Das IoT kommt als Schwarm

Wolfgang Henseler ist einer der profiliertesten deutschen Denker in Sachen digitaler Zukunft. Als Professor für Digitale Medien und Intermediales Design an der Hochschule in Pforzheim und als Managing Creative Director des Offenbacher Designstudios Sensory-Minds beschäftigt er sich mit neuen Interfaces, neuen Technologien und zur Zeit vor allem mit dem Internet of Things (IoT).

Herr Professor Henseler, ganz ehrlich: Alles redet vom Internet of Things, auf dem Markt ist davon nicht wirklich viel zu sehen. Wird das Thema überschätzt?


Wolfgang Henseler, Sensory Minds: Nein. Das Thema kommt mit Siebenmeilenstiefeln in Riesenschritten auf uns zu. Das ist keine so große Mainstream-Welle sondern es sind ganz viele kleine Einzelfacetten. Bei Kickstarter beschäftigen sich 40 Prozent der Projekte mit dem Internet of things. Da sind auch Smartwatch-Projekte im zweistelligen Millionenbereich dabei. Es sind nicht so sehr die großen Konzerne, die das Thema vorantreiben, es sind viele kleine, es ist ein Schwarm. Google, Samsung, Amazon und Apple sichern sich dagegen die Patente. Pro Tag gibt es ungefähr 200 neue Patentanmeldungen in Sachen Smart-Objects.

Viele Systeme stellen nur eine Verbindung zum Internet her und werden dann mit eine App gesteuert. Ist das schon Internet of things?

Henseler: Ich sehe das als einen fließenden Übergang. Viele Systeme werden anfangs manuell gesteuert und die Systeme lernen dann von diesem Verhalten und übernehmen die Steuerung autonom, sobald sie ähnliche Kontextbedingungen antreffen. Die autonom-adaptiven Systeme, müssen aber selbständig tätig werden, um schnell genug sein zu können, etwa ein Bremssystem im Auto.

Aktuell kocht jeder sein eigenes Süppchen, aber Systeme, bei denen zum Beispiel Autos ihre Ausweichmanöver abstimmen, funktionieren nur auf Grundlage gemeinsamer Standards. Haben die Branchen das verstanden?

Henseler: Ja. Gerade während der IAA gab es eine Konferenz vom VDE zu diesem Thema und da hat man klar festgestellt, dass es Standardisierungen auch auf europäischer Ebene geben muss, sonst funktioniert das nicht. Da sind die Verbände und Ministerien gefragt.

Gibt es auch branchenübergreifende Standards?

Henseler: Das IP-Protokoll ist ein bestehender Standard. Allerdings versucht da im Moment jeder seine Claims abzustecken. Das ist Teil der Pionierphase.

Kommt beim Consumer heute schon etwas davon an oder ist das Thema zunächst B2B-getrieben? Der Kühlschrank, der seine Milch selbst nachbestellt ist noch nicht da, denn den will ja keiner.

Henseler: Einspruch. Der Consumerbereich treibt das am stärksten und zwar nicht über so unsinnige Anwendungen wie den Kühlschrank, sondern über die Quantified-self-Bewegung. Das ist der größte Wachstumsmarkt. Es kommt also aus einer ganz anderen Richtung, als man es erwartet. Und das ist spannend, denn wenn man sich nicht aus dieser anderen Perspektive heraus damit beschäftigt, sieht man es gar nicht. Es ist ganz klar konsumentengetrieben zum Beispiel durch Anwendungen wie das Nike Fuel Band.

Fuel Band ist ein gutes Stichwort. Wenn Krankenkassen beginnen Rabatte einzuräumen, wenn ich täglich ein bestimmtes – messbares – Bewegungspensum leiste, greift das nicht zu tief in private Lebensbereiche ein? Gibt es Missbrauchspotential?

Henseler: Man sagt nicht umsonst, dass Daten das neue Öl sind. Natürlich werden aus den Daten auch wirtschaftlich relevante Erkenntnisse erzeugt. Derartige Incentivierungssysteme gibt es ja bereits, nur erreichen wir einen höheren Grad an Transparenz.

Was wäre, wenn die App feststellt, ich hätte Herzrhythmusstörungen und meine Krankenkasse kündigt, um der Regulierung zu entgehen?

Henseler: Genau das rechnen die Krankenkassen gerade durch. Die kluge Kasse wird diese Informationen präventiv benutzen und mich zum Arzt schicken. Oder Versicherungen, die wissen, dass Hagel kommen wird und mir sagen, ich soll das Auto in die Garage fahren. Schlechte Dienstleister, die in solchen Situationen kündigen, riskieren damit heutzutage aber einen massiven Shitstorm zum Beispiel durch Social Media. Aber natürlich impliziert das Ganze einen gesellschaftlichen Wandel und der wird dauern.

Sind die deutschen Unternehmen und deren Innovationskraft gut aufgestellt?

Henseler: Die Innovationskraft ist sehr gut, allerdings vermarkten die Amerikaner vieles besser. Aber wenn man das Potential deutscher Start-Ups betrachtet, müssen wir uns vor niemand verstecken. Wichtig ist eben zu verstehen, dass in Zukunft der Dienst wichtiger ist, als das Produkt. Mobilität statt Automobil.

Ein Unternehmen wie Loewe, das einen der ersten Internetfernseher entwickelt hat, hat diesen Wandel eben nicht geschafft.

Henseler: Genau. Sie haben das Produkt gehabt, aber nicht das Produktökosystem. Das ist ja die Qualität von Apple. Das ging aber natürlich auch anderen internationalen Unternehmen so, wie Blackberry, Nokia oder Kodak. Überall haben es die Vorstände nicht geschafft, in diesen neuen Dimensionen zu denken. Und es werden weitere hinzukommen, nämlich alle die meinen, das mit dem Internet of Things hat noch Zeit. Hat es nicht. Es ist schon da.

Gab es in den letzten drei Monaten ein Konzept, dass Sie positiv überrascht hat?

Henseler: Durex und die Idee Touch via Internet hebt das ganze Thema natürlich in eine neue Dimension. Jeder will es anfassen. Parrot mit dem Pflanzenüberwachungssystem ist spannend. Die Pflanze meldet sich, wenn sie verdurstet. Eigentlich gibt es nichts, was es nicht gibt. Und auch die Time-to-market nimmt rasant ab. Das sind nur noch 15 bis 18 Monate.

Herr Professor Henseler, vielen Dank für Dieses Gespräch.

Hinweis: Auf PSFK.com beginnt Wolfgang Henseler seine Recherchen
http://www.psfk.com/

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