätigungen, aber keine Rechnung der Sender gibt. Den Werbekunden sind diese angeblich bei Emerson FF gekauften zusätzlichen Werbezeiten mit einem Rabatt von 30 Prozent auf den Listenpreis angeboten worden. Diese haben dem in „Ad Hoc Deals“ zugestimmt und demnach für Freispots 70 Prozent des Listenpreises bezahlt. Diese von den Kunden zweckgebunden geleisteten Zahlungen hätten nach Auffassung der Kammer vollständig bei Aegis Media verbleiben müssen. Aegis Media hätte den Auftrag der Kunden über den Einsatz von Emerson FF nicht befolgen dürfen. Die Kammer geht davon aus, dass diese Freispots auch ohne Vorlage von externen Rechnungen von den Kunden bezahlt worden wären – auch wenn sie gewusst hätten, dass sich diese Freispots bereits im Besitz von Aegis Media befanden. Im Urteil heißt es: „Da es für die freie Werbezeit keine Rechnung (von Emerson FF, Anm.) gegeben hätte, wäre der von den Kunden bezahlte Betrag für die Freizeit auf das Einkaufsvorteilskonto (EKV) eingebucht und turnusmäßig entsprechend der vertraglichen Vereinbarungen aufgeteilt worden, das heißt, das Geld wäre je nach Vereinbarung entweder ganz dem Kunden zurückerstattet worden oder ganz bei der Agentur verblieben oder entsprechend einer vereinbarten Quote aufgeteilt worden.“
Die Kammer ordnet sämtliche Zeugen als glaubwürdig ein. Auch wenn sich diese in wesentlichen Punkten widersprechen, ist dem Urteil zu entnehmen: „Jeder dieser Zeugen schilderte die von ihm erlebten Geschehnisse nachvollziehbar und widerspruchsfrei … Angaben ergänzten sich und fügten sich überwiegend stimmig in das Bild ein, das der Angeklagte Linn und die Zeugin Rasmussen vermittelt hatten.“
So hatte der Leiter des elektronischen Mediaeinkaufs von Aegis Media, Rene S., unter Wahrheitspflicht ausgesagt, dass „Emerson FF nur eingesetzt werde, damit Aegis Media Rechnungen habe, die sie bei Bedarf Kunden vorlegen könne. Es habe Kunden gegeben, die nicht bereit gewesen seien, für Werbefreizeiten Geld zu bezahlen, und es sei in diesem Bereich oft zu Diskussionen gekommen mit der Folge, dass man auch Wege gesucht habe, den Kunden Rechnungen vorlegen zu können.“ So sagte Aegis Media CEO Andreas Bölte nach Vorhaltung dieser Aussage ebenfalls unter Wahrheitspflicht aus, dass er dies nicht nachvollziehen kann. Auch sei ihm ein Vermarktungsweg, wie ihn der Zeuge S. geschildert habe, nicht bekannt. Dennoch ordnet die Kammer beide Zeugen als glaubwürdig ein. „Die zeitweilige Vermutung des Angeklagten Ruzicka, der Zeuge Bölte habe dies alles in die Wege geleitet, um selbst die berufliche Stellung als CEO im Unternehmen erlangen zu können, erwies sich als äußert fernliegend. Die Kammer hat nicht einen Anhaltspunkt gewinnen können, der es nahelegen könnte, dass der Zeuge bewusst die Unwahrheit gesagt hat“, schlußfolgert die Kammer.
Der ehemalige Leiter des Rechnungswesens von Aegis Media bestätigte unter Wahrheitspflicht, dass „er die Anweisung gehabt habe, dem Zeugen Bölte nicht mitzuteilen, wieviele Freizeiten Aegis zustanden. Der Zeuge erklärt, er habe drei Ordner gehabt, die er weder dem CFO Ihlefeld noch seinem Nachfolger CFO Bölte zeigen durfte. In diesen Ordnern hätten sich die Informationen befunden, wie viele Naturalrabatte von den Vermarktern zugeteilt worden seien“, dokumentiert das Urteil. Die Kammer erachtete das als glaubwürdig. Im Urteil findet sich jedoch nicht die Aussage desselben Zeugen zur Praxis, Rückvergütungen an Kunden mittels Scheck auszuzahlen. Der Zeuge V. war geradezu stolz darauf, mit dieser von ihm entwickelten Praxis für Aegis zusätzliche Zinsvorteile generiert zu haben. Dieselbe Scheckpraxis wird an anderer Stelle im Urteil im Zuge der Rückerstattung an ZHP in einen negativen Kontext gerückt, mit der sich Aleksander Ruzicka bereichert habe. Die Zeugen Bölte und Ihlefeld widersprachen sich zusätzlich im Bezug auf Verantwortung und Inhalt der Strafanzeige gegen Ruzicka. Ihlefeld wollte sich an seinen eigenen Treuhandvertrag als Treugeber der PLV, dem mutmaßlichen Vorgänger der angeblichen Scheinfirma Camaco, erst erinnern, als ihm dieser vorgehalten wurde. Dennoch gelten auch diese Zeugen als glaubwürdig und ihre Aussagen als widerspruchsfrei.
