Ryan Kaji ist dreieinhalb Jahre alt, als er den dringenden Wunsch äußert, in YouTube-Videos mitzuspielen. Seine Eltern, ein japanischer Ingenieur und eine aus Vietnam stammende Chemielehrerin, können ihm den Wunsch nicht abschlagen. Also stellen sie im März 2015 das erste Video online. Darin fischt sich der kleine Ryan in einer Filiale der Handelskette Target einen Spielzeugzug von Lego aus dem Regal. Zu Hause setzt er ihn dann zusammen und spielt damit. Die Eltern sind begeistert und drehen weitere Clips. Ein paar Wochen später geht ein Video durch die Decke, in dem Ryan Spielzeugautos aus selbst gebastelten Überraschungseiern auspackt. Die Zugriffszahlen verdoppeln sich Monat für Monat, irgendwann sind es mehr als eine Milliarde Aufrufe.
Heute, mit zehn Jahren, ist Ryan Kaji ein weltweit bekannter YouTube-Star. Fast täglich erscheinen neue Videos, in denen er Spielzeug vorstellt, Experimente durchführt, interessante Orte besucht oder die Welt erklärt. Sein YouTube-Kanal „Ryan’s World“ hat weltweit fast 32 Millionen Abonnent*innen, hinzu kommen Ableger in spanischer und japanischer Sprache. In den Videos tummeln sich Werbepartner wie Mattel, Nintendo, Playmobil und Lego, deren Produkte das unermüdliche Spielkind ausprobiert. All das fasziniert eine weltweite Fangemeinde: In gut sieben Jahren wurden die Videos mehr als 57 Milliarden Mal gesehen, was die Werbeeinnahmen sprudeln lässt. Dreimal hintereinander, von 2018 bis 2020, war Ryan Kaji laut Forbes bestverdienender YouTuber, sein Jahresumsatz stieg auf knapp 30 Millionen US-Dollar.
Kanal steht in der Kritik von Verbraucherschützer*innen
Dass es 2021 nur noch für Platz sieben gereicht hat, weil neue Lichtgestalten wie MrBeast noch deutlich mehr kassieren, kann die Kaji-Familie verschmerzen.
„Ryan’s World“ wird seit 2017 sehr erfolgreich von der amerikanischen Creator-Agentur Pocket Watch vermarktet. Sie treibt vor allem das Lizenzgeschäft voran. Im Mittelpunkt steht eine gebrandete Spielzeugkollektion in Kooperation mit dem Hersteller Bonkers, die über Amazon, Walmart und Target verkauft wird. Auch Schuhe, Schlafanzüge, Bettzeug, Uhren, Sportartikel, Wasserflaschen, Möbel und Zahnpasta laufen unter der Marke „Ryan’s World“ – insgesamt sind es rund 1600 Produkte in 30 Ländern. Nach Unternehmensangaben soll der gesamte Umsatz mit gebrandeten Artikeln 2020 bei 250 Millionen US-Dollar gelegen haben. Ryans Anteil spült ihm mittlerweile mehr Geld in die Kassen als die Werbeeinnahmen auf YouTube.
Wie kam es zu dieser Erfolgsgeschichte? Die Kajis starteten 2015 genau zum richtigen Zeitpunkt, um vom Unboxing-Trend zu profitieren: Anderen beim Auspacken und Ausprobieren von Produkten zuzuschauen wurde zum Megatrend. Gleichzeitig wuchs eine neue Generation heran, für die die Orientierung an gleichaltrigen Influencer*innen selbstverständlich ist. Ryan Kaji ist ein Freund, dessen tägliches Leben man genauestens verfolgen will. Damit steht „Ryan’s World“ allerdings auch in der Kritik: Gesponserte Produkte seien nicht ausreichend gekennzeichnet, so der Vorwurf von Verbraucherschützern, und vor allem Kinder im Vorschulalter könnten den werblichen Charakter des Formats nicht verstehen. Auch wirkt es zunehmend befremdlich, mit welcher Schlagzahl die Kajis immer neue Videos hochladen. Zusätzlich gibt es ja auch noch Shows und Serien auf dem Pay-TV-Sender Nickelodeon und der Streamingplattform Roku. Erleben Ryan – und auch seine ebenfalls eingespannten Schwestern Emma und Kate – überhaupt noch eine normale Kindheit?
Ryan geht zur Schule, gedreht wird am Wochenende
Natürlich, betonen die Eltern. Deshalb sei ja 2017 die Produktionsfirma Sunlight Entertainment gegründet worden. Das 30-köpfige Team kümmere sich um die komplette Erstellung der rund 25 Videos pro Woche. Ryan selbst solle möglichst wenig Zeit damit verbringen. Die Kajis bewohnen eine Villa mit Swimmingpool in einer „Gated Community“ der texanischen Stadt Cypress. Ryan besucht eine öffentliche Schule, daher wird meist am Wochenende gedreht. „Zurzeit liebt er es, Videos zu machen“, betonten die Eltern 2021 in einem Interview. „In dem Moment, wo er keinen Spaß mehr daran hat, werden wir aufhören.“
Noch besteht diese Gefahr offenbar nicht. Aber Ryan wird älter und irgendwann als Werbefigur für Spielzeug unglaubwürdig. Was dann? Pocket Watch versucht, an seiner Seite animierte Charaktere zu etablieren, etwa den Superhelden „Red Titan“, den „Combo Panda“, „Moe The Monster“ oder „Shelldon The Baby Dinosaur“. Diese entfalten mittlerweile schon ein Eigenleben und werden auch unabhängig von ihrem Ziehvater als Werbefiguren gebucht, Red Titan etwa für Macy’s. Zudem haben Emma und Kate mit der EK World auch schon ihre eigene Marke etabliert. Ryan selbst könnte also beruhigt in den „Ruhestand“ gehen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der April-Printausgabe der absatzwirtschaft.