Die Diagnose: Zum einen wurde das Schnittstellenmanagement unterschätzt. Zum anderen hat das Marketing zwar bis zur Auftragsvergabe hervorragend funktioniert – doch es war zu kurz gegriffen. Das Konsortium hat nicht über den direkten Kunden hinaus gedacht. In der Krise steckt allerdings auch eine Chance.
Wenn man sich einige Prestigeprojekte der deutschen Industrie in letzter Zeit ansieht, wird einem Angst und Bange. Der Transrapid wurde zum Flop, der Cargolifter auch, mit dem Neigetechnik-ICE gab es große Probleme, und derzeit regiert beim Mautsystem von Toll Collect das Chaos. Warum laufen solche Projekte schief?
Michael Kleinaltenkamp: Meines Erachtens liegt das Problem im mangelhaftem Projektmanagement. Diese Firmen sind technologisch sicherlich gut. Bei Projekten, in denen aber eine solche Vielzahl von Technologien – Hardware, Software – und eine mindest ebenso große Anzahl von Lieferanten, Sublieferanten und Sub-Sublieferanten koordiniert werden muss, liegt die Kernkompetenz, über die ein Anbieter verfügen sollte, nicht in der Technik, sondern im Projektmanagement. Aber wenn man das aus der Hand gibt, weil man es selbst nicht genügend beherrscht, dann ist Gefahr im Verzug.
Wie äußern sich diese Versäumnisse?
Michael Kleinaltenkamp: Ein häufiger Fehler ist, dass die Unternehmen nur vom Endtermin her denken. Ein professionelles Projektmanagement erfordert es in solch komplexen Fällen jedoch, dass man schon bei den Zwischenstufen beginnt, die Lieferanten zu kontrollieren und gegebenenfalls rechtzeitig einzugreifen. Hier hat man sich wohl zu sehr auf die zugesagten Termine der Sublieferanten verlassen. Noch im Mai wurde der Leiter der Unternehmenskommunikation bei DaimlerChrysler in den VDI-nachrichten mit den Worten zitiert, bislang seien alle Meilensteine des Projektes erreicht – obwohl schon damals Experten ihre Zweifel geäußert hatten.
Fallen Ihnen spontan Beispiele von ähnlichen Projekten ein, bei denen das Projektmanagement vorbildlich funktioniert hat?
Michael Kleinaltenkamp: Das sind all die Projekte, von denen man nichts hört. Eine solche komplexe Konstellation ist ja nicht untypisch. Wenn Siemens ein Kraftwerk baut, das einwandfrei läuft, redet hinterher niemand darüber.
In den Medien werden Flops von Großprojekten gern als Problem der deutschen Wirtschaft dargestellt. Machen es die Unternehmen im Ausland besser oder fallen uns andere Pannen einfach nicht so auf, weil sie nicht vor der eigenen Haustür passieren?
Michael Kleinaltenkamp: Solche Probleme gibt es überall.
Wie beurteilen Sie das Toll Collect-Desaster denn aus Sicht des Marketing?
Michael Kleinaltenkamp: Die Kunst, ein solches Produkt zu verkaufen, besteht darin, dem Auftraggeber ein Versprechen glaubhaft zu vermitteln. Das Versprechen lautete: „Dieses Abrechnungssystem wird funktionieren.“ Toll Collect ist das mit seinem Auftraggeber, dem Bundesverkehrsministerium, offenbar gelungen. Das Unternehmen war in dieser Hinsicht also sehr erfolgreich. Allerdings hat es nicht erkannt, dass damit das nächste Marketingproblem bereits anfängt, denn Sie müssen nun eine Vielzahl von Gruppen für sich gewinnen: die Spediteure, die Fahrer, die Frachtführer, die Öffentlichkeit und die Steuerzahler. Das Problem ist, dass das Konsortium ursprünglich auf einen einzelnen Kunden ausgerichtet war und nicht bemerkt hat, dass sie nun in eine wesentlich breitere Marketingarena gewechselt ist. Es ist, wenn man so will, auf einem Consumer-Markt gelandet und ist dem nicht gewachsen.
Ist das ein typisches Problem von B2B-Unternehmen?
Michael Kleinaltenkamp: Durchaus. Die Firmen sehen, weil sie im B2B-Geschäft sind, nicht über ihren nächsten Kunden hinaus. Sie nehmen nicht wahr, dass sie, durch das was sie tun, auch in anderen marktlichen Sphären tätig werden und dieses auch Rückwirkungen auf ihre unmittelbaren Kundenbeziehungen hat.
Wie groß ist denn der Image-Schaden für die Unternehmen, die am Konsortium des Mautsystems beteiligt sind?
Michael Kleinaltenkamp: Beziffern kann man ihn nicht. Es gibt keine zuverlässigen Aussagen über den Wert einer Marke, eines Images. Man muss allerdings bedenken, dass die Steuerzahler, die Spediteure und die Lkw-Fahrer auch andere Produkte der am Konsortium beteiligten Firmen benutzen. Ein Lkw-Fahrer wird seinem Unternehmer aus Ärger über Toll Collect vielleicht empfehlen, bei nächsten Mal lieber den MAN als den Mercedes-Benz zu kaufen. Bei der Deutschen Telekom ist es ähnlich.
Und der Schaden für Toll Collect selbst?
Michael Kleinaltenkamp: Für Toll Collect ist ein Problem, dass sie das Mautsystem ja als europaweite Lösung vermarkten wollen. Aber in jeder Krise steckt auch eine Chance: Wenn der Anbieter die Probleme nun in den Griff bekommt, wird das letztlich für ihn sprechen. Toll Collect kann dann sagen: „Wir kennen die Schwierigkeiten und wir wissen, wie man sie beherrscht.“ Deshalb sollte das Unternehmen nun bekennen, dass es die Probleme noch nicht gelöst hat, daran aber arbeitet und für den Schaden aufkommen wird. Das wird zwar teuer, aber darin besteht die einzige Chance, hinterher in einem besseren Licht zu stehen als vorher.
Die Fragen stellte Martin Kaluza (Redaktion technischervertrieb.de).