Den Verbleib „der Beute“ konnte das Gericht nicht aufklären, so Richter Bonk in seinem Urteil. Er gibt jedoch auf vier Seiten ausgerechnet den Verbleib der Teile „der Beute“ wieder, die geeignet sind, dem Angeklagten Ruzicka nachteilig angelastet zu werden. Andererseits erkennt er zwar an, dass zu Veranstaltungen „zu einem großen Teil“ Kunden und potenzielle Neukunden geladen wurden. Die dafür aufgewendeten Kosten sind jedoch „ohne Belang“ und wurden auch nicht vom angeblichen Vermögensnachteil abgezogen. Alle Beweisanträge über die Verwendung des Großteils „der Beute“ hatte Richter Bonk im Laufe des Prozesses abgewiesen.
Dabei werden gleiche Sachverhalte verschieden bewertet: So zum Beispiel den Umstand, dass er anlässlich der Razzia in seinem Büro bei Aegis Media ein Notizbuch und ein Notebook habe verschwinden lassen wollen. Oder dass sein Lebenspartner die Tür zum gemeinsamen Haus nicht öffnen wollte. Im Urteil findet gleichzeitig keine Erwähnung, dass der Zeuge Andreas Bölte bei derselben Razzia der Polizei den Zutritt zu den Räumen der Aegis Media Central Services GmbH & Co KG verweigert hatte. Derselbe Zeuge, der als Intitiator hinter der Anzeige gegen Ruzicka steht, an Aufklärung und Unterbindung von Straftaten interessiert war, an mindestens einem konspirativen Treffen mit der Staatsanwaltschaft teilgenommen hat (was zufällig bekannt wurde), und zu diesem Zeitpunkt den selbst geforderten Zugriff der Polizei knapp eineinhalb Jahre lang erwartete. Sie habe sich mehr Unterstützung erwartet, so die Kriminaloberkommissarin T., die diesen Vorfall im Prozess schilderte. Dennoch heißt es im Urteil: Die Kammer hat keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür gefunden, „aus dem die Besorgnis abzuleiten wäre, die Zeugen könnten gegebenenfalls die Angeklagten zu Unrecht belasten.“
Fast alle gehörten Zeugen stehen in einem Abhängigkeits- oder Naheverhältnis mit Aegis Media, die Aleksander Ruzicka mit erheblichen Schadensersatzforderungen gegenüber tritt. Allein der Zeuge Sven T. beendete seine Anstellung bei Aegis Media im März 2006 und leitet seitdem eine andere Mediaagentur. Er bestätigte als einziger Zeuge, dass es bei Aegis Media regelmäßig Thema war, wer mit welchem Kunden wann wo zufällig zusammentreffen soll. Er schilderte unter Wahrheitspflicht das professionelle Führen von Eventkalendern und die Abstimmung der Mitglieder der Geschäftsleitung darüber, wer wann zu welcher Veranstaltung geht oder diese initiiert, um Kunden oder potenzielle Neukunden zu treffen, sowie die Einbindung der Konzernleitung in London. Im Urteil findet dies keine Erwähnung. Die Kammer reduziert diese Aussage auf ein „singuläres Ereignis“, da sich T. bei „einem“ Fest um „einen“ Mitarbeiter eines Waschmittelherstellers kümmern sollte. Weiter heißt es im Urteil: „Daraus ist jedoch vor dem Hintergrund der im Übrigen bestimmenden privaten Prägung der Feste (jetzt Plural, Anm.) nicht abzuleiten, dass dies Veranstaltungen (Plural, Anm.) mit vorwiegend geschäftlichem Charakter gewesen wären.“
Auch Medienschelte findet im Urteil Platz. Faktisch die gesamte deutsche Qualitäts- und Fachpresse hat sich in den letzten drei Jahren mit diesem Fall beschäftigt. Dabei wurde Kritik an allen Beteiligten und den teils absurden Umständen laut. So zum Beispiel die Kritik an der Doppelrolle von Andreas Bölte als Ruzickas Nachfolger in der Position des CEO bei Aegis Media und gleichzeitig Initiator der Anzeige als vermeintlich anonymer Whistleblower. Eine Doppelrolle, die der Staatsanwaltschaft bekannt war, aber erst durch Presseberichte öffentlich wurde. Die Kammer: „Der Zeuge war erkennbar durch die zum Teil mit Angriffen gegen seine Person erfolgte Presseberichterstattung zu den beiden genannten Umständen im Vorfeld seiner gerichtlichen Vernehmung beeindruckt.“
Die Kritik der teils absurden Umstände basierte auch auf eigenen Recherchen und Veröffentlichungen dieses Magazins. Recherchen, die das Gericht an anderer Stelle im Urteil dazu bewogen haben, sich beispielsweise mit Jagdveranstaltungen in Ungarn zu beschäftigen. Fakten, die von der anklagenden Staatsanwaltschaft Wiesbaden wohl nicht ermittelt wurden. Es handelte sich dabei um Veranstaltungen, die zuvor verschwiegen oder ausschließlich in das Privatvergnügen von Aleksander Ruzicka eingeordnet wurden – durchgeführt von Firmen, die man nur vielleicht kenne. Im Urteil schreibt das Gericht, dass diese Veranstaltungen „…sowohl seinen (Ruzicka, Anm.) privaten Zwecken als auch geschäftlichen Interessen der Aegis Media diente.“ Die Kammer weiter: „…wie etwa Jagdveranstaltungen in Ungarn, zu denen er Freunde, aber zum großen Teil auch Geschäftskunden oder potenzielle Neukunden einlud.“
An anderer Stelle in demselben Urteil schreibt die Kammer dennoch, dass die Vernehmung der Zeugin und Sekretärin bei Aegis Media, Carmen M., ergeben habe, dass diese Veranstaltungen rein privater Natur waren. Obwohl Carmen M. aussagte, dass ihr Gehalt von Aegis Media bezahlt wurde und sie während ihrer Arbeitszeit auch diese Jagdveranstaltungen betreut und organisiert hat. Auch die Aussage von Judith W., Pressesprecherin von Aegis Media, habe zudem die erkennbar private Natur solcher Veranstaltungen bestätigt. Beide Zeuginnen gelten gleichzeitig als glaubwürdig. Obwohl die Kammer 173 Seiten zuvor im Urteil schreibt: der Angeklagte Ruzicka wollte diese Veranstaltungen nutzen um „…seine Position im Aegis-Konzern auszubauen und zu stärken und Geschäftsabschlüsse vorzubereiten. Zur Erreichung dieses Ziels beabsichtigte er, Kunden oder auch potenzielle Neukunden zu diesen Veranstaltungen einzuladen und geschäftliche Kontakte zu intensivieren.“
Der Urteilsspruch beruht auf der als erwiesen erachteten Erkenntnis der Kammer, dass es keine Kostenauslagerung auf Drittfirmen gab. Die Aussage Ruzickas, dass Leistungen ausgelagert, neu gelabelt und sodann den Kunden in Rechnung gestellt wurden, ordnet die Kammer als Schutzbehauptung ein: „Aufgrund der geständigen Einlassung des Angeklagten Linn und der glaubhaften Aussagen der vernommenen Zeugen geht die Kammer davon aus, dass die dargestellten Vorgänge nicht Teil der mit der Konzernspitze in London abgestimmten Unternehmensstrategie der Aegis Media zum Zwecke der Kostenauslagerung war.“ Zudem wertet das Gericht, dass die Aussage von David Linn die Aussage von Manuela Rasmussen bestätigt und umgekehrt. Rasmussen war vor ihrer Aussage der Entwurf eines Strafbefehls gegen sich selbst vorgelegt worden. Rasmussen hatte ausgesagt 427 000 Euro Schweigegeld bekommen zu haben. Nach Abzug einer Geldstrafe von 10 000 Euro und einem Jahr Haft auf Bewährung verbleiben ihr 417 000 Euro, die sie nach eigener Aussage ausgegeben hat. Dieser Gewinn wurde weder abgeschöpft, noch in ihrem Strafbefehl oder in diesem Urteil erwähnt. Stattdessen schreibt die Kammer: „Insbesondere hatte die Zeugin auch kein Motiv, den Angeklagten Ruzicka wahrheitswidrig zu belasten und sich selbst … zu Unrecht einer strafbaren Handlung zu bezichtigen.“ An anderer Stelle in demselben Urteil führt die Kammer aus, dass auch Mediaeinkäufer hätten erkennen können, dass es sich bei den Werbezeiten von Emerson FF, dem „Emersonvolumen“, um Freispots aus dem Agenturpool handelte, was zudem aus „Gesprächen mit Kollegen“ resultierte. Auch die Zeugen S. und V. kannten den Inhalt und Umfang der Commitments mit den Vermarktern, und damit der Quelle des „Emersonvolumens“. Die Kammer vermochte im Urteil nicht zu erklären, warum einzig Manuela Rasmussen Schweigegeld erhalten hat, und vor allem, worüber sie hätte schweigen sollen, wenn der tatsächliche Hintergrund des „Emersonvolumens“ ohnehin vielen Mitarbeitern bekannt war.
Bemerkenswert: die Kammer stellt fest, dass Aleksander Ruzicka „über das Anwesen in Kapstadt nach seinem Gutdünken verfügen konnte, auch wenn er insoweit auch nicht die formale Eigentümerposition innehatte“. In sämtlichen Ablehnungen von Ruzickas Haftbeschwerden hat dieselbe Kammer mit Fluchtgefahr aufgrund von Eigentum in Südafrika argumentiert. Dass Ruzicka keinen südafrikanischen Pass besitzt, wie Aegis Media in der Anzeige behauptet hat, hat die Kammer bereits festgestellt – auch wenn dieser Umstand, der zur Verhaftung führte, im Urteil keine Erwähnung findet. Weiteres Detail: die angeblichen „Schein- und Tarnfirmen“ wurden nicht nur ausgerechnet in Wiesbaden gegründet, sondern führten ihre Geschäftskonten, über die „die Beute“ geflossen ist, auch bei der Hausbank von Aegis Media, der Commerzbank in Wiesbaden.
Zusammenfassend kommt die Kammer im Urteil ab Seite 225 zu folgender Erkenntnis: „Die durch das Handeln des Angeklagten Ruzicka veranlasste Vermögensverschiebung lief den Unternehmensinteressen offensichtlich zuwider. Der damit eingetretene Liquiditätsverlust von mehreren Millionen Euro und zugleich die erheblich verminderte Möglichkeit, flexibel am TV-Markt für die Kunden Mediapläne zu gestalten beziehungsweise sich gegenüber Konkurrenten am Markt durch Einsatz von agenturspezifischen Freizeiten in „Pitches“ zu behaupten, macht deutlich, wie sehr die Handlungsweise des Angeklagten Ruzicka den Interessen des Unternehmens entgegensteht“, so die Kammer. Weiter heißt es: „Ein relevanter Nachteil tritt immer dann ein, wenn das treuewidrige Verhalten zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwertes führt. An einem Nachteil fehlt es regelmäßig, wenn wertmindernde und werterhöhende Faktoren, zu denen auch Gewinnerwartungen zählen können, sich gegenseitig aufheben.“ Die Kammer bewertet es gleichzeitig als belanglos, dass die Gelder erst dann zu Emerson FF abflossen, als die Werbekunden Emerson FF in „Ad Hoc Deals“ explizit beauftragt und zweckgebundene Zahlungen geleistet hatten. Ruzicka hatte mehrfach ausgesagt, dass überhaupt kein Agenturvermögen betroffen war. Den Geldflüssen zu Emerson FF würden identische Geldeingänge von den Kunden gegenüber stehen. Daher könne keine Vermögensveränderung bei Aegis Media stattgefunden haben.
Weiter heißt es dazu im Urteil: „Auf die Beantwortung der Frage, wem die agenturspezifischen Freizeiten tatsächlich zustehen … kam es für die strafrechtliche Bewertung des Handelns des Angeklagten Ruzicka nicht an. Dabei war den meisten Kunden ein Einblick in die Verwaltung dieses Freizeiten-Pools verwehrt, so dass für die Vertragskunden die tatsächlichen Abläufe diesbezüglich auch intransparent blieben. Unterstellte man jedoch, dass auch die agenturspezifischen Freizeiten vollständig den Kunden hätten zugute kommen müssen, so läge ein Vermögensnachteil der Agentur in dem Umstand, dass man sich dem Herausgabeanspruch der Kunden hinsichtlich der dann womöglich zu Unrecht gezahlten, wenngleich rabattierten Beträge für die eingesetzten Freizeiten ausgesetzt sehen würde und zugleich den rechtsgrundlosen Abfluss dieser Beträge an die Firma Emerson FF beklagen müsste.“
Nach Überzeugung der Kammer hat Aleksander Ruzicka Aegis Media sämtliche angeklagten Beträge dauerhaft entzogen. Sie sieht es jedoch als erwiesen an, dass Aegis Media keine Honoraransprüche entgangen sind, sondern „Honorare in Höhe von mindestens 1,2 Millionen Euro“ auf Basis derselben Freispots zusätzlich eingenommen hat. In Summe sieht die Kammer einen Vermögensnachteil bei Aegis Media in Höhe von 37.826.501,97 Euro. Tatbestandsausschließend wäre nur gewesen, wenn Aegis Media und deren leitende Personen von den Vorgängen gewusst haben. Dieses Gericht sieht aufgrund der Zeugenvernehmungen dafür keinen Ansatz. Aleksander Ruzicka bestreitet die Vorwürfe. Er hat Revision angemeldet. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es gilt die Unschuldsvermutung.