Von Thomas Schmoll
In der Werbung gibt es zwei Wege, Verbraucher für ein Produkt zu gewinnen oder bei der Stange zu halten: Entweder das Unternehmen verspricht das Tiefblaue vom Himmel – oder es setzt auf Authentizität und Ehrlichkeit nach dem Motto: Wir haben verstanden. Für letztere Variante entschied sich die französische Biomarktkette Biocoop. Vor dem 30. Jahrestag ihrer Gründung beauftragte sie die renommierte Pariser Agentur Fred & Farid mit einer Werbung, die „unsere Werte widerspiegelt“. Herausgekommen ist „die umweltfreundlichste Kampagne aller Zeiten“. Und wie das? „Durch Überdenken aller Details der Produktion.“
Wäre das Internet ein Land, wäre es der fünftgrößte Stromverbraucher
Nun ist bekannt, dass Marketing-Leute gerne übertreiben. Doch allein der Blick auf die Website zu der Kampagne zeigt, wie ernst es Biocoop meint. Um den Ressourcenverbrauch zu minimieren, ist der Internetauftritt extrem schmal konzipiert. Zwecks Reduktion der Datenmenge kommt die Seite ohne Fotos aus. Die Illustrationen wie der Weg von Paris in die Bretagne sind allein mittels Zeichen des vergleichsweise uralten „American Standard Code for Information Interchange“ (ASCII) programmiert. Und natürlich laufe die Website über einen stromsparenden „Green Server“, der nicht so stark gekühlt werden muss wie herkömmliche Technik. „Denn wäre das Internet ein Land, würde es weltweit fünftgrößter Stromverbraucher sein“, heißt es zur Begründung.
„Kein Fotoshop, keine Retusche“
Damit längst nicht genug. Die Agentur, die national und international schon jede Menge der wichtigsten Preise der Werbebranche abgeräumt hat, setzte den Auftrag von Biocoop konsequent um, wie auch ein Making-Off-Video verdeutlicht. Fred & Farid hatten eine Fülle von Auflagen zu beachten: Verboten waren Reisen mit dem Flugzeug, der Einsatz von Schauspielern, Casting und Make-up sowie digitale Bildbearbeitung. „Kein Fotoshop, keine Retusche“, habe die Vorgabe gelautet.
Statt mit Flieger oder Auto radelte das Team in die Bretagne. Statt in Hotels schlief die Crew nach eigenem Bekunden in Öko-Bettzeug in typischen Häusern der Region, statt im Gourmet-Restaurant aß sie ökologisch angebaute Produkte der Bretagne und recycelte ihren Müll weitgehend zum Beispiel als Kompost. Statt mit Digitalkamera machten die Kreativen sämtliche Fotos mit einer selbstgebauten Lochkamera wie zu Urgroßelterns Zeiten –der Verzicht auf eine Digitalkamera wurde auch mit ressourcenverschleißender Logistik begründet. Und statt professionelle Darsteller dienten den Angaben zufolge „aus Gründen der Authentizität“ Mitarbeiter des Öko-Händlernetzwerks als Models sowie Sprecher im Werbefilm.
Strom durch Fahrradfahren, recycelte Tweets und Poster
Sogar bei der kompositorischen Untermalung eines Spots wurde gespart: „Wir schnitten die Musik in einer Aufnahme mit.“ All das, „um unseren Energieverbrauch so weit wie möglich zu reduzieren“. Ein bretonischer Handwerker habe ein gebrauchtes Fahrrad so umgebaut, dass es zur Stromerzeugung gedient habe. In dem Video ist ein Mann zu sehen, wie er auf dem aufgebockten Drahtesel strampelt: Er setzt über das Hinterrad einen Riemen in Gang, der einen Generator zur Stromerzeugung motiviert. Nach drei Stunden sei der Akku voll gewesen, was zum Aufladen von Telefonen und eines Computers gereicht habe, der speziell für das Projekt aus recyceltem Elektronikschrott gebaut worden sei. „Wir reaktivierten alte Techniken für Print und Film und erfanden neue für das Internet und die sozialen Netzwerke„, erklärte Fred & Farid. Laut der Agentur wird die Plakatwerbung der Handelsgruppe 25 Prozent kleiner gedruckt als normalerweise: Nach dem Gebrauch folgt demnach die Verwandlung der Poster in Papiertüten für die Biocoop-Märkte.
Kampagne zeigt, was möglich ist
Für die späteren Plakate seien Slogans und Logos mit pflanzlichen Farben direkt auf die Bilder gemalt worden. In Bezug auf Werbespots hatte Fred & Farid den Auftrag, „die Anzahl der Aufnahmen auf ein Minimum zu begrenzen“. Es habe nur gedreht werden dürfen, was notwendig gewesen sei. Montage und Bearbeitung eines Films seien mit der Hand erfolgt. Selbst Twitter bezog das Team ein. Sie „recycelten“ nach eigenen Angaben Tweets, indem bereits verschickte Kurznachrichten in einer bestimmten Reihenfolge retweetet wurden. Auf der Website wird Bilanz der Kampagne gezogen und mit einer Produktion im herkömmlichen Stil verglichen. Rund 5,9 Tonnen Kohlendioxidausstoß stehen 15,2 Tonnen gegenüber. Für die Berechnung wurde von jeweils fünf Drehtagen ausgegangen. Ins Gewicht fällt vor allem die Zeit der Nachbereitungen – in der Öko-Variante nur eine Woche statt drei – und die Größe des Teams: 18 Personen am Set statt 24.
Natürlich lässt sich das nicht überprüfen. Natürlich könnte die Statistik zu Gunsten der „umweltfreundlichsten Kampagne aller Zeiten“ geschönt sein. Manchmal sind die Auftraggeber auch inkonsequent, etwa dann, wenn sie auf die „normale“ Website von Biocoop verlinken. Aber das Projekt zeigt dennoch eindrucksvoll, was möglich ist. Und vielleicht folgen andere Kunden von Fred & Farid – unter ihnen die Airlines KLM und Air France, die belgische Fastfood-Kette Quick und Starbucks